"Wettlauf gegen die Zeit": Wann kommen die Waffen in der Ukraine an?
Für die Ukraine wird es im Donbass zunehmend eng. Der Westen liefert zwar neue schwere Waffen, Experten befürchten aber, dass Russland den Osten bis dahin bereits erobert haben könnte.
Stolz hat Deutschlands Bundeskanzler Olaf Scholz der Ukraine die nächste schwere Waffenlieferung zugesichert. Deren Präsident Wolodimir Selenskij hatte nachdrücklich Luftabwehrsysteme gefordert, mit denen man den russischen Bombardements etwas entgegensetzen könnte.
Nur Stunden nachdem schon US-Präsident Joe Biden angekündigt hatte, diesem Wunsch in Form von Raketengeschützen nachzukommen, erklärte Scholz am Mittwoch im Bundestag: Mit einem der modernsten Luftabwehrsysteme der Bundeswehr, dem sogenannten IRIS-T-SLM, „versetzen wir die Ukraine in die Lage, eine ganze Großstadt vor russischen Luftangriffen zu schützen“, so Scholz.
Es ist bereits die dritte Waffenlieferung innerhalb weniger Wochen, die Deutschland zugesichert hat. Kritiker bemängeln allerdings, dass keines der Pakete (50 Flugabwehr-Panzer, sieben Panzerhaubitzen und ein Artillerie-Radar) in nächster Zeit in Kiew ankommen wird. Gerade die Flugabwehr-Panzer vom Typ Gepard könnten frühestens im Juli geliefert werden, wahrscheinlich sogar später.
Vorteil bei den Russen
Wochen des Wartens stehen also an, die sich die Ukraine aktuell nicht leisten kann. „Wenn die Waffensysteme in der Ukraine ankommen, fängt der Lieferprozess in Wahrheit erst an“, erklärt der Militäranalyst Franz-Stefan Gady vom Londoner Institut für Internationale Strategische Studien (IISS).
„Es wird Wochen, vielleicht Monate dauern, bis sie vollends in das ukrainische Militär integriert sind“, so Gady. Das heißt: „Die Soldaten müssen dafür ausgebildet und die Organisation der Armee unter Umständen neu aufgestellt werden.“
Die russische Armee steht unterdessen angesichts des zwar langsamen, aber stetigen Vormarschs im Osten des Donbass kurz davor, die ukrainischen Truppen einzukesseln. Berichten zufolge fehlen den Russen dafür nur noch knapp zwanzig Kilometer. Der östlichste Punkt der Verteidigungslinie, die Stadt Sewerodonezk, ist bereits teilweise von den Russen besetzt.
Die Verteidigung des Donbass’ sei „ein extremer Wettlauf gegen die Zeit“, sagt Oberst Berthold Sandtner von der Landesverteidigungsakademie des österreichischen Bundesheeres dem KURIER. Bis die schweren Waffen aus dem Westen einsatzbereit wären, „zeichnet sich dort eine Entscheidung zugunsten der Russen ab“, meint er.
Militäranalyst Gady sieht im Donbass ebenfalls Vorteile bei den Russen. „Momentan ist das vor allem ein Artillerieduell, bei dem die russische Armee im Vorteil ist“, sagt er. „Auf Seiten der Ukraine hört man dagegen von Mängeln, sowohl was die Feuerkraft als auch die Munitionsvorräte betrifft.“ Seiner Meinung nach könne man aber angesichts der ungenauen Informationslage, vor allem was die Abnützung der russischen Einheiten betrifft, „nicht voraussagen, wie das ausgehen wird“.
Ist es danach vorbei?
Russlands Außenminister Sergej Lawrow hatte die Eroberung des Donbass’ am Montag zur „bedingungslosen Priorität“ in diesem Krieg erklärt. Sandtner rechnet deshalb auch damit, dass die russische Armee ihren Vormarsch vorübergehend stoppen könnte, sollte sie die beiden Regionen Donezk und Lugansk zur Gänze besetzt haben.
Schließlich sei die Fläche, die Russland in der Ukraine kontrolliere, „schon jetzt ein riesiges Gebiet“, das „enorm schwer zu halten“ sei, so Sandtner (s. Grafik). „Umgekehrt muss die Ukraine so ein Gebiet bei einer Gegenoffensive aber auch erst einmal zurückerobern.“ Er könne sich daher gut vorstellen, „dass in so einem Fall Verhandlungen aufgenommen werden“.
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