Nach Raketenhagel auf den Libanon: Israel spricht von "Krieg"
Es war der tödlichste Tag des gegenseitigen Beschusses, in Israel leugnet niemand mehr, dass man auch im Norden gegen die Hisbollah einen Krieg führt. Hisbollah-Kommandant Qubaisi soll zudem getötet worden sein.
„Das ist Krieg", melden die Medien in Israel und aller Welt nach dem jüngsten Raketenhagel auf Hisbollah-Stellungen im Libanon. Israels Armee hat auch schon einen Namen: „Pfeile des Nordens“. Wer aber in den letzten elf Monaten Israels Grenzregion im Norden besuchte, weiß: Dieser Krieg begann schon im Oktober 2023 - wie der Krieg im Gazastreifen.
Doch Israels Premier Benjamin Netanjahu hat beschlossen, dass der Krieg im Norden jetzt wichtiger ist als der im Süden. Bislang war von „grenzüberschreitendem Tagesgeplänkel“ mit Raketen- und Drohnenbeschuss die Rede.
Jetzt heißt es Krieg, auch wenn im Vergleich zu Gaza immer noch eine Bodenoffensive fehlt. Aber die kann jederzeit kommen.
Die Hisbollah ist inzwischen schwer angeschlagen
Vorläufig hat die libanesische Schiitenmiliz Hisbollah die Reichweite ihrer Raketenangriffe gegen Israel erhöht. Auch wegen des wachsenden Drucks durch Israel: Mit Explosionen von Pagern an den Gürteln der Hisbollah-Elitesoldaten, mit gezielten Tötungen hochrangiger Hisbollah-Kommandanten, mit der Zerstörung mehrerer Hundert Raketenrampen, die als „geheim“ galten.
Gut die Hälfte des Raketenvorrats der Hisbollah sei somit ausgeschaltet, heißt es. Selbst wenn diese Schätzung der israelischen Armee übertrieben sein sollte: Die Hisbollah ist schwer angeschlagen.
Nicht nur sie. Wieder flüchten Zigtausende Südlibanesen in den Norden ihres seit Jahren ohnehin wirtschaftlich und politisch kränkelnden Staates. Israels Armeesprecher hatte sie am Montag über alle Medien und Netzwerke, sogar in direkten Textnachrichten, gewarnt: Haltet euch von Einrichtungen der Hisbollah fern.
Zuletzt stieg die Sympathie der Libanesen für die Hisbollah
Viele Libanesen erinnern sich noch an den zweiten Libanon-Krieg 2006 mit all seinem Blutvergießen und seinen Zerstörungen. Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah sagte damals: „Hätte ich gewusst, wie er endet, hätte ich ihn nicht angefangen.“ Erinnert sich Nasrallah auch 2024 daran?
Nach den verstärkten Angriffen Israels letzte Woche stiegen die Sympathie der Libanesen für die Terrormiliz. Aber „Solidarität“ kann im zersplitterten Libanon schnell wieder in Hass umschlagen.
Wie 2005 nach dem Attentat auf Präsident Rafik Hariri;wie 2020 nach der Explosion in den Hisbollah-Lagerhallen am Beiruter Hafen. Nasrallah spielt mit dem Feuer, in das er die eigene Hand halten muss.
Raketen flogen bis nach Tel Aviv
Auch in Nordisrael fliehen die Menschen aus den Ortschaften, die bislang nicht evakuiert wurden. Erste evakuierte Grenzbewohner, die in den letzten Wochen ihre Rückkehr wagten, ziehen wieder nach Süden. Fünf Kilometer ist die evakuierte Gefahrenzone Israels breit.
Am Dienstag waren aber auch Schulen geschlossen, die 50 Kilometer von der Grenze entfernt liegen.
Die Hisbollah hat nicht nur die Reichweite ihrer Raketen erhöht, sondern auch deren Feuerkraft. So schwer ihre Verluste auch sein mögen – die Hisbollah kann weiter schießen. 800.000 Israelis wurden in den letzten Tagen immer wieder von den Alarmsirenen in die Schutzräume gejagt.
Bedroht ist auch Tel Aviv - und sogar noch südlichere Städte. Die meisten Raketen werden von der Luftabwehr abgefangen. Viele fallen auf offenes Gelände, aber nicht alle. In Vororten der Hafenstadt Haifa zerstörten sie am Sonntag mehrere Häuser in einem Wohnviertel.
All das ist nur ein ganz leichter Vorgeschmack auf das, was zu erwarten wäre, sollte es zu einem ganz Israel, ganz Libanon und dann wohl auch alle Nachbarn umfassenden Krieg kommen.
USA und Iran halten sich nach wie vor zurück
Auch die Zeitung Haaretz erinnerte sich am Dienstag an den Krieg von 2006. Er hätte, so die Zeitung, nach wenigen Tagen und sehr erfolgreichen Anfangserfolgen mit einem Abkommen beendet werden können. Doch dauerte es dann drei Monate. Mit Blut, Schweiß und Tränen für beide Seiten.
Die USA halten sich bei all den Spannungen überraschend zurück. Ob aus Frust über die weiter erfolglosen diplomatischen Vermittlungen oder abwartend, ist unklar. Fest steht nur: Noch gibt es keine Bodenoffensive, noch hält sich also auch der mit der Hisbollah verbündete Iran zurück.
Haaretz warnte am Dienstag vor Euphorie. Vor immer noch fehlenden politischen Zielen im Süden wie im Norden. Vor dem Vergessen der 101 israelischen Geiseln in den Hamas-Bunkern im Gazastreifen. Die Angehörigen der Entführten sind verzweifelt. Sie haben die Sympathien der Öffentlichkeit, aber nicht mehr ihre ganze Aufmerksamkeit. Krieg geht vor.
"Druck führt zu weiteren Morden"
Schmuel Levy, Großvater der 20-jährigen Geisel Naama Levy, steht mit 78 Jahren jeden Tag an der nahen Hauptstraße. Mit einem Bild seiner Enkelin in der Hand schaut er den vorbeifahrenden Autofahrern in die Augen.
Nicht alle schauen zurück, sagt er: „Die Behauptung, militärischer Druck befreie die Entführten, ist falsch. Das haben wir jetzt nach der Ermordung von sechs Geiseln gesehen. Druck führt zu weiteren Morden.“
Hisbollah-Kommandant Qubaisi getötet
Bei einem israelischen Luftangriff auf die südlichen Vororte von Beirut ist am Dienstag ein Hisbollah-Kommandant getötet worden, der eine führende Rolle in der Raketenabteilung innehatte. Laut zwei Insiderquellen soll es sich beim dem Toten um Ibrahim Qubaisi handeln. Der Angriff, bei dem sechs Menschen getötet wurden, war ein weiterer Schlag für die vom Iran unterstützte Gruppe, die in der vergangenen Woche eine Reihe von Rückschlägen durch Israel hinnehmen musste.
Außerdem wurden zwei Mitarbeiter des UNO-Flüchtlingshilfswerks UNHCR getötet. Die Organisation sei "entsetzt und zutiefst traurig", teilte UNHCR mit. Das Wohnhaus einer Kollegin, die seit zwölf Jahren im UNO-Büro im Osten des Landes arbeitete, sei von einer israelischen Rakete getroffen worden. Auch ihr jüngster Sohn sei dabei umgekommen. Der weitere getötete Mitarbeiter habe seit Jahren im Büro in der Küstenstadt Tyros gearbeitet. UNHCR sei "empört über die Tötung unserer Kollegen".
Israel meldet "umfangreiche" Angriffe auf Hisbollah-Ziele
Das israelische Militär hat nach eigenen Angaben Dienstagabend eine neue Angriffswelle auf Hisbollah-Ziele im Libanon gestartet. Die Armee "führt gerade umfangreiche Angriffe auf Terrorziele der Hisbollah im Libanon aus". "Details folgen", hieß es weiter.
Aus dem Umfeld der Hisbollah wurde indes der Tod Qubaisis bestätigt.
(kurier.at, jar)
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Aktualisiert am 24.09.2024, 17:53
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