Wie der NATO-Staat Türkei künftig den geopolitischen Spagat üben will

Türkischer Präsident Tayyip Erdogan
Sie sieht sich als zunehmend mächtiger Gegenpol zur westlich, von den USA und Europa, dominierten Welt: Die Gruppe der so genannten BRICS-Staaten. Nun will auch noch die Türkei dazustoßen, schon vor Monaten soll die Führung in Ankara in Russland und China um Aufnahme angefragt haben.
Bereits im Oktober könnte es so weit sein und der Türkei somit ermöglichen, auf zwei Hochzeiten gleichzeitig zu tanzen: Als NATO-Staat ist die Türkei eng mit der westlichen Militärallianz verbunden, während sie sich gleichzeitig einem anti-westlichen Bündnis zuwendet. Ein spektakulärer Schritt. Doch wie soll das funktionieren? Die wichtigsten Fragen und Antworten dazu.
Warum will die Türkei der BRICS-Gruppe überhaupt beitreten?
„Die Türkei kann stark, wohlhabend, prestigeträchtig und effizient werden, wenn sie ihre Beziehungen sowohl zum Osten als auch zum Westen gleichzeitig verbessert“, sagte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan laut Nachrichtenagentur „Bloomberg“ am Wochenende. Das bedeutet: Die Türkei will ihre Schaukelpolitik ausbauen, also ein wohl austariertes System an Verbündeten und Gegnern, das sich je nach weltpolitischer Großwetterlage auch wieder ändern kann.
So bleibt die Türkei im Gleichgewicht, ohne sich zu sehr einer Seite auszuliefern. Ein Beispiel: Der Ukraine liefert die Türkei Drohnen, Fahrzeuge und andere Waffen, gleichzeitig hilft man aber auch Russland, teilweise die Sanktionen zu umgehen.
Wer oder was sind die BRICS-Staaten?
"BRICS" steht für die Anfangsbuchstaben der fünf Länder Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika, die sich zu einer lose verbundenen Staatengruppe zusammengeschlossen haben. Beim jüngsten BRICS-Gipfel im Vorjahr wurde auch Argentinien, Ägypten, Äthiopien, Iran, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate ein Beitrittsangebot gemacht. Argentinien lehnte ab, Saudi-Arabien überlegt noch. BRICS+ umfasst nun also neun Staaten. Den scharf anti-westlichen Ton gibt hier klar China an.
Und was genau wollen die BRICS-Staaten? Bzw was hat die Türkei von einem Beitritt?
Die Position der beteiligten Länder soll so in der Weltwirtschaft und in internationalen Institutionen - wie UNO, Internationaler Währungsfonds und Weltbank - gestärkt werden, möglicherweise sollen sogar Gegeninstitutionen aufgebaut werden. Weltpolitische Fragen und Krisen werden in dieser Allianzgemeinsam behandelt. Immer mit einem klaren Gegenkurs zu Washington.
Die Türkei wäre das erste NATO-Mitglied, das dem von Moskau und China geführten Brics-Block beitritt. Geht das überhaupt?
Ja, so lange keinerlei militärische Aktivitäten involviert sind. Vorerst ist die BRICS-Gruppe ausschließlich als lockerer wirtschaftspolitischer Block vorgesehen. Die Türkei kann also ein weiterhin unverzichtbarerer Partner der NATO bleiben, muss keine militärischen Geheimnisse preisgeben. So aber stellt die Türkei ihre Wirtschaft breiter auf und baut ihren geopolitischen Einfluss aus.
Ist das die türkische Retourkutsche, weil beim EU-Beitritt nichts weitergeht?
Seit zwanzig Jahren treten die Bemühungen der Türkei, der EU beizutreten auf der Stelle. Seit dem gescheiterten Putschversuch 2016 und den daraufhin einsetzen Repressionsmaßnahmen liegen die Gespräche mit Brüssel überhaupt auf Eis.
Österreich tritt sogar offen dafür ein, die Gespräche endgültig zu beenden. Der Frust über diese offene Ablehnung spielt sicher eine Rolle dabei, sich auf anderen Wegen Wirtschaftspartner und politische Freunde zu suchen. So viele Regulierungen und Gesetze wie in der EU gibt es innerhalb der BRICS nicht. Die Wirtschaftsbeziehungen der Türkei zu China und Indien könnten sich erheblich verbessern.
Und was bedeutet eine BRICS-Mitgliedschaft der Türkei geopolitisch?
Auf der globalen Bühne würde die Türkei ihre Rolle stärken. Gleichzeitig aber wächst auch die Herausforderung:
Die Türkei muss eine Balance zwischen den Vorteilen neuer Partnerschaften und den bestehenden Verpflichtungen gegenüber den westlichen Institutionen finden - Schaukelpolitik eben, in der die Türkei durchaus geübt ist, als ein Land, das zwischen Asien und Europa liegt.
Wer ist die treibende Kraft hinter BRICS?
Am Anfang, nämlich 2006, stand China, und nach wie vor ist es das Bestreben Pekings, die BRICS-Gruppe auszubauen. So wird das geopolitische Gewicht Chinas erhöht, indem es Verbündete um sich sammelt. Ein Beitritt der Türkei wäre für Peking ein umso größerer Prestige- und Einflussgewinn, weil die Türkei über die NATO auch zu den Verbündeten der USA zählt.
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