EU-Ägypten-Deal ist durch: Was mit den 7,4 Brüssel-Milliarden an Kairo passieren soll

Bundeskanzler Karl Nehammer und der griechische Regierungschef Kyriakos Mitsotakis am Sonntag
Das am Sonntag unterzeichnete Papier wird als Migrations-Abkommen verkauft, doch es geht um mehr. Nur 200 Millionen Euro sind für Grenzschutz, Flüchtlingsversorgung und Co gedacht.

Es kam keineswegs überraschend, ein Paukenschlag ist es dennoch: Das schon länger verhandelte EU-Partnerschaftsabkommen mit Ägypten ist unterzeichnet. Dafür flogen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP), die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, die Regierungschefs Griechenlands, Kyriakos Mitsotakis, und Belgiens, Alexander de Croo, sowie Zyperns Präsident Nikos Christodoulidis am Sonntag extra zu Präsident Abdel Fattah Al-Sisi nach Kairo.

Satte 7,4 Milliarden Euro fließen nun bis 2027 aus Brüssel nach Ägypten, darunter fünf Milliarden Euro an Makrofinanzhilfe. Eine Milliarde soll bereits bis Jahresende ausbezahlt werden, die restlichen vier in Tranchen. Beim Rest handelt es sich um Zuschüsse und Investments. Mit dieser Summe möchte man das von einer Finanzkrise gebeutelte Ägypten stabiler und sicherer machen.

Laut Schätzungen sechs Millionen Flüchtlinge im Land

Im Gegenzug soll Al-Sisi einerseits alles daran setzen, die illegale Migration aus Afrika in die EU einzudämmen. In seinem Land, das er mit eiserner Hand regiert, leben Schätzungen zufolge um die sechs Millionen innerafrikanische Flüchtlinge. Sie kommen vor allem aus dem Sudan, Äthiopien und Eritrea. Auch die Ägypter selbst verlassen ihre Heimat aufgrund politischer und wirtschaftlicher Probleme: 2023 bildeten sie laut Bundeskanzleramt die zweitgrößte Gruppe ankommender Asylwerber in Italien. 

Schon jetzt aber kommen diese Menschen kaum über Ägypten nach Europa, sondern reisen meist in den Osten Libyens und setzen sich dann an dessen Küste in eins der gefährlichen Schlepperboote.

Vergleichsweise kleine Summe für Migration 

Was also erwartet die EU konkret von Ägypten? Wie genau soll Al-Sisi den am Sonntag versprochenen Geldbatzen verwenden? 200 Millionen Euro – also tatsächlich nur ein kleiner Teil der großen Summe – ist gezielt für den Bereich Migration gedacht. Damit sollen etwa der Grenzschutz verstärkt und die Geflüchteten im Land versorgt werden. 

Legale Migrationswege sind ebenfalls ein Punkt der Abmachung. Wie aus zahlreichen anderen Staaten wünscht man sich auch aus Ägypten mehr Fachkräfte, die in der EU fehlen – in Österreich beispielsweise Pflegekräfte. Hierfür möchte man Vorbereitungs- und Ausbildungskurse fördern, heißt es.

Gipfeltreffen alle zwei Jahre

Doch mit den Zahlungen sollen sich auch die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu Kairo verbessern. So sieht das Abkommen etwa alle zwei Jahre ein Gipfeltreffen zwischen den Präsidenten Ägyptens und den Spitzen von EU-Kommission sowie EU-Parlament vor. Auch beim Thema erneuerbare Energien will man intensiver zusammenarbeiten, eins der großen Stichwörter lautet hier grüner Wasserstoff, wo Ägypten ein Vorreiter werden möchte. 

Kairo wird in Brüssel als verlässlicher Partner wahrgenommen - eben auch, weil fast keine Migranten von seiner Küste aus nach Europa kommen. Der Fokus auf das 110-Millionen-Einwohnerland ist aber vorwiegend mit der Angst Europas vor noch mehr Instabilität dort - und damit noch mehr Migranten - zu erklären. Denn die wirtschaftliche Lage Ägyptens droht sich aufgrund der Konflikte in der Ukraine (gestiegene Getreidepreise), im Sudan und im Gazastreifen, dessen Grenze zu Ägypten Al-Sisi für Flüchtende ebenfalls geschlossen hält, weiter zu verschlechtern.

EU-Ägypten-Deal ist durch: Was mit den 7,4 Brüssel-Milliarden an Kairo passieren soll

Von links nach rechts: Karl Nehammer, Kyriakos Mitsotakis, Ursula von der Leyen, Abdel Fattah Al-Sisi, Nikos Christodoulides, Alexander De Croo und Giorgia Meloni 

Nehammer: „Müssen Tabus brechen“

Nehammer, der bei einem Kairo-Besuch 2023 den Anstoß für den Deal gab, sieht das Abkommen als „erfolgsversprechend“. Man habe in der EU „oft und lange den Fehler gemacht, ‚von oben herab‘ zu agieren“. Stattdessen brauche es „Abkommen, die für beide Seiten gewinnbringend sind“, wie der Ägypten-Deal für ihn eins ist. Ziel des Kanzlers ist es, Asylverfahren in „sicheren Drittstaaten“ durchzuführen und in solche auch abzuschieben. Um das zu erreichen, müsse man „Tabus brechen“, so Nehammer. 

Österreich verhandelt derzeit auch eine bilaterale Rückübernahme-Vereinbarung mit Ägypten. Für deren Abschluss soll Al-Sisi in absehbarer Zeit nach Österreich reisen.

Die italienische Regierungschefin Meloni sagte bei einer Pressekonferenz in Kairo, das Abkommen habe "historische Relevanz", und fasste zusammen: "Der beste Weg, um illegaler Migration entgegenzutreten und Bürger des afrikanischen Kontinents darin zu bestärken, nicht nach Europa zu emigrieren, ist Weiterentwicklung." Das sei genau, was sie und ihre Kollegen in Ägypten machen würden.

EU-Ägypten-Deal ist durch: Was mit den 7,4 Brüssel-Milliarden an Kairo passieren soll

Fluchtwege durch die Sahelzone

Probleme beim Tunesien-Deal 2023 

Die EU hat bereits ähnliche Deals mit anderen Ländern, der Türkei etwa, geschlossen. Wie viel die neue Abmachung mit Ägypten der Union tatsächlich bringt, bleibt abzuwarten. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein "Migrations-Abkommen" nicht so läuft wie von der EU erhofft. Nach der Unterzeichnung eines ähnlichen, von von der Leyen als „Meilenstein“ gelobten Vertrags 2023 mit Tunesien kam es nicht nur erstmal zu einem starken Anstieg der Flüchtlingszahlen, bevor es in den vergangenen Monaten dann weniger wurden. Es gab auch laute Kritik und einen Streit mit Tunis. 

Menschenrechtsorganisationen berichteten, dass tunesische Behörden zahlreiche Flüchtlinge an der Grenze zu Libyen einfach ausgesetzt und sie gezwungen hätten, das Land mitten in der Wüste zu Fuß zu verlassen. Der EU-Deal sei kaum an Bedingungen geknüpft geworden und garantiere keine menschenwürdige Behandlung der Migranten, wurde damals bemängelt. 

Tunesien lehnte nach Spannungen mit der EU - nur wenige Monate nach Schließung des Abkommens - Zahlungen in Höhe von 127 Millionen Euro ab, nachdem Brüssel diese zuvor erheblich gekürzt hatte. Einer Delegation des EU-Parlaments verweigerte Tunesien im September außerdem die Einreise.

Kritik am Ägypten-Deal

Auch die Vereinbarung mit Ägypten wird von NGO-Vertretern und Migrationsexperten mit Argwohn betrachtet. Flüchtlingsorganisationen sehen den Schutz der Menschenrechte auch hier nicht gewahrt. Migranten würden bei ihrer Flucht in Folge bloß auf "gefährlichere Routen" ausweichen.

Der KURIER begleitete Bundeskanzler Karl Nehammer auf Einladung nach Kairo.

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