Bittere Pillen der Realpolitik für die Ukraine

So bitter das für die Ukraine ist: Der Donbass, eine riesige Landmasse im Osten des Landes (siehe Seite 6), scheint mittelfristig verloren. Da helfen auch alle Durchhalteparolen aus Kiew und neue Waffenlieferungen aus dem Westen nichts mehr. Der Kriegsherr aus Moskau hat einfach militärische Fakten geschaffen – genau so wie schon vor acht Jahren, als Wladimir Putin die ukrainische Krim annektierte.
Völkerrechtlich ist das illegal, moralisch höchst verwerflich, vor allem der jüngste Waffengang, bei dem alle russischen Kriegsverbrechen (und etwaige ukrainische) penibel aufgearbeitet und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden müssen. Doch politisch muss man mit dieser neuen Situation auch umgehen. Und wenn „Krieg die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“ ist (Carl Philipp Gottlieb von Clausewitz), muss auch der Umkehrschluss gelten: Die Politik als Fortsetzung des Schlachtens. Letztendlich war es noch in jedem Konflikt so.
Das mögliche Szenario: Russland erreicht sein militärisches Minimalziel mit maximalen Verlusten – die östlichen Gebiete der Ukraine, die teils vorher schon unter russischem Einfluss standen, und damit die Landbrücke zur Krim. Putin könnte das als Erfolg in der großen vaterländischen „Spezialoperation“ verkaufen – und Frieden geben. Dazu müsste auch die Ukraine bereit sein, diese Gebiete abzugeben.
Moral ist leider keine Kategorie
Keinen Millimeter werde man abtreten, heißt es dagegen aus dem Regierungsbunker in Kiew. Es ist klar, dass Präsident Wolodimir Selenskij so argumentiert, sonst könnte er gleich die Kapitulation und seinen Rücktritt unterschreiben. Doch am Ende des Tages wird auch er nicht daran vorbeikommen, die realpolitischen Fakten anzuerkennen.
Unmöglich, Putin darf mit seinem Angriffskrieg nicht durchkommen, heißt es immer wieder – und zu Recht. Doch ein wenig heuchlerisch ist das Argument auch: War und ist der Westen wirklich bereit, voll hinter der Ukraine zu stehen (die, wie es oft heißt, auch unsere Werte verteidigt)? Nein, war und ist er nicht: Die benötigten schweren (Angriffs-)Waffen kamen zu spät, ein komplettes Energieembargo der EU gibt es auch nicht. Und was wäre denn die Alternative zu einem Waffenstillstand? Ein Abnutzungskrieg mit noch mehr Tod und noch mehr Vertreibung. Und dass die ukrainischen Truppen die russischen wieder außer Landes jagen könnten – das glauben wohl nicht einmal die härtesten Falken in Kiew.
Das alles ist mehr als unbefriedigend und frustrierend. Doch in dem globalen Powerplay divergierender Interessen ist Moral keine Kategorie. Die Streitparteien sollten das dreckige Fenster, das sich jetzt möglicherweise öffnet, nützen, durch das ohnehin nur Verlierer erkennbar sind: Die Ukraine sowieso, aber auch Russland, das über Jahre oder Jahrzehnte als Paria in Europa gelten wird.

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