Bye Bye Love: Wie prominente Österreicher den Brexit sehen
Mirjam Weichselbraun, Moderatorin
„In London leben über 14 Millionen Menschen, und es werden rund 300 Sprachen und Dialekte gesprochen. Es ist multikulturell, lebendig, laut und leise zugleich. Fast ein Drittel der Stadt ist Grünfläche. Ich liebe die kulturelle Szene in London und die Menschen. Du kannst an jedem Tag der Woche etwas unternehmen, musst aber nicht. Die Stadt lässt dich so sein, wie du willst. Das hat Vor- und Nachteile, generell fühle ich mich dort aber sehr wohl“, so die ORF-Moderatorin, die seit 2013 mit dem Talentmanager Ben Mawson und der gemeinsamen, mittlerweile fünfjährigen Tochter Maja in der britischen Hauptstadt lebt – im Stadtteil Islington.
Vor allem die Höflichkeit der Engländer schätzt sie sehr. „Ich bin generell auf große Hilfsbereitschaft, Freundlichkeit und einen unschlagbaren Sinn für Humor getroffen, der dem österreichischen sehr ähnelt.“ Noch hat sich nicht viel bezüglich der Lebensqualität verändert, zumindest bemerkt sie noch nicht wirklich etwas davon. Nur, eines ist klar, der Brexit spaltet. „Es teilt die Menschen. Weniger in London, denn hier hat man nicht für den Brexit gestimmt, aber London ist auch nicht aussagekräftig für das restliche Großbritannien. Menschen diskutieren, aber viele scheinen auch erst jetzt langsam zu realisieren, was Brexit eventuell wirklich bedeutet.“ Sie selbst kann dem auch nicht viel abgewinnen. „Generell bin ich gegen den Brexit und glaube nicht an Alleingänge eines Landes. Ich bin für ein Miteinander“, so Mirjam, die sich auch nicht festlegen möchte, für immer in London zu leben. „Ich mache keine großen Prognosen für die Zukunft. ,Home is where your heart is.‘“
Alfred Dorfer, Kabarettist
„Man überschlägt sich medial in der Kritik an den Visegrád-Staaten, was das Thema Nationalismus betrifft, aber bei Betrachtung des Brexit-Dramas und den Kommentaren diverser Torys wird klar, dass gewisse Teile Großbritanniens ohnehin nie in Europa angekommen sind. Denken wir nur an Sonderrechte, die anderen Staaten nie gewährt worden wären, die Prinzessin im Ärmelkanal jedoch machte vieles davon abhängig. Das alles ist für mich sehr bedauerlich. Ein ganzes Land büßt für die Idiotie von wenigen mächtigen weißen Männern.“
Gerhard Zeiler, Medienmanager
„Es war für viele, insbesondere in London, 2016 ein Schock, als die Abstimmung für den Brexit ausging, doch unmittelbar nach der Abstimmung sind die prophezeiten Einbrüche in der Wirtschaft ausgeblieben. Jetzt aber merken die meisten, dass sich sehr wohl etwas verändert hat. Es gibt eine höhere Inflation. Die Briten bekommen spürbar weniger für ihr Pfund. Zudem berichten die Medien intensiv darüber, was passieren könnte, wenn es zum hard brexit kommt. Es gibt Meldungen, wonach nicht alle Medikamente zeitgerecht aus Europa importiert werden. Wonach verderbliche Waren nicht innerhalb von 48 Stunden ins Land gelangen könnten.
Das verursacht nicht nur den Menschen ein mulmiges Gefühl. Internationale Konzerne, auch Turner Media, bereiten sich auf ein No-Deal-Szenario vor. Wir müssen spätestens im Jänner entscheiden, ob wir die Sendelizenzen in ein anderes europäisches Land transferieren. Trotzdem: Es gibt mehr und mehr Hoffnung bei den Brexit-Gegnern, dass es zu einem zweiten Referendum kommt. Und dass diesmal die Entscheidung für den Verbleib Großbritanniens in der EU ausgeht. Insbesondere hoffen viele, dass viele Junge, die 2016 nicht zur Wahl gingen, nun die Wichtigkeit der Entscheidung erkennen und vermehrt an der Abstimmung teilnehmen. Ich gehe jedenfalls davon aus, dass es noch weitere, chaotische Wochen geben wird mit möglichen Neuwahlen. Aber ich hoffe, dass es zu einer Verschiebung des Austritts, der mit März 2019 terminisiert ist, kommt. Es kann weder im Interesse von Europa noch im Interesse von Großbritannien sein, dass es zu einem chaotischen No-Deal-Austritt kommt.“
Andreas Kronthaler, Modeschöpfer
„Ich finde die EU ohne England weniger super, und ich finde auch England ohne die EU weniger gut. Meiner Meinung nach gehören wir zusammen, und der Brexit schadet dieser Gemeinschaft“, ist Andreas Kronthaler überzeugt. Und er präzisiert: „Ich habe Bedenken im Bezug auf die großen Probleme der Zukunft, die zusammen gelöst werden sollten. Hier denke ich vor allem an die Natur und die Umwelt.“ Über diese Themen spricht er fast täglich mit Vivienne Westwood, mit der er seit 26 Jahren verheiratet ist. Nicht über den Brexit. „Das wäre verschwendete Zeit und Energie. Natürlich wird in der Stadt wahnsinnig viel darüber geredet. Das geht einem richtig auf die Nerven.“
Bei Vivienne Westwood hat der inzwischen international gefeierte Modeschöpfer an der Universität für angewandte Kunst in Wien studiert. Ihretwegen ist der Tiroler nach London übersiedelt. Und schwärmt jetzt: „Ich liebe London. Es ist so eine super Stadt mit einer unvergleichlichen Kultur, und sie hat noch immer diese Weltoffenheit. In den fast 30 Jahren, die ich jetzt da bin, hab ich mitgekriegt, wie das Land von der Zuwanderung profitiert hat. Hier kann ich das, was ich mache, am besten machen.“ Außer es geht um die Produktion. Denn: „80 Prozent unserer Mode wird in Italien hergestellt.“
Als der KURIER ihn am Telefon erreicht, fährt Andreas Kronthaler gerade nach Hause: „Wir wohnen ja in Battersea im Südwesten von London. Mit dem Rad durch die Stadt zu fahren, ist so inspirierend. Ich freue mich jedes Mal auf gewisse Ecken und Geschäfte, an denen ich vorbeifahre. Das gibt mir so viel Energie.“
Thaddaeus Ropac, Galerist
„Ich dachte mir immer, es wird schon eine Lösung geben, die für alle funktioniert. Doch die vergangenen Tage haben das infrage gestellt. In der Kunstszene hier in London macht sich Pessimismus breit – das ist aber erst seit Kurzem so. Die Kunstwelt wird zweifellos unter dem Brexit leiden müssen. Beim Geschäft denke ich gar nicht so sehr daran, da wird alles – etwa aufgrund der Mehrwertsteuern – einfach nur sehr viel komplizierter. Aber wir haben auch viele Europäer im Team, einige sind mit Familien hierher umgezogen, als der Londoner Standort der Galerie vor eineinhalb Jahren eröffnete.
Die sind natürlich verunsichert, und von allen Seiten hört man nur, dass das, was an Regelungen angedacht war, im nächsten Moment wieder infrage gestellt wird. Man fängt immer wieder bei null an. Und das ist nicht nur bei uns so, sondern auch bei den Museen: Der Leihverkehr wird für sie etwa viel schwieriger. Es gibt italienische Museen, die haben Ausstellungen, die für den Herbst in London angedacht waren, einfach abgesagt. Und natürlich trifft die Museen der Personenverkehr, es gibt ja Hunderte Mitarbeiter in jedem großen Museum, und viele davon sind Europäer. Auch in den Galerien, der Oper – die Kulturinstitutionen sind voll mit Europäern, der freizügige Austausch wurde hier immer intensiv genützt. Es war mir auch lange nicht so bewusst, dass das jetzt unglaubliche Auswirkungen haben wird. Ich bereue aber auf keinen Fall, nach London gegangen zu sein – die Entscheidung dazu ist ja erst nach dem Brexit-Votum gefallen. Wir haben halt immer gehofft, dass alles nicht so heiß gegessen wird.“
Christian Fuchs, Fußballprofi
„Ich bin vor Kurzem am britischen Parlament vorbei spaziert. Da denkt man nach, warum die Entscheidung so gefallen ist. Man bekommt das Gefühl, dass viele im Nachhinein gescheiter geworden sind, dass sie nicht gut aufgeklärt worden sind, dass sie sich der Konsequenzen nicht bewusst waren.“
Christian Fuchs verfolgt in England das politische Geschehen seit 2015 hautnah. Gleich in seinem ersten Jahr wurde er zu einer Berühmtheit, weil er mit dem eher kleinen Klub Leicester FC sensationell englischer Fußballmeister wurde. Noch heute wird er auch in London erkannt, wenn er einen Abstecher in die Hauptstadt macht – mit dem Zug etwas mehr als eine Stunde. So stellte erst diese Woche ein Bollywood-Sänger mit indischen Wurzeln ein gemeinsames Foto im Bahnhof St. Pancras auf seinen Twitter-Account.
„Das Leben hier in England ist echt gut. London ist eine Superstadt, so richtig multikulturell. Aber so ist auch Leicester, wenn auch kleiner“, sagt der 32-Jährige. Multikulturell, weltoffen – das ist auch sein berufliches Umfeld mit Mitspielern aus der ganzen Welt.
Fuchs stammt aus dem Ort Pitten/NÖ, hat schon in Deutschland gelebt. Wenn es ihm der Job erlaubt, ist er in New York, wo seine Frau und seine drei Kinder leben. Engstirnigkeit hat er in den USA und in England kaum erlebt. Vor einigen Wochen ist der Klubchef von Leicester bei einem Hubschrauberunglück gestorben. „Die Stadt war fast in Schockstarre, nicht nur die Fans des Vereins waren tief betroffen.“ Der Eigentümer des Leicester FC war ein Milliardär aus Thailand.
Thomas Brezina, Schriftsteller
„London ist die Stadt, in der ich am meisten inspiriert werde“, sagt der berühmte österreichische Kinderbuchautor Thomas Brezina, der dort seit vielen Jahren seinen Zweitwohnsitz hat. „Kultur in England ist immer etwas für möglichst viele Menschen, nicht wie bei uns für eine Elite. Das alleine schätze ich schon sehr. Und ich mag auch die englische Höflichkeit! Als Mitteleuropäer muss man sich in England eine völlig andere Diktion angewöhnen – weil man sonst als extrem unhöflich angesehen wird.“
Nun sei aber „die Zerrüttung des Landes wirklich erschütternd“. Brezina ist von der Debatte rund um den Brexit betroffen – und zwar auch persönlich: „Ich hatte einen sehr, sehr guten Freund. Der hat sich als vehementer Brexiteer herausgestellt – und verwendet Argumente, die unglaublich sind. Es geht dabei ganz massiv darum, die Grenzen dicht zu machen. Diese Freundschaft ist daran zerbrochen.“
Die EU werde in England seit 40 Jahren als Sündenbock herangezogen – „für jedes Problem, das es dort politisch gibt“. Es sei vor der Abstimmung zum Brexit „grauenvolle populistische Propaganda“ betrieben worden, die sich „jetzt als falsch herausstellt“. Ein anderer Teil der Bevölkerung und „sämtliche andere Freunde, die ich dort habe“, litten „unendlich“ unter der Aussicht auf den Brexit. „Die sind geschockt und beten dafür, dass eine neue Befragung kommt.“
Eine etwaige Erholung von diesem Bruch, der durch das Land geht, würde aber auch bei einem Verbleib in der EU „viele Jahre dauern“, sagt Brezina. „Hier sind in der Bevölkerung Gräben aufgerissen worden.“ Und selbst ein geregelter Brexit würde „massiven wirtschaftlichen Schaden“ mit sich bringen. Es gebe zwar zum Teil immer noch ein „Inseldenken“ – aber nicht mehr bei der Generation unter 35. „Das sind Europäer. Aber die sind nicht zur Abstimmung gegangen, weil jeder gedacht hat, das wird soundso eindeutig für den Verbleib ausgehen.“
Sabinna Rachimova, Modeschöpferin
„Ich kann das Wort Brexit schon nicht mehr hören. Alle glauben, ich weiß mehr, weil ich hier lebe“, klagt die in Wien aufgewachsene Designerin mit russischen Wurzeln. Bei Schella Kann betrat sie die Welt der Mode, jetzt hat Sabinna in London ihr eigenes Studio. Aber: „Auch die Politiker wissen nicht mehr. Es gibt überall Raum, sich zu verbessern. Kein Europa ist nicht die Lösung. Viele Leute begreifen langsam, dass sie falsch informiert wurden. Menschen, die verschiedener Meinung sind, sollten mehr miteinander reden.“
Benjamin Hofer, Hotelmanager
„Das Thema beschäftigt hier viele. Die Gespräche sind eher ernst, nach Lachen ist glaube ich den wenigsten zumute.“ So schildert Benjamin Hofer die Stimmung in London. Der Oberösterreicher lebt seit elf Jahren hier, derzeit ist er Food-&-Beverage-Manager des Luxushotels „Corinthia“. Wegen seines Status als EU-Bürger macht er sich keine Sorgen, Einfluss auf die Situation habe er sowieso nicht. „Ich bin optimistisch, dass London ein attraktiver Marktplatz bleibt. Als Europäer hoffe ich aber auf ein zweites Referendum.“
Susanne Chishti, FinTech-Unternehmerin
„Ich liebe die Höflichkeit der Briten. Allerdings muss man lernen, die Gesprächskultur zu interpretieren und zwischen den Zeilen zu lesen. Wenn man im Büro gefragt wird: ,Würde es dich stören, mir bei dieser Aufgabe zu helfen?‘ (Would you mind to pls help me complete this task?) kommt das einem Befehl nahe, den man nicht abschlagen darf. Engländer üben nicht gerne offen Kritik und haben lustige Redewendungen, ihr Entsetzen zu verpacken. Die beste Antwort ist: That’s interesting! Das kann alles bedeuten.“
Barbara Wutte, The Royal Society
„Ich lebe seit 15 Jahren in UK. Sobald man irgendwo, sei es im Supermarkt oder an einer Haltestelle, steht und wartet, werden die Briten eine Schlange bilden. Niemand drängt oder quengelt, um Erster zu sein. Dieses schöne, respektvolle und zivilisierte Verhalten habe ich sehr zu schätzen gelernt. Anders als in Österreich wird die Zuverlässigkeit des öffentlichen Verkehrs sehr gelassen gesehen. Kommt man deswegen zu spät zur Arbeit oder zum Meeting, wird dies einfach akzeptiert. Niemand ist deshalb böse.“
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