Merkel-Double: "Ich habe ihre Raute geklaut, sie meine Frisur"
Einmal Kaffee und Kuchen mit der Kanzlerin – das ist keinesfalls unmöglich. Zumindest in Attendorn, einer Kleinstadt in Nordrhein-Westfalen. Da steht sie an der Tür eines Reihenhauses und bittet freundlich in ihre Wohnung. Die Schuhe dürfe man anbehalten. Sie selbst trägt Pumps, schwarze Hose und roten Blazer, dazu eine Bernsteinkette, die Haare sind perfekt geföhnt. Ursula Wanecki sieht der Kanzlerin verblüffend ähnlich. Darauf angesprochen lächelt sie vorsichtig, als wäre es ihr unangenehm.
Eigentlich trage sie gerne „Röcke, Kleider, auch mal hohe Schuhe“. Doch so wie bei Merkel sind Hose und Blazer zu ihrer Arbeitskleidung geworden. Einen ganzen Schrank hat sie davon, den sie für ihren Besuch gerne öffnet: Jacken in allen Farben hängen an der Kleiderstange.
Blau trage Merkel bei politischen Entscheidungen, Rot bei Staatsbesuchen, erklärt Wanecki, die nicht nur die Kanzlerinnen-Garderobe studiert hat. Seit mehr als zehn Jahren doubelt die 65-Jährige die Regierungschefin – „eine turbulente Zeit, aber jetzt wird es ruhiger“, sagt sie und schenkt Kaffee ein. Wie im Kanzleramt, wo ihn Merkel ihren Gästen angeblich persönlich reicht.
Spaß mit Putin
Im Wohnzimmer der Doppelgängerin deutet nicht viel auf ihr berühmtes Pendant hin. Die Rolle hat Ursula Waneckis Leben verändert, aber es ist noch immer ihr eigenes. Auf der Anrichte stehen Fotos ihrer Kinder, auf einer anderen sieht man die Kanzlerin: Sie hält eine 3-D-Puppe in der Hand – Wanecki stand dafür Modell. Auf einem anderen Foto ist sie neben dem Doppelgänger von Wladimir Putin zu sehen, den sie für einen Filmdreh in Österreich traf.
Anders als die echten Staatsoberhäupter hatten die Doubles viel zu lachen – „Putin erzählte ständig Witze“. Den echten mag sie weniger. Dass er bei Merkels Staatsbesuch seinen Hund um sie kreisen ließ, war „unverschämt“. Es sei ja bekannt, dass sie Angst vor Hunden habe.
Wanecki, die als Büroangestellte arbeitet, hat sich über die Jahre eingelesen, viel recherchiert. Das tue sie vor jedem Termin, um zu wissen, welche politische Ausrichtung die Auftraggeber haben. Sie wolle sich für nichts instrumentalisieren lassen. Meist sind es Geburtstagsfeiern oder Firmen-Events. Für die gilt es, sich ebenfalls vorzubereiten. „Ich wollte nie als Dummchen kommen, das nur winkt.“ Sie mischt sich gerne unter die Leute, unterhält sich mit ihnen. Aber nie als Angela Merkel mit Stimmen-Imitation, sondern als Ursula Wanecki. „Wenn man zu sehr versucht, das Original zu sein, macht man sich nur lächerlich.“ Das will sie vermeiden, auch aus Respekt vor der Kanzlerin, die sie für ihre „ruhige Art“ und den „Umgang mit Politikern“ bewundert.
Entdeckt wurde Wanecki von ihrem Enkel. Immer wenn Merkel im Fernsehen zu sehen war, rief er „Oma“. Auch Freunde und Bekannte bescheinigten ihr Ähnlichkeit, bis sie 2012 im Karneval beschloss, Blazer und Hose anzuziehen. Die Reaktionen fielen positiv aus, jemand machte Fotos, die bei einer Agentur landeten. Dann ging es los: Stefan Raab buchte sie für Clips, die ZDF-Heute-Show ebenfalls. Bei der 40-Jahre-Feier eines Klinikums am Bodensee sprang sie für die Kanzlerin ein, weil diese ihren Besuch abgesagt hat.
Der schwierigste Job
Ein Termin, der sie viel Überwindung kostete: das Fotoshooting für ein Lesben-Magazin. „Ich komme aus einer streng katholischen Familie in Polen, ich habe mich nie mit Homosexualität auseinandergesetzt“, sagt sie. Nach anfänglichem Zögern beschäftigte sie sich damit und änderte ihre Meinung. Es war für eine gute Sache. Sie zeigt auf die Fotos, auf denen sie von einer Frau von hinten umarmt und geküsst wird. Mit ihrer Offenheit war sie Merkel einige Jahre voraus. Die Kanzlerin gab die Ehe für alle erst 2017 zur Abstimmung im Bundestag frei.
Überhaupt habe sie sich enorm weiterentwickelt – „durch Merkel habe ich viel über Politik, das Land und die Leute gelernt“. Wanecki kam 1985 als Spätaussiedlerin nach Deutschland. Die ersten Jahre waren schwierig, man gab ihr zu verstehen: Sie solle schnell Deutsch lernen, Polnisch vergessen, „das war ein enormer Druck“.
Merkels Satz „Wir schaffen das“ ist ihr wichtig. Die Stimmung nach 2015 empfand sie als gefährlich, die Anfeindungen gegen die Kanzlerin haben bei ihr Ängste ausgelöst. Wenn sie heute aus dem Haus gehe, schaue sie sich immer ein paar Mal um.
Generell reagieren die Menschen aber positiv. „Im ersten Moment wirken sie geschockt . Irgendwann merken sie, dass ich nicht die Kanzlerin bin.“ In ihrer Region wird sie mittlerweile ohne Blazer und Hose als „Angie“ erkannt. Selbst in Berlin fragte der Taxifahrer, wohin er „Frau Bundeskanzlerin“ fahren dürfe?
Viel musste sie dafür nie tun. Mimik und Gestik sind „angeboren“. Selbst die Frisur hatte Wanecki vor Merkel.
Sie holt ein Foto, das sie in jungen Jahren zeigt. „Ich habe ihre Raute geklaut, sie meine Frisur“, merkt sie an und muss plötzlich lachen. So könnte man sich Merkel in privater Runde vorstellen.
Ihr Wunsch: Ein Treffen
Zu einer Begegnung ist es bisher nicht gekommen, es wäre ihr großer Wunsch. Nur einmal, bei einer Wahlkampfveranstaltung, stand sie wenige Meter von Angela Merkel entfernt. Wanecki trug Kopftuch – „nicht dass jemand ruft: Da ist eine zweite Merkel“. Das wäre ihr unangenehm gewesen.
Dass es sie gibt, weiß die Kanzlerin. Sie hat ihr einen Bildband signiert. Manchmal, sagt sie beim Durchblättern, sehe sie sich selbst. Wenn Merkel konzentriert an ihrem Schreibtisch sitzt. Ihr Lieblingsfoto ist jenes, wo die Kanzlerin 2007 im roten Anorak in Grönland posiert. „Sie wirkt glücklich und entspannt. So hat man sie lange nicht mehr gesehen.“
Wenn sie nach 16 Jahren aus dem Amt scheidet, wird es auch für ihr Double entspannter. Sie will nur ausgewählte Termine annehmen und sich ihren Hobbys widmen: Gartenarbeit, klassische Musik und Kochen – wie ihre Doppelgängerin. Nur eines macht sie anders: Zum Abendessen („Niemand geht ohne Essen aus ihrem Haus“) gibt es Suppe – nicht die berühmte merkelsche mit Kartoffeln, sondern eine mit Kürbis. Man ist ja nicht bei Kanzlerin zu Gast, sondern bei Ursula Wanecki.
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