Nehammer unterstützt Macron-Vorschlag für Gemeinschaft mit Ukraine
Österreich unterstützt die Idee des französischen Präsidenten Emmanuel Macron für eine neue politische Gemeinschaft der EU mit möglichen künftigen Mitgliedern wie der Ukraine. "Die finde ich super, ich hab sie unterstützt im Rat", sagte Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) vor österreichischen Journalisten in Rotterdam. Der Vorschlag habe auch "die Unterstützung des Großteils des Europäischen Rates", so Nehammer unter Verweis auf Wortmeldungen beim jüngsten EU-Gipfel.
Kritisch gesehen wird Macrons Vorschlag in der Europäischen Volkspartei (EVP), an deren Kongress Nehammer in Rotterdam teilnahm. Der neue EVP-Präsident Manfred Weber sagte im APA-Gespräch, dass der Vorschlag auf "Zweite-Klasse-Europäer" hinauslaufe. "Das ist ein Verweigern der Verantwortung. Jetzt muss man sagen: Gehören die dazu oder gehören die nicht dazu, ja oder nein. Man muss sich jetzt entscheiden", forderte er die Erteilung des Kandidatenstatus für die Ukraine und Moldau beim nächsten EU-Gipfel im Juni.
Nehammer räumte ein, dass Macrons Idee "noch nicht sehr konkret" sei, zog aber selbst einen Vergleich zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR). "Wir brauchen wieder einen Zwischenschritt, der ein Stück weit mehr ist als nur der Kandidatenstatus, der tatsächlich nichts verändert, aber gleich sicherstellt, dass es eine Perspektive gibt", argumentierte Nehammer. Konkret nannte er die Themen Rechtsstaatlichkeit, Rechtssicherheit für Unternehmen, polizeiliche Kooperation sowie wirtschafts- und sozialpolitische Fragen. "Ich halte das für eine spannende Idee und Frankreich hat dafür die Unterstützung von österreichischer Seite."
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte den Vorschlag Macrons in seiner Videoansprache beim jüngsten EU-Gipfel scharf kritisiert. "Wir weisen jeden Versuch zurück, eine Alternative zu finden, die niemand braucht, oder etwas anderes für die Ukraine zu finden", so Selenskyj. "Ich verstehe jede Kriegslogik", sagte Nehammer in Anspielung auf Selenskyj. "Gleichzeitig muss man sagen: Für Österreich hat das nicht gegolten, es war eigentlich unser Einstieg", verwies der Kanzler auf den EWR, dem Österreich mit anderen Mitgliedern der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) im Jahr 1994 beigetreten war. Ein Jahr später erfolgte der EU-Beitritt Österreichs.
Seine Unterstützung für den Vorschlag begründete Nehammer mit den Blockaden im Beitrittsprozess. So bemühe sich die Türkei schon seit Jahrzehnten um die EU-Mitgliedschaft, während etwa Nordmazedonien von Bulgarien blockiert werde. Es gebe also innerhalb der EU "viele Baustellen".
In der Diskussion über den Beitrittskandidatenstatus für die Ukraine gebe es derzeit "kein homogenes Stimmungsbild innerhalb der Regierungschefs in der EU", argumentierte Nehammer weiter. "Akzeptiert" sei, dass man jedenfalls auch über Moldau sprechen muss, betonte der Kanzler. Dieses Land leiste nämlich nicht nur "Unglaubliches" auf humanitärem Gebiet, sondern sei auch "extrem abhängig, wenn die russische Seite Druck aufbaut", verwies Nehammer etwa auf die Abhängigkeit von russischem Gas. "Wenn es um die Ukraine geht, muss man auch Moldau mitdenken", so der Kanzler, der am Rande des EVP-Kongresses die moldauische Präsidentin Maia Sandu getroffen hatte.
Nehammer brach zugleich eine Lanze für die ebenfalls in die EU strebenden Länder des Westbalkans. Diese würden der Diskussion über die Ukraine "sehr genau zuhören". Wenn man der Ukraine mit dem EU-Kandidatenstatus eine "Hoffnungsperspektive" gebe, weil dieser faktisch ohnehin nichts ändere, "aber beim Westbalkan zögert und zaudert, dann versteht das der Westbalkan nicht". Schließlich hätten die dortigen Staaten schon viele Bedingungen für die EU-Annäherung erfüllt. "Da gibt es viel Engagement, wir müssen das ernst nehmen."
Der Kanzler kritisierte das mangelnde Interesse der anderen EU-Staaten an der Region. Mit Ausnahme seines kroatischen Kollegen sei er der erste EU-Regierungschef "seit Jahren wieder" gewesen, "der direkt den Balkan bereist hat. Das muss sich ändern." Der Westbalkan stehe nämlich "auf Augenhöhe als geopolitische Sicherheitszone" mit der Ukraine. "Das muss man so sagen, es wird nicht immer gern gehört." Nehammer nannte konkret den geopolitischen Einfluss von Akteuren wie China, den Emiraten und der Türkei, aber auch "Fragen der Organisierten Kriminalität, des Terrors und der Migration".
Freilich dürfe man keine "Konkurrenzsituation" zwischen der Ukraine und dem Westbalkan entstehen lassen, betonte Nehammer. Man müsse Kiew signalisieren, "dass sich nichts an der Verurteilung, an unserem Engagement mit den Sanktionen gegen die Russische Föderation etwas ändern wird, aber wir trotzdem auf die Welt auch weiterschauen müssen".
Die EU-Staaten müssten sich auch damit konfrontieren, dass "der Großteil der Welt" nicht die Sicht des Westens auf den Ukraine-Krieg teile. Deshalb sollten die europäischen Politiker auch Signale nach Asien und Afrika senden, die Länder besuchen und sich die dortige Meinung anhören. "Wenn mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung nicht der Meinung ist, die wir gerade vertreten, dann sollte man das nicht ignorieren, sondern proaktiv vorgehen", postulierte Nehammer. Dies bewirke nämlich auch eine "Einschränkung des russischen Handlungsspielraumes und in Wahrheit die Verstärkung der Sanktionen."
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