Mordfall Lübcke: Ein Urteil, aber kein Ende

Mordfall Lübcke: Ein Urteil, aber kein Ende
Der rechtsextrem motivierte Mord an CDU-Politiker Walter Lübcke wurde mit der Höchststrafe für den Hauptangeklagten geahndet. Die politische Aufarbeitung ist damit noch lange nicht erledigt.

„Wir wollen die volle Wahrheit, wie es wirklich war“ – so konfrontierte Irmgard Braun-Lübcke am ersten Prozesstag den Mann auf der Anklagebank. Knapp sechs Monate später gibt es zwar ein Urteil, aber noch viele offene Fragen.

Der 47-jährige Stephan E . wurde im Oberlandesgericht Frankfurt zu lebenslanger Haft verurteilt. Die Richter stellten die besondere Schwere der Schuld fest – eine Entlassung nach 15 Jahren ist unwahrscheinlich.

Der Mann hatte gestanden, den CDU-Politiker Walter Lübcke in der Nacht auf den 2. Juni 2019 auf der Terrasse seines Hauses in Wolfhagen bei Kassel mit einem Kopfschuss getötet zu haben – aus Hass über die liberale Flüchtlingspolitik, für die der Politiker Lübcke stand.

Opfer-Familie enttäuscht

Dabei hatte E. insgesamt drei verschiedene Versionen der Tat erzählt – und einen anderen belastet. Doch der Mitangeklagte Markus H., der E. aufgehetzt haben soll, erhielt aus Mangel an Beweisen nur eine Bewährungsstrafe. Für die Familie Lübcke ist es ein „schmerzliches Urteil“, so ihr Sprecher. Sie sei überzeugt, dass beide Angeklagte die Tat vorbereitet, geplant hatten und gemeinsam am Tatort gewesen seien. Das Gericht hätte nicht alles ausgelotet, was möglich gewesen wäre.

Die Rechtsextremismusforscherin Judith Rahner von der Amadeu Antonio Stiftung ortet im Gespräch mit dem KURIER ebenfalls großen Aufklärungsbedarf: „Wie konnte es dazu kommen, dass ein vorbestrafter Rechtsextremer vom Verfassungsschutz ab 2009 als 'abgekühlt' eingestuft wurde, sich aber weiter radikalisiert hat?“ Mit diesen Fragen wird sich künftig ein U-Ausschuss des hessischen Landtages beschäftigten. Dabei geht es auch um das rechtsextreme Netzwerk in Hessen, das größer sein könnte, als angenommen.

Stephan E. hat sich dort radikalisiert und in den 1990ern mehrere Straftaten begangen. Später gründete er eine Familie, war Mitglied im Schützenverein, aber sein Weltbild hat er nie abgelegt: Er spendete an die AfD, ging auf deren Demos, schrieb im Netz Hassbotschaften. Auf dem Gelände seines Arbeitgebers vergrub er acht Waffen.

„Wer wusste noch davon? Und warum hat keiner interveniert“, fragt sich Rahner. Sie sieht in E. einen Rechtsterroristen, der in der Mitte der Gesellschaft lebte, mit seinen Ansichten nirgendwo anstieß. Und nimmt daher ebenso andere in die Pflicht: „Familie, Freunde, Nachbarn, Kollegen müssen hinschauen und intervenieren.“

Mehr Schutz für Engagierte und Lokalpolitiker

Es bedürfe mehr Schutz für jene, die den Hass abbekommen, fordert Edgar Franke, Opferbeauftragter der Bundesregierung. „Drohungen sind für viele, die sich politisch engagieren, beinahe Alltag geworden.“ Immer wieder hätten sich Bürgermeister an ihn gewandt, die um ihre Familien fürchten. Auch Walter Lübcke klagte über massive Drohungen, nachdem er sich 2015 bei einer Veranstaltung zur Flüchtlingspolitik aggressiven Zwischenrufern entgegengestellt hatte. Unter den Anwesenden waren Stephan E. und der Mitangeklagte Markus H. Wer die christlichen Werte des Zusammenlebens nicht vertrete, „kann dieses Land jederzeit verlassen“, sagte Lübcke. Eine Aufnahme dieser Szene landete im Netz, genauso wie seine Adresse. Zeitweise bekam er Polizeischutz, aber mehr nicht.

Dabei gab es bereits zuvor tätliche Angriffe auf Lokalpolitiker. Henriette Reker entging 2015 vor ihrer Wahl zur Kölner Oberbürgermeisterin knapp dem Tod durch das Messer eines Neonazis. 2016 erlitt Andreas Hollstein, Bürgermeister von Altena, schwere Verletzungen durch einen Mann, getrieben vom Hass auf Flüchtlinge und Politiker.

Politische Wende

Der Mord an Lübcke ist eine Zäsur: Erstmals seit 1945 wurde ein politischer Repräsentant aus rechtsextremistischen Motiven getötet. Die Anschläge in Halle und Hanau taten ihr Übriges, um ein Umdenken im Umgang mit Hass im Netz und Rechtsextremismus zu bewirken.

Dass sich das Bundeskabinett damit befasste, ist für Judith Rahner „ein politisches Signal auf höchster Ebene“. Ein eigens gegründeter Ausschuss hat 89 Maßnahmen vorgelegt. Dass sich jüngst das Bundeskabinett damit befasste, ist für Judith Rahner „ein politisches Signal auf höchster Ebene“. „Es soll zum Beispiel eine enge Verzahnung zwischen Zivilgesellschaft und Sicherheitsbehörden geben“, sagt die Expertin und will dies kritisch beobachten: „Die Bekenntnisse sind da, jetzt müssen wir schauen, was an Aktionen kommt.“

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