Montenegro: Ein Hafen für deutschsprachige Corona-Schwurbler?
„Netter Versuch, Genosse Major“ oder „Journalistin, eine gute Tarnung“: Antworten wie diese erhält der KURIER auf einen Aufruf in einer Facebook-Gruppe, in der sich überwiegend nach Montenegro ausgewanderte Russen befinden.
Ihre Skepsis zeigt wohl, wie kreativ der russische Geheimdienst dabei ist, die eigenen Staatsbürger zu überwachen - selbst oder gerade dann, wenn sie im Ausland leben. Denn viele von denen, die gehen, sind nicht mit der autoritären Politik von Präsident Wladimir Putin einverstanden.
Die meisten abwandernden Russen zieht es in Nachbarländer wie Armenien und Kasachstan, seit dem Einmarsch ihres Landes in die Ukraine vor über einem Jahr und der Teilmobilmachung im September sind es viele mehr geworden.
Einige treibt es aber auch weiter weg, etwa ins kleine Balkanland Montenegro. Rund 14.000 Russen sollen dort im Herbst 2022 gelebt haben - bei einer Gesamteinwohnerzahl von 630.000.
"Starke kulturelle Verbindung"
„Wir haben eine starke kulturelle Verbindung, die schon seit Jahrhunderten besteht“, erklärt der 37-jährige Russe Vsevolod – einer der Facebook-User, die sich dem KURIER schließlich doch anvertrauen. Die Beziehung zwischen Montenegro und Russland reicht tatsächlich weit zurück, bis in die Regierungszeit von Zar Peter dem Großen.
Der Herrscher erklärte sich im 18. Jahrhundert dazu bereit, das kleine orthodoxe Fürstentum unter russischen Schutz zu stellen. Daraufhin war Montenegro lange eine Art Stützpunkt der russischen Balkanpolitik, die sich vor allem gegen die Osmanen, aber auch gegen die Habsburger richtete.
Dass Marketing-Fachmann Vsevolod zusammen mit seiner sechsköpfigen Familie Moskau verließ, ist noch nicht so lang her. Seit sieben Jahren lebt er mittlerweile in der Küstenstadt Bar im Süden von Montenegro. Die Gründe für den Umzug seien vielfältig gewesen: das schlechte russische Gesundheitssystem, die Politik unter Putin, der Traum vom Reisen.
„Montenegro erfüllt viele unserer Wünsche“, sagt er. In wenigen Flugstunden oder ein paar Auto-Reisetagen könne man - „von Moskau bis Lissabon“ - fast überall in Europa sein. Dann sind da noch das warme Wetter, die Berge, das Meer.
Steueroase
Und, besonders attraktiv in Zeiten wie diesen: Russen brauchen kein Visum, um in Montenegro leben zu können. „Es ist billig und einfach, herzukommen und sich ein Unternehmen aufzubauen“, sagt Vsevolod. Bei der Firmengründung hilft noch ein Umstand: Montenegro gilt als Steuerparadies.
Dieser Umstand machte Montenegro lange Zeit auch für jene Russen attraktiv, die vom System Putin eigentlich profitieren: die berühmt-berüchtigten, steinreichen Oligarchen. Sie kauften die teuersten und schicksten Villen auf - Küstenstädte wie Bar, Budva oder Kotor verwandelten sich in russische „VIP-Resorts“.
Und als Putin in die Ukraine einmarschierte und es zu internationalen Sanktionen gegen Russland kam, versuchte so mancher Oligarch auch, sein Vermögen in Montenegro in Sicherheit zu bringen – mit Hilfe einer Staatsbürgerschaft, die knackige 450.000 Euro kostet.
In den letzten Monaten haben sich die superreichen Russen aber offenbar immer mehr aus Montenegro zurückgezogen. Denn das Land unterstützt die Sanktionen der EU gegen sie, die ihnen das luxuriöse Leben und Geschäftemachen auch an der sonnigen Adria-Küste erschweren.
„Sie sind verunsichert, wie es weitergeht“, weiß Michael Bader. Der Deutsche lebt seit 15 Jahren in Bar, vermietet dort Wohnraum und berät Touristen wie Auswanderer, die es nach Montenegro zieht. Erst diese Woche habe er einen Verkauf begleitet, erzählt er: „Eine russische Familie hat ihre Wohnung in Montenegro verkauft. Das Geld wollten sie in bar ausbezahlt haben.“ Seit Kriegsbeginn liegen viele Milliarden Euro an russischem Vermögen auf ausländischen Konten, eingefroren.
Deutsche überholten Russen bei Immobilienkauf
Obwohl kein Oligarch, ist das Arbeiten in Bar auch für Vsevolod schwieriger geworden. Seine kleine Werbefirma bekam seit Inkrafttreten der Sanktionen deutlich weniger Aufträge. „Ich kann mit vielen meiner früheren Klienten nicht mehr zusammenarbeiten, weil sie ihre Unternehmen entweder schließen oder ihre Budgets stark einkürzen mussten.“
Laut Zahlen der montenegrinischen Zentralbank kauften die Russen im Zeitraum Jänner bis Oktober 2022 zwar trotzdem noch Immobilien im Wert von 50 Millionen Euro. Die größten Käufer waren jedoch erstmals die Deutschen, mit 57 Millionen. Bei den Österreichern waren es acht Millionen, insgesamt gaben Ausländer 370 Millionen Euro für montenegrinische Immobilien aus.
Mit Corona-Politik unzufrieden
Für viele Deutsche und Österreicher dürfte es sich dabei nur um Feriendomizile handeln, laut Michael Bader verkaufen aber auch immer mehr ihre Häuser und Wohnungen in der Heimat und wandern ganz nach Montenegro aus. Neben den Gründen, die auch für die Russen relevant sind, gebe es noch einen triftigen: „Viele sind gekommen, weil sie mit der Corona-Politik der Regierungen unzufrieden sind.“
Etwa 800 Deutsche hätten derzeit eine Aufenthaltsgenehmigung und leben ganz dort, inoffiziell dürften es wohl mehr sein. Auch der Umstand, dass Montenegro noch kein EU-Mitglied ist, bewegt laut Bader einige dazu, herzukommen: „Sie wollen ihr Geld ganz konkret außerhalb der EU anlegen.“
Diese Menschen dürften sich darüber freuen, dass der 2009 gestartete Beitrittsprozess zuletzt ins Stocken geraten ist. Dabei galt Montenegro lange als jenes Land, das in Sachen Westbalkan-Erweiterung die Nase vorne hatte. Seit letztem Sommer steckt das Land in einer Regierungskrise, das Verfassungsgericht war lange gelähmt. Auch die Präsidentenwahl am Sonntag dürften die hohe Arbeitslosigkeit, Korruption und Klan-Kriminalität nicht beenden, wirft aber die Frage auf, wie es mit dem Land weitergehen soll.
Anstellung nicht erstrebenswert
Wie die Russen machen Deutsche und Österreicher sich in Montenegro die Steuervorteile zunutze, gründen Firmen und betreuen internationale Kunden. Das bedeutet ein hohes Gehalt für niedrige Lebenskosten - Einheimische verdienen im Schnitt 800 Euro.
Sich eine Anstellung zu suchen ist für Deutsche und Österreicher daher wenig erstrebenswert. Dazu kommt, dass es fast keine Jobs gibt. Durch die Zuwanderer - ob russische oder deutschsprachige - wird das Leben in den Küstenstädten Montenegros aber für alle teurer. „Die Preise sind in den letzten Jahren massiv angestiegen“, sagt auch Bader. Daher sei es aktuell sehr schwer, bezahlbaren Wohnraum zu finden.
Nach dem suchen die Deutschen und Österreicher aber. Sie ziehen nicht in die pompösen Villen der Russen ein, die gehen. „Nein, sie kaufen eher Einfamilienhäuser oder Ferienwohnungen, die sie vermieten können“, sagt Bader.
Die Luxushäuser der Russen dürften in Zukunft also immer mehr leer stehen. Wohl kein allzu großer Unterschied für das Leben in Budva und Bar, schließlich haben die meisten Oligarchen auch nur ein paar Mal im Jahr vorbeigeschaut.
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