Am Balkan ist man seit dem Terroranschlag vom 2. November in Wien alarmiert. Islamismus und Radikalisierung sind auch hier keine Fremdwörter. Zwei Phänomene werden von Sicherheitsbehörden in der Region beobachtet: Erstens ein für Europa vergleichsweise hoher Anteil an Syrien-Reisenden (bzw. -Rückkehrern) und zweitens die so genannten Dschihadistendörfer in Bosnien-Herzegowina, in denen ein streng konservativer Islam gelebt wird.
"Es ist die Nachwirkung einer langen stillen Einflussnahme von arabischen Organisationen am Balkan", sagt Faruk Ajeti, Affiliated Researcher am Österreichischen Institut für Internationale Politik. Deutlich geworden sei dieser Einfluss, als sich im Zuge des Krieges in Syrien und Irak Hunderte Jugendliche dem IS angeschlosssen haben.
Aus Syrien in die Staaten des Westbalkan zurückgekehrt sind bis Ende 2019 insgesamt knapp 500 Islamisten. Zwei Drittel von ihnen stammen aus Bosnien und Kosovo. Die meisten der Syrien-Reisenden sind junge Männer. Sie wurden vor allem in armen, ländlichen Gegenden rekrutiert, stammen aus ärmsten Verhältnissen, erklärt Ledion Krisafi vom Albanischen Institut für Internationale Studien in Tirana.
Auch aus Österreich und der Schweiz sind viele der Personen, die nach Syrien gezogen sind, von bosnischer oder - in geringerem Maße - albanischer Herkunft, erklärt Johannes Saal, Dschihadismusforscher an der Uni Luzern.
Unter dem Radar der Religionsbehörden
Die Imame, die sich auf deren Rekrutierung spezialisiert haben, agieren oft unter dem Radar der Religionsbehörden der dortigen Staaten. Krisafi bezeichnet sie als „illegale“ Imame, die oftmals in Saudi-Arabien ausgebildet worden sind und eine konservative, wahabitische Linie des Islam predigen. Ein großer Teil der Rekrutierung passiert – wie in deutschsprachigen Ländern – im Internet, auch mit Videos auf Albanisch oder Bosnisch. Je ausgeklügelter und „cooler“ die auf sie zugeschnittenen Social-Media-Beiträge wurden, desto jünger wurden die Rekruten.
Als Hilfsorganisationen getarnte Vereine aus Saudi Arabien und anderen Golfstaaten haben seit den Kriegen in den Neunzigern in Bosnien und dem Kosovo Fuß gefasst – sie sind großteils mit offenen Armen empfangen worden, denn jede Hilfe war willkommen. Doch heute weiß man, dass diese Organisationen vor Ort eine streng konservative Lehre des Islam propagieren – in manchen Fällen eine radikale.
Es gibt Berichte dass sie Einheimischen Geld dafür zahlen, sich traditionell muslimisch zu kleiden, oder dafür, streng muslimisch zu leben. Moscheen, die mit arabischen Geldern seit den Neunzigern gebaut wurden, sind meist leicht von den anderen zu unterscheiden. Männer mit langen Bärten sind immer wieder in der sonst so "westlichen" Gesellschaft zu sehen, streng konservative Vereine hängen zum Beispiel kurz vor Silvester Plakate auf, auf denen erinnert wird, dass "Muslime nicht feiern" sollen.
Relikt aus den Balkan-Kriegen
Insbesondere Bosnien hat mit dem Problem zu kämpfen. Tausende Mudschaheddin (islamische Kämpfer), vor allem aus dem Nahen Osten haben hier ab 1993 an der Seite der Armee gekämpft. Einige von ihnen sind geblieben – trotz Versuche eder bosnischen Politik, sie wieder loszuwerden.
Sie haben sich teils in entlegenen Dörfern niedergelassen, wo sie ihre radikale Vorstellung des Islam ausleben – das bekannteste ist die 200-Seelen-Gemeinde Gornja Maoča im Norden Bosniens. Geheimdienste vermuten, dass die Dörfer auch immer wieder als Drehscheibe für Syrien-Auswanderer gedient haben. Es gebe auch Hinweise, dass sie dort Trainings erhalten hätten, sagt Dschihadismusforscher Johannes Saal.
Außerdem sollen über Gemeinden wie Gornja Maoča transationale Kontakte geknüpft worden sein. Finanziert wurden sie lange von den saudischen Playern, die der bosnischen Politik, aber auch der bosnischen islamischen Glaubensgemeinschaft, ein Dorn im Auge sind. Und – und hier kommt die Verbindung zu Österreich ins Spiel – von Teilen der Diaspora im Ausland. Bosnische Salafisten in Wien haben laut Johannes Saal eine zentrale Rolle im Aufbau dieser Enklaven gespielt.
In Nordmazedonien ist der Einfluss aus arabischen Staaten nicht so stark. Problematisch allerdings ist der Einfluss der Türkei. Allerdings wird von türkisch geprägten Imamen nicht ein derart stark salafistischer Islam gepredigt, sondern eher ein politischer Islam, eine konservative Gesellschaft. Damit wird aber nicht unbedingt eine stärkere Gefahr der Radikalisierung verbunden. "Die albanische Gesellschaft wird tendenziell religiöser", sagt Politikwissenschaftler Thomas Schmidinger dem KURIER. Dass das in "irgendeiner Weise etwas mit dem Täter von Wien zu tun hat", bezweifelt Schmidinger allerdings.
Moderate Muslime sehen Gefahr
Die meisten Muslime am Balkan sehen die Gelder aus den Golfstaaten und der Einfluss von Radikalen und auch von Konservativen als Gefahr. "Die Gefahr besteht darin, dass diese Imame dafür predigen, den stark konservativen Islam als Gegenmodell zu demokratischen und westlichen Gesellschaftsformen anzubieten", sagt Faruk Ajeti. "In diesem Zusammenhang ist auch der traditionelle Islam am Balkan unter Druck und von dschihadistischem Extremismus herausgefordert."
Auch die Glaubensgemeinschaften haben mit diesem Phänomen zu kämpfen. Der oberste islamische Gelehrte in Bosnien, Husein Kavazović, sagte nach dem Anschlag in Wien: „Wenn wir diesen Menschen die Chance geben, unser Vertrauen ineinander zu brechen, dann werden sie Unruhe bringen, unsere Welt wird dann nicht mehr frei sein.“
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