Frauen in der Politik: Verniedlicht, verspottet, verhasst
Für die Bild-Zeitung ist es mal wieder "die Merkel-Dämmerung". Für Morning Briefing-Journalist Gabor Steingart "das Macht-Comeback der Kanzlerin". Fakt ist, Annegret Kramp-Karrenbauer gibt nach gut einem Jahr den CDU-Chefsessel und damit auch die Kanzler-Anwartschaft ab. Aber gibt sie damit automatisch auf? Ist die 57-Jährige am Amt, an sich oder den Erwartungen Dritter gescheitert? Oder ist AKK einfach nur gescheit genug, selbst den Schlussstrich zu ziehen, ehe es Parteikollegen oder Wähler für sie tun?
Ausgerechnet vier Männer bringen sich als ihre Nachfolger in Stellung – und so stellt sich zwangsläufig auch die Frage: Sind Frauen in Führungspositionen mehr ge- oder gar überfordert? Und sind die Erwartungen an Frauen an der Spitze einer Partei (Pamela Rendi-Wagner, Beate Meinl-Reisinger) oder eines Ressorts (Alma Zadić, Karoline Edtstadler) andere als bei ihren männlichen Pendants? "Es wird von Frauen in Managementpositionen jedenfalls mehr erwartet als von Männern", sagt Wirtschaftscoach und Psychotherapeutin Christine Bauer-Jelinek. "Sie sollen mindestens die gleiche Leistung erbringen, aber sozialer, empathischer, netter und hübscher sein." Zusätzliches Problem dabei: "Hochqualifizierte Frauen fahren mit dem Karriere-Lift oft schnell nach oben. Die Machtspiele in der Chefetage aber, die Männer im Stahlkocher gelernt haben, beherrschen sie nicht, weil sie sie nicht kennen und scheitern oft genau daran."
Wert nach Geschlecht konstruiert
"In der patriarchalen Gesellschaft wird der Wert eines Menschen je nach Geschlecht konstruiert", meint Soziologin Laura Wiesböck. Frauen, die von ihrer Rolle abweichen, würden oft herabgewürdigt, angefangen beim Namen. Merkel wurde so zur "Mutti der Nation". Auch "Königskobra" (Ex-FPÖ-Politikerin Susanne Riess), Johanna "Hanni" Mikl-Leitner oder Maria "Schotter-Mitzi" Fekter wissen ein Lied davon zu singen.
In Österreich seien Netzwerke von Männern zudem besonders ausgeprägt, sagen Wiesböck und Bauer-Jelinek unisono. Mitunter seien sie sogar wichtiger als Bildung oder Kompetenz.
Frauen hingegen würden ihre Netzwerke verlassen, sobald sie selbst an der Macht sind. Solange "Frauen machttechnisch nicht trainiert sind", ist Bauer-Jelinek gegen eine Frauen-Quote. Sie warnt zudem vor falsch verstandener Solidarität. "Es gibt keine Männer-Solidarität. Männer nehmen den oder diejenige, die ihnen nützt – unabhängig vom Geschlecht."
Edtstadler: "Hantig, eiskalt oder Furie"
Bei der EU-Wahl im Juni hatte sie beachtliche 115.891 Vorzugsstimmen erreicht – und immerhin den Mister Europa der ÖVP, Othmar Karas, geschlagen. Der Erfolg als Vorzugsstimmenkaiserin schützt die nunmehrige Europaministerin Karoline Edtstadler aber nicht vor Anfeindungen.
Vor allem ihre tiefblauen Augen haben der Salzburgerin wenig schmeichelnde Zuschreibungen wie etwa "Eiskönigin" eingebracht.
Sogar so honorige Persönlichkeiten wie die Ex-Botschafterin Eva Nowotny lassen sich auf Facebook zu solchen hämischen Kommentierungen hinreißen und heizen die Anti-Frauen-Stimmung in der Politik damit an. Darauf antwortet eine andere Facebook-Userin: "Edtstadler ist echt ein Brechmittel."
Da braucht es schon eine dicke Haut, um diese Anfeindungen einfach abperlen zu lassen. "Ganz neu ist, dass mein Blick als Kühlgefrier-Kombination bezeichnet wird", erzählt Edtstadler.
Insinuiert wird in den sozialen Medien mit Wortmeldungen wie diesen, dass Edtstadler überheblich, boshaft und eiskalt bei ihren Auftritten wirke. "Ich wünsche mir, dass mein Blick als fokussiert, zielstrebig und durchsetzungsfähig interpretiert wird, so wie das bei Männern passiert. Aber als Frau ist man hantig, eiskalt oder eine Furie", meint Edtstadler.
Doch diese Zeitenwende ist offenbar noch nicht in den Köpfen angekommen – auch wenn erstmals in der Geschichte Österreichs mehr Frauen als Männer der Regierung angehören. Der Preis für die Macht ist für Frauen noch immer sehr hoch.
Eine, die für Edtstadler in die Bresche springt, ist die Ex-ÖVP-Frauenministerin Maria Rauch-Kallat: "Ich habe Edtstadler gar nicht als überheblich erlebt, sondern als kluge Frau. Aber Frauen in der Öffentlichkeit sind nach wie vor eine Zielscheibe, weil es immer noch eine offene Frauenfeindlichkeit gibt." Die sozialen Medien wirken hier oft noch als Brandbeschleuniger.
Rock statt Hosenanzug
Dabei kann die 38-jährige Ex-Richterin, die gerade wegen der EU-Budgetverhandlungen durch zehn EU-Länder tourt, über Satire lachen. Edtstadler verfolgt das Format Willkommen Österreich regelmäßig, obwohl Persiflagen der Ministerin hier derzeit hoch im Kurs stehen. Das Maschek-Trio verarbeitete die Bilder der Angelobung und legte Edtstadler dabei den Satz "Ich bin der Tod!" in den Mund.
Darf Satire das noch? "Ich kann über mich selbst lachen, aber wenn man ständig nur auf den Blick reduziert wird, ist es nicht mehr lustig. Ich habe den Scherz darauf zurückgeführt, dass ich ein schwarzes Kleid getragen habe."
Aber Edtstadler weiß, dass auch das Styling sehr kritisch bei Frauen unter die Lupe genommen wird. Gerade Karrierecoaches empfehlen Frauen in Führungspositionen, auf Röcke zu verzichten und auf Hosenanzüge zu setzen. "Ich bin gerne eine Frau. Gerade beim Styling mache ich mir sehr viele Gedanken. Aber ich lehne es ab, Hosenanzüge zu tragen, damit ich ernst genommen werde. Das schaffe ich auch mit Rock."
Johanna Dohnal
Bis heute gilt sie ihren Anhängerinnen als Ikone der Frauenbewegung. Johanna Dohnal (1939–2010) war die erste Frauenministerin (1990–1995) unter Bundeskanzler Franz Vranitzky, bereits 1979 hatte sie Bruno Kreisky als Staatssekretärin in die Regierung geholt. Nicht nur von politischen Gegnern wurde sie heftig attackiert, auch in der eigenen Partei hatte sie mit Widerstand zu kämpfen.
Johanna Mikl-Leitner
„Hanni“ – so wird Johanna Mikl-Leitner, einst Innenministerin (ÖVP), nun Niederösterreichs Landeshauptfrau, nicht nur von ihren Freunden genannt. Kritiker verwenden die Verniedlichungsform, um auf das Narrativ anzuspielen, Mikl-Leitner habe ihre Position nur als Protegé ihres Vorgängers Erwin Pröll erreicht. Immerhin, die Darstellung als Hexe hat die 56-Jährige mittlerweile hinter sich gelassen.
Sigi Maurer
Welche Auswüchse Anfeindungen gegen Politikerinnen annehmen können, musste die grüne Klubchefin Sigrid Maurer in der sogenannten Craftbeer-Causa erleben. Sie machte die überaus obszönen Nachrichten, die ihr ein Wiener Wirt geschickt haben soll, öffentlich – und wurde dafür in erster Instanz wegen übler Nachrede verurteilt. Später hob das Oberlandesgericht das Urteil allerdings wieder auf.
Beate Meinl-Reisinger
Darf Satire alles? Darüber stritten im vergangenen Nationalratswahlkampf die Liste Jetzt und die Neos. Der Grund: Peter Pilz’ Liste hatte eine Karikatur publiziert, die Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger als Hündin darstellt, die mit heraushängender Zunge nach einer Wurst lechzt, die ihr der Unternehmer Hans Peter Haselsteiner vor die Nase hält. „Frauenfeindlich und respektlos“ nannten das die Pinken.
Pamela Rendi-Wagner
„Unbedingt Botox oder Hyaluron spritzen, das macht den Blick weicher“: Während SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner auf Facebook Tipps für ein lockeres Auftreten bekommt, wird ihr gleichzeitig mangelnde Härte in der Partei attestiert. Sogar für ihren Namen wurde sie kritisiert. Der klassische FPÖ-Wähler wähle keine Frau mit Doppelnamen, ätzte einst der Tiroler SPÖ-Chef Georg Dornauer.
Alma Zadić
Alma Zadić war noch nicht einmal als Justizministerin angelobt, da schlug ihr bereits eine Welle des Hasses entgegen. Grund dafür war zum einen ein medienrechtliches Verfahren, bei dem Zadić zu einer Entschädigungszahlung verpflichtet worden war, zum anderen ihr Migrationshintergrund: „Eine kriminelle Muslima wird Justizministerin“, hieß es etwa auf Facebook.
Was Merkel kann, kann AKK noch lange nicht
Sprung nach Deutschland. Dort hieß es Annegret Wie? Noch bevor die Ministerpräsidentin aus dem Saarland am Berliner Parkett angekommen war, sorgte ihr Nachname für Späße: Kramp-Karrenbauer galt als Zungenbrecher, man zweifelte schon alleine deswegen an der Kanzlertauglichkeit. AKK, wie Medien sie fortan nannten, hatte es von Anfang an schwer. Die in ihrem Bundesland so beliebte wie erfolgreiche Ministerpräsidentin merkte rasch, wie glatt das politische Parkett in Berlin ist.
Das war nicht die einzige Parallele zu Angela Merkel: Frausein, Herkunft – AKK wurde als "Landrätin" verspottet, so wie einst die Ostdeutsche Merkel – und Auftreten; unauffällig, spröde, rhetorisch kompliziert. Dazu jede Menge Widersacher, die von der Seitenlinie reingrätschten. AKK hätte sie am Ende dennoch besiegt, wäre als Siegerin hervorgegangen – so hätte es laufen können. So war es bei ihrer Vorgängerin. Doch diese Geschichte wird sich mit dem Rückzug Kramp-Karrenbauers nicht wiederholen. Sie hat es nicht geschafft, einen Wall gegen die Angriffe der "Parteifreunde" zu errichten. Auch weil sie in ihrer Rolle an der Seite der Kanzlerin keine Führungskraft aufbauen konnte, wie Beobachter feststellten.
Stattdessen gelten nun ein paar Männer als Anwärter für den Vorsitz, darunter Jens Spahn, Armin Laschet und Merkels alter Rivale Friedrich Merz, der schon länger an seinem Comeback arbeitet.
Gerade ihn konnte und wollte sich Merkel an ihrer Seite nicht vorstellen. Auch deshalb wollte sie, dass AKK ihr als Parteichefin und später auch als Kanzlerin nachfolgt. Das würde ihr garantieren, die Kanzlerschaft wie angekündgt bis 2021 ausklingen zu lassen. Wann und ob sie überhaupt vorhatte, den Machtwechsel vor der nächsten Wahl einzuleiten, das wissen wohl nur die beiden. Das Experiment, den Übergang mittels Ämtertrennung einzuleiten, ist gescheitert.
Als es Merkel 1998 an die Spitze der CDU schaffte, war die Ausgangslage schwierig, aber anders: Sie hatte mit Helmut Kohl einen Kanzler vor sich, der die Partei über Jahrzehnte prägte, doch er war politisch angeschlagener, hatte die Wahl 1998 verloren und die CDU in einen Parteispendenskandal manövriert. Merkel übernahm sie am Weg in die Opposition.
Paarlauf mit Hürden
AKK sollte sich hingegen neben der amtierenden Kanzlerin, die bei sämtlicher Kritik noch hohe Beliebtheitswerte hat, profilieren. Merkels politisches Erbe zwar fortsetzen, sich aber zugleich von ihr abgrenzen. Nur genau das funktionierte nicht. Mit ihren Absetzbewegungen beim Migrationsthema, wo sie Grenzschließungen ins Spiel brachte, hatte sie Merkel-Anhänger gegen sich, verlor Fürsprecher, und konnte auch die Gegner nicht einhegen. Zudem soll die Kanzlerin von ihr enttäuscht gewesen sein. Dazu kamen Auftritte und Patzer, die ihr Kommentare einbrachten wie "Merkel wäre das nicht passiert".
Auch sonst wurde jeder ihrer Inhalte auf seine Kanzlertauglichkeit geprüft – und der Schatten vor ihr größer. Jener von Kohl, den Merkel vor sich hatte, war mit der Zeit verblasst, auch weil er nicht mehr im Amt war. Zwar hing Merkel länger der Beiname "Kohls Mädchen" nach – den viele heute als despektierlich zurückweisen würden – doch sie überstand das innerparteiliche Beben. Und die Versuche ihrer Gegner, sie zu stürzen. Dass sie ein Momentum zu nutzen wusste, manches taktisch anging, etwa die Kanzlerkandidatur 2002 Edmund Stoiber zu überlassen, der scheiterte, führte zur Erzählung, wonach sie eine "Schwarze Witwe" sei. Also eine Spinne, die Männchen frisst. Merkel und die Männer – sie wähnten sich als Opfer. Dabei hatten nicht wenige den Absturz selbst verschuldet (Wulff, Koch).
Spiel mit Klischees
Merkel wusste selbst Etiketten wie "Mutti" zu nutzen, verwandelte sie zum Vorteil: Sie gab in der Bunten Tipps für Kartoffelsuppe und dem Wähler das Gefühl, mit seinem Kreuzchen würde er nichts anderes wählen als die sparsame schwäbische Hausfrau. "Sie kennen mich" lautete ihr Slogan – und solange sie Wahlsiege einfuhr, blieben alle still. Die CDU war eben ein "Kanzlerwahlverein". Die jüngsten Wahlschlappen und Krisen wie Thüringen kassierte aber Kramp-Karrenbauer – und sie warf das Handtuch.
Julia Klöckner
Die 47-jährige Toppolitikerin aus Rheinland-Pfalz kann seit Jahren machen was sie will: Bei jeder Gelegenheit wird daran erinnert, dass die heutige Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft in ihrer Jugend die schöne Weinkönigin in ihrer Heimat war. Mittlerweile ist es Klöckner, die dieses Spiel selbst spielt.
Andrea Nahles
Die frühere SPD-Parteichefin kämpfte sich mit eiserner Disziplin an die Politikspitze. Ihre polternde Art samt harter Verbalattacken wurden ihr als Frau nicht verziehen. Nach dem Desaster bei der Europawahl 2019 warf sie das Handtuch. Wenig später legte die 49-Jährige ihr Bundestagsmandat zurück – und zog sich ins Privatleben zurück.
Theresa May
Als britische Premierministerin gab Theresa May alles, um einen geordneten Brexit zu erreichen. Die Boulevardpresse thematisierte lieber ihre schier endlos vielen Schuhe. Und ihre Parteirivalen, allen voran Boris Johnson und Jacob Rees-Mogg, trieben sie immer weiter – und schließlich zum Rücktritt unter Tränen.
Kommentare