Warum die Politik in Skandinavien so weiblich ist
Erste scheint Magdalena Andersson schon immer gerne gewesen zu sein: ob als Jugendliche im Leistungssport – drei Goldmedaillen im Brustschwimmen bei den nationalen Junioren gehen auf ihr Konto –, als 16-jährige Vorsitzende bei der sozialdemokratischen Jugend oder als erste Frau im beratenden Komitee des Internationalen Währungsfonds (IWF).
Seit vergangener Woche steht die 54-Jährige zudem an der Spitze der regierenden Sozialdemokraten in Schweden und dürfte in den nächsten Tagen zur ersten Premierministerin des skandinavischen Landes gewählt werden.
Die 54-Jährige könnte nächste Woche zur ersten Premierministerin Schwedens gewählt werden. Die Sozialdemokratin gilt als sparsam, direkt und links, was Sozial- und Wirtschaftspolitik angeht. In der Kriminalitätsbekämpfung und Ausländerpolitik orientiert sie sich an den Rechtspopulisten.
Schweden gesellt sich damit in eine Reihe mit Island, Finnland und Dänemark: In all diesen Ländern führt eine Frau die Regierung an (nur Norwegen tanzt seit Kurzem aus der Reihe: Ministerpräsidentin Erna Solberg wurde nach acht Jahren abgewählt). Was läuft in Skandinavien so anders als im Rest der Welt?
Früh übt sich
Erstens: Alle Länder haben Frauen im Vergleich relativ früh politische Rechte verliehen. Finnland führte 1906 als erstes europäisches Land das Frauenstimmrecht ein. Norwegen folgte 1913, Dänemark und Island 1915, Schweden 1921 – ein Jahr nach Österreich (1920).
Zweitens: Alle Länder bauten früh ihr Sozialsystem auf, stellten das Wohl ihrer Bürger – und ihrer Bürgerinnen – in den Mittelpunkt. "Die klassische Frauenaufgabe der Kinderbetreuung ist in Skandinavien viel besser geregelt – was Eltern nicht übernehmen können, übernimmt der Staat", erklärt Verena Kettner, Doktorandin der Politikwissenschaft im Bereich Governance und Geschlecht an der Uni Wien.
Die 43-Jährige ist seit 2019 Ministerpräsidentin, war zuvor Arbeits- und Justizministerin. Die Sozialdemokratin steht für eine linke Arbeits- und Sozialpolitik und besteuert die Reichen. Hart ist sie auch beim Thema Migration: Sie verfolgt eine restriktive Einwanderungspolitik.
Und drittens: "Alle Länder sind viel weiter mit dem Aufbrechen traditioneller Rollenbilder als wir. Frauen trauen sich selbst mehr zu – und Frauen wird auch mehr zugetraut."
Das zeigt sich auch an der Vergabe der Ministerien: Der Interparlamentarischen Union zufolge bekleiden Frauen in den meisten Ländern ein Amt im sozialen Bereich – passend zu den typisch "weiblichen" Stärken wie Empathie und Fürsorglichkeit, die Frauen häufig unterstellt werden. Am öftesten stehen Frauen Sozialministerien vor, gefolgt von Kinder- und Familienministerien. "Harte", als einflussreicher und prestigeträchtiger gesehene Ministerien werden meist von Männern bekleidet.
Auch das ist in Skandinavien anders: Andersson war seit 2014 schwedische Finanzministerin, das Außenministerium wurde zuletzt vor sieben Jahren von einem Mann bekleidet. Islands Justizministerium stehen seit Jänner 2017 nur Frauen vor. Finnlands Kabinett hat 19 Mitglieder, zwölf davon sind Frauen. Dem Finanz-, Justiz- und Innenministerium steht jeweils eine Frau vor.
Quotenlösung
"Gut so", findet Kettner – wenn die Doktorandin auch zu bedenken gibt, dass dadurch gleichzeitig eine Abwertung typisch "weiblicher" Ministerien stattfände: "Man muss zeitgleich versuchen, männliche Rollenbilder aufzubrechen und soziale Ministerien Männern schmackhaft zu machen. Nur so erreicht man richtige Gleichstellung."
Als jüngste Ministerpräsidentin Finnlands und zum Zeitpunkt ihres Amtseintritts 2019 jüngste Regierungschefin weltweit machte sich die 35-Jährige einen Namen. Die Ex-Verkehrsministerin steht für einen grünen Linksruck und lehnt sowohl einen NATO-Beitritt als auch fossile Brennstoffe ab.
Apropos Gleichstellung: Ohne entsprechende Maßnahmen braucht es laut Global Gender Gap Report 2021 noch 135,6 Jahre, bis man von echter Gleichsetzung der Geschlechter – und auch nur im binären Verständnis – in der Politik sprechen könne.
Die umstrittene Frauenquote gilt auch hier als Lösung, wenn das historisch gewachsene Verständnis für Frauen an der politischen Spitze fehlt. "Auch wenn eine Quote Identitäten aufs Geschlecht reduziert, ist sie derzeit das am schnellsten und am leichtesten umzusetzende Mittel", erklärt Kettner. Die Quote habe einen Vorbild-Effekt: Je mehr Frauen in Machtpositionen seien, desto mehr fühlten sich andere Frauen motiviert, nachzuziehen.
Und die Politik weiblich zu machen.
Einst zuständig für Bildung, Wissenschaft und Kultur, ist die 45-Jährige seit 2017 Premierministerin. Ihre linksgrüne Bewegung regiert mit den Liberal-Bäuerlichen und der konservativen Unabhängigkeitspartei. Umfragen zufolge stehen 60 Prozent der Isländer hinter ihr.
Kommentare