Warum um das Massaker von Srebrenica noch immer gestritten wird
Es sind wohl Spuren für die Ewigkeit. Die Gräueltaten, die sich während des Bosnienkriegs im Sommer 1995 in der bosnischen Stadt Srebrenica abspielten und durch die über 8.000 Muslime starben (siehe Infobox), sind bald 29 Jahre her.
Doch sie wirken bis heute nach - und werden auf dem westlichen Balkan als Politikum gerade so heftig diskutiert wie schon lange nicht mehr. Der Präsident der Republika Srpska, Milorad Dodik, leugnet den Genozid in Srebrenica aktuell fast täglich. Und er droht auffallend direkt mit einer De-facto-Abspaltung des mehrheitlich serbisch besiedelten Landesteils von Bosnien-Herzegowina.
In der bosnischen Stadt Srebrenica haben bosnisch-serbische Einheiten im Sommer 1995 rund 8.000 muslimische Männer und Jungen ermordet. Das Massaker gilt als das schlimmste Kriegsverbrechen in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg und wurde seither von internationalen Gerichten als Völkermord eingestuft.
Das UN-Kriegsverbrechertribunal verurteilte den damaligen bosnischen Serbenführer Radovan Karadzic und seinen Armeechef Ratko Mladic unter anderem wegen des Massakers von Srebrenica zu lebenslanger Haft.
Der Anlass: In den kommenden Tagen oder Wochen soll die UN-Generalversammlung über eine von Deutschland und Ruanda eingebrachte Resolution abstimmen, die die Geschehnisse in Srebrenica offiziell als Genozid anerkennen würde. Am Donnerstag, den 23. Mai hat sich die UNO geeinigt einen Gedenktag einzuführen. Dieser ist für den 11. Juli ab 2025 vorgesehen.
Abstimmung schon wieder verschoben
Eigentlich hätte es am heutigen Donnerstag zu der Abstimmung kommen sollen, doch sie wurde mittlerweile zum zweiten Mal verschoben. Stand jetzt dürfte der Beschluss dennoch mit großer Wahrscheinlichkeit auf die erforderliche Zweidrittelmehrheit kommen und angenommen werden - ein Horrorszenario für Dodik, aber auch den serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić, der die Republika Srpska in dieser Frage unterstützt.
Warum gehen die Wogen bei diesem Thema fast drei Jahrzehnte nach dem Massaker noch derart hoch? „Die Vergangenheitsaufarbeitung in der Region ist nicht gelungen“, sagt Balkan-Experte Vedran Džihić vom oiip. Noch immer würden die Verbrechen der 90er-Jahre geleugnet: „Jede Seite sieht sich als Opfer und aus der jeweiligen Nationalperspektive gibt es kaum Täter.“
"Identitätsstiftendes Ereignis"
Derzeit würden Politiker wie Dodik die Vergangenheit zum Zweck der Machtsicherung in einem ähnlichen Ausmaß politisieren wie in den 90er-Jahren selbst. Srebrenica stelle hierbei einen Knotenpunkt dar: „Für die Bosniaken handelt es sich um ein identitätsstiftendes Ereignis. Den Opfern, Müttern, aber auch dem Staat geht es bei der Resolution vorrangig um eine Anerkennung ihres Schmerzes und ein Sich-Erinnern, damit so etwas nicht mehr passiert.“
Aus Sicht der bosnischen Serben und Serbiens sei die Resolution ein „bösartiger Angriff des Westens und der Bosniaken auf Serbien, um Serbien den Stempel eines ‚genozidalen Volkes‘ aufzudrücken“, wie Vučić bereits gesagt habe. Dabei werden Serbien und die Republika Srpska in dem Beschluss bewusst nicht direkt erwähnt.
Bosnien-Herzegowina ist seit Ende des Kriegs 1995 in zwei weitgehend autonome Landesteile aufgeteilt: die bosniakisch-kroatische Föderation und die Republika Srpska. Den Krieg, der 1992 begann und rund 100.000 Menschen das Leben kostete, beendete der Friedensvertrag von Dayton. Bei öffentlichen Ämtern ist in Bosnien seither ethnischer Proporz entlang der drei Staatsvölker - Bosniaken, Serben und Kroaten - vorgesehen.
Über die Einhaltung des Dayton-Vertrags wacht der Internationale Hohe Repräsentant (HR), der auch Gesetze erlassen darf, wenn die politischen Lager keine Kompromisse finden können. Der aktuelle internationale Vertreter, der Deutsche Christian Schmidt, machte bereits mehrmals von seinen umfangreichen Befugnissen, den sogenannten Bonn-Powers, Gebrauch. Die politischen Kräfte in Bosnien-Herzegowina sehen den HR kritisch.
Der Republika Srpska geht das Geld aus
Die Vehemenz der Drohungen aus der Republika Srpska dürfte auch damit zu tun haben, dass Dodik stark unter Druck steht: Die USA haben Sanktionen gegen ihn erlassen, außerdem muss er sich in Sarajewo vor Gericht verantworten, weil er Entscheidungen des internationalen Repräsentanten in Bosnien nicht anerkannt hat. Vor allem aber geht dem Landesteil das Geld aus, nachdem westliche Gelder und Kredite in den vergangenen Jahren ausgeblieben sind.
Aus all diesen Gründen kann der Politiker der Bevölkerung laut Džihić derzeit nicht viel anbieten, außer eben den Sezessionsdrohungen. Es gehe bei Dodik aktuell ums „nackte politische Überleben“. Auch deshalb setze er stark auf russische Unterstützung, die in der Republika Srpska traditionell gut ankommt. Ein Wiederaufflammen der Konflikte auf dem Westbalkan sei auch im Sinne des Kremls, so der Experte, würde das doch wohl weniger westliche Ressourcen für die Ukraine bedeuten.
Wird die UN-Resolution zu Srebrenica angenommen, ist diese auch als ein Signal an Russland zu werten. Denn bezüglich des Massakers von Butscha 2022 in der Ukraine wurde das Wort „Genozid“ ebenfalls wieder in den Mund genommen, manche sprachen bereits vom „Srebrenica des 21. Jahrhunderts“. Die Geschehnisse dort müssen aber erst noch vollständig aufgeklärt werden.
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