Niavarani über Brexit: "Augen zu und durch - eine sehr englische Mentalität"

Niavarani über Brexit: "Augen zu und durch - eine sehr englische Mentalität"
Niavarani über die Absurdität des Brexit. Am Ende nicht undenkbar: Versöhnungssex zwischen UK und EU.

KURIER: Warum tun sich die Briten etwas Absurdes wie den Brexit an, das jeder Vernunft zu widersprechen scheint.

Michael Niavarani: Das ist mir ein Rätsel. Ich habe eine Theorie: Der Brexit wird nicht stattfinden. Es wird vielleicht etwas herauskommen, das nach außen so aussieht wie ein Brexit, aber tatsächlich keiner ist. Denn ein Referendum ist nicht verbindlich. Die Briten hätten sagen können: Artikel 50 triggern können wir noch in zehn Jahren. Lassen wir eine Forschungsgruppe klären: Sollen wir aussteigen oder nicht? Die wird jetzt gebildet.

Ein bisschen spät.

Ja. Dazu kommt, dass die Leute gar nicht genau wussten, was die EU überhaupt ist. Meine Cousine ist halbe Österreicherin, intelligent, Krebsforscherin, weltoffen, very british. Auch sie sagt, wenn sie nach Österreich kommt: „Ich sollte öfter nach Europa kommen.“ Darauf ich: „Du bist doch ein Teil Europas!“ Und sie: „No!“

Das ist die Inselmentalität.

Was in Amerika, Kanada, Australien oder Indien passiert, interessiert die Briten mehr als Frankreich, Deutschland oder Österreich. Deshalb konnten die Brexit-Agitatoren diese Stimmung überhaupt so benutzen.

Nigel Farage und Boris Johnson haben schamlos gelogen.

Und haben es am Tag nach dem Referendum sogar zugegeben. Das ist britischer Humor: Dass Johnson noch Außenminister wurde. Die Leute sind auf die Lüge reingefallen: Jede Woche 500 Millionen Euro mehr, wenn wir nicht in der EU sind. Die Weltsicht auf der Insel ist eine andere. Für die Engländer ist nicht Europa das Zentrum, sondern was sie einmal hatten: The British Empire.

 

Wie ist die aktuelle Stimmung?

Viele, die pro EU waren, sagen jetzt: Machen wir’s halt. „Keep Calm and Carry On“ war schon die Propaganda 1939: „Bleib ruhig und mach’ weiter.“ Das ist eine sehr britische Mentalität: Augen zu und durch. Wir haben uns für etwas entschieden, wir ziehen’s jetzt durch.

Und Theresa May?

Ihr unterstelle ich, dass sie gar nicht austreten will. Dass sie den Auftrag in ihrer Funktion erfüllt, aber so, dass irgendwer am 28. März sagen kann: Wir haben’s probiert, aber lassen wir’s doch. Vielleicht lenkt sie alles in Bahnen, dass es aussieht nach Brexit, aber nach außen nichts passiert ist. Die Übergangsphase bis mindestens Ende 2020 deutet schon darauf hin. Was die britische Regierung macht, ist alles Show. Jeder weiß: Da werden unzufriedene Bürger mit einer Show befriedigt. Wir sitzen in der größten Show der letzten 50 Jahre. Und die Darsteller sind Trump, May, Kurz …

Offensichtlich geht es dabei nicht um die wahren Probleme.

Es wird noch ein paar Jahre dauern, bis die Menschen erkennen: Ach so, da wird ja Musical gespielt.

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Tragödie oder Komödie?

Definitiv eine Boulevardtragödie. Bis jetzt. Aber sie hat vielleicht ein Happy End. Ich glaube, die Leute unterschätzen den Wert der EU für Europa. Trotz aller Missstände und Dummheiten, die passieren, war die Entscheidung richtig, dass die Nationen zusammenkommen, um Probleme gemeinsam zu lösen. Es dauert länger, alle sind unzufrieden, weil’s ein Kompromiss ist. Aber wir hauen uns nicht mehr in die Goschen.

Ein großer Fortschritt in der europäischen Geschichte.

Genau. In einer Zeit, in der durch die Erfahrung Bestätigtes nichts mehr zählt und nur mehr die Emotion entscheidet, kann man sich Dinge auch nur mit der Emotion erklären. De facto gibt’s nichts Dümmeres als den Brexit. Man muss wie in einem Beziehungsstreit mit der Emotion aufhören, um wieder zur Vernunft zu kommen.

Und wie könnte „Versöhnungssex“ zwischen Britannien und der EU aussehen?

Darüber werde ich am besten mit John Cleese von Monty Python reden.

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