Kantersieg oder Teilerfolg? Vor den Kongresswahlen in den USA prophezeien Demoskopen den oppositionellen Republikanern einen „guten“ Abend, der womöglich „großartig“ werden könne. Im Senat, wo ein 50:50-Patt besteht, das nur durch die Zünglein-an-der-Waage-Stimme von Vizepräsidentin Kamala Harris bei wichtigen Gesetzesvorhaben zugunsten der Demokraten aufgelöst wird, stehen kommenden Dienstag 35 Sitze neu zur Vergabe. 21 Republikaner und 14 Demokraten wollen ihre Posten verteidigen.
Laut Umfragen wird sich hauptsächlich in Georgia, Ohio, Pennsylvania, Nevada und Arizona entscheiden, ob die zweite Kammer des Kongresses in der Hand der Demokraten bleibt. Oder ob die Republikaner einen Doppelsieg landen. Denn im Repräsentantenhaus, wo sich alle 435 Abgeordneten dem Wähler stellen müssen, wird die Erfolgschance der Konservativen bereits auf über 80 Prozent taxiert – verbunden mit einem Stimmenvorsprung von bis zu 25 Mandaten. Was kein Novum wäre: Seit Ende der 1930er-Jahre bis 2018 hat die Partei, die den Präsidenten stellt, in 22 „Midterms“ im Schnitt 28 Sitze im Repräsentantenhaus und vier im Senat abgeben müssen.
Gerade im Senat gibt es mehrere Kopf-an-Kopf-Rennen. Je näher der Wahltag rückt, desto mehr wird der Blick auf die Kandidaten geschärft. Bei den Republikanern überwiegen extreme Loyalisten von Ex-Präsident Donald Trump. Sie beten seine Lüge vom Wahlbetrug 2020 nach. Das könnte bei parteiunabhängigen Wählern zum Problem werden. In der Folge fünf enge Rennen, auf die es voraussichtlich ankommt.
Pennsylania: Mehmet Oz, 62, ein über 100 Millionen Dollar schwerer TV-Doktor mit türkischen Wurzeln, ist ein Trump-Zögling ohne politisches Hinterland. Er soll den Sitz des republikanischen Urgesteins Pat Toomey verteidigen. Oz hat seinen Lebensmittelpunkt in New Jersey, ist also ortsfremd.
Sein demokratischer Kontrahent John Fetterman betont das regelmäßig. Der 53-jährige Hüne (2,03 Meter) gäbe mit Glatze, Tätowierungen und Kapuzenpulli einen prima Jugendleiter im sozio-kulturellen Zentrum nebenan ab. Als Vize-Gouverneur des Bundesstaates hat sich Fetterman den Ruf eines harten Streiters für Arbeitnehmerinteressen erworben, der zu den „Reps“ abgewanderte Wähler zurückholen kann.
Fettermans Run hat aber gelitten, seit ihn im Sommer ein Schlaganfall ereilte, den er zunächst verheimlichte. Vor einer TV-Debatte vor wenigen Tagen, bei der er teilweise eine hilflose Figur machte, rangierte Fetterman mit fünf Prozentpunkten vor Oz.
Ohio: Eigentlich sah James David Vance (38), den alle seit seines Erfolgsbuches „Hillbilly Elegy“ nur J. D. rufen, bereits wie der sichere Sieger aus. Donald Trump hatte den tendenziell konservativ geprägten Bundesstaat 2016 und 2020 klar gewonnen – und sich hinter Seiteneinsteiger Vance gestellt. Der machte lange Zeit eher uninspiriert Wahlkampf mit Klassikern wie Ja zum Abtreibungsverbot und Nein zur illegalen Einwanderung. Bis die „Rep“-Spitze nervös wurde.
Denn Tim Ryan, der demokratische Wettbewerber, kam durch seine direkte Art in den Umfragen immer näher. Bis er Vance überholte. Dessen Nähe zu Trump ist toxisch. „J. D. küsst mir den Arsch“, sagte Trump bei einer Wahlveranstaltung. Woraus Ryan destillierte: „Ohio will keinen Arschkriecher.“
Der 49-Jährige ist ein Freund der Gewerkschaften und der Auto-Industrie. Er wurde vor 20 Jahren für einen industriell geprägten Distrikt Abgeordneter im Washingtoner Repräsentantenhaus. Jetzt will er ins Oberhaus.
Footballstar gegen Pfarrer: Herschel Walker (R) gegen Raphael Warnock (D)
Georgia: Ähnlich wie Mehmet Oz in Pennsylvania hat Herschel Walker (60) null politische Erfahrung. Der stiernackige Ex-Footballstar der Dallas Cowboys hat aber Donald Trump hinter sich. Im Südstaat unterlag der Ex-Präsident 2020 nur hauchdünn seinem Widersacher Joe Biden. Durch Trump hat sich der Schwarze als Anti-Politiker profilieren können. Fehlende Sachkenntnis und bisweilen Unbeholfenheit wie auch Lügen haben ihm bisher nichts anhaben können.
Der hefigste Brocken: Der Abtreibungsgegner (auch bei Inzest und Vergewaltigung) musste neben häuslicher Gewalt drei uneheliche Kinder zugeben, die er verheimlicht hatte. Dass er zwei Ex-Geliebten (2009 und 1993) Schwangerschaftsabbrüche bezahlt haben soll, leugnet er, obwohl eine Frau das per Scheck nachweisen kann.
Trotzdem kann sich der demokratische Afroamerikaner und Baptisten-Pfarrer Raphael Warnock, 53, in Umfragen nicht von ihm absetzen. Laut Demoskopen gibt es ein Patt.
Latina vs. Juristen: Catherine Cortez Masto (D) gegen Adam Laxalt (R)
Nevada: Die demokratische Senatorin Catherine Cortez Masto (58) befindet sich in einem Kopf-an-Kopf-Rennen mit dem früheren Generalstaatsanwalt Adam Laxalt, 44, auch er ein Mann von Trumps Gnaden. Der Jurist stand im Herbst 2020 mit an der Spitze derer, die von Wahlbetrug zulasten Trumps fabulierten.
Laxalt hielt die Justiz des Süd-Staates auf Trab, um eine Ergebnis-Korrektur zu erzwingen. Vergeblich.
Cortez Masto war 2017 die erste Latina in der US-Geschichte, die es in den Senat geschafft hatte. In Nevada stellen die Hispanics eine relevante Wählergruppe. Zuletzt wählte ein Drittel der Nachkommen von Einwanderern aus dem US-Hinterhof republikanisch. Weil sie wie Biden moderat auftritt, bindet Laxalt der Amtsinhaberin die Problem-Baustellen des Präsidenten ans Bein: allen voran die hohe Inflation und die illegale Einwanderung an der Grenze zu Mexiko. Der Republikaner tritt für mehr Grenzschutz und eine rigorosere Abschiebungspolitik ein.
Astronaut vs. Thiel-Protegé: Mark Kelly (D) gegen Blake Masters (R)
Arizona: Ex-NASA-Astronaut Mark Kelly, 58, ein Demokrat, sah im Sommer bereits wie der Sieger gegen den jungen Konkurrenten Blake Masters aus. Seine Brückenbauer-Qualitäten und sein Engagement für schärfere Waffengesetze kamen bei der Bevölkerung gut an – und waren glaubwürdig. Denn Kellys Frau, der Ex-Kongressabgeordneten Gabby Giffords, hatte ein Attentäter vor elf Jahren in den Kopf geschossen.
Doch dann kam Silicon-Valley-Milliardär Peter Thiel (bei dem Sebastian Kurz angeheuert hat), pumpte 15 Mio. Dollar in den Wahlkampf seines Ex-Angestellten Blake Masters, 36, und die Dinge kamen in Bewegung. Weil sich Masters schnell der Trump-Lüge vom Wahlbetrug anschloss, bekam der Stanford-Absolvent auch das Plazet des Ex-Präsidenten.
Mit seinem Eintreten für mehr Strenge gegen illegale Einwanderung und eine „America-First“-Wirtschaftspolitik, hat sich der oft steif wirkende Mann aus Denver (Colorado) Zustimmung in vielen Wählerschichten erworben.
aus Washington Dirk Hautkapp
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