Merkel warnt: "Corona-Lage wird alles übertreffen, was wir hatten"
Ihre letzten Tage als Kanzlerin hatte sich Angela Merkel wohl ruhiger vorgestellt, selbst in Pandemie-Zeiten. Doch derzeit kennt die Corona-Kurve in Deutschland nur eine Richtung: steil nach oben. Die Verdopplung der Fallzahlen alle zwölf Tage veranlasste Merkel am Montag dazu, sich mit ihrer immer noch großen Autorität für härtere Maßnahmen auszusprechen, um die vierte Corona-Welle zu brechen.
"Wir haben eine hochdramatische Situation“, sagte sie laut deutschen Medien bei Beratungen des CDU-Vorstands, denen sie aus Berlin zugeschaltet war: „Was jetzt gilt, ist nicht ausreichend."
Zeit drängt
Man habe eine Lage, "die alles übertreffen wird, was wir bisher hatten", warnte Merkel. Der exponentielle Anstieg der Infektionszahlen müsse gestoppt werden, sonst komme man an die Grenzen der Handlungsfähigkeit – auch in Intensivstationen.
Jüngst ergriffene Maßnahmen wie die 3G-Regel in öffentlichen Verkehrsmitteln, regionale Lockdowns oder 2G für die Gastronomie würden nicht ausreichen, so Merkel. Sie habe den Eindruck, dass vielen Menschen der Ernst der Lage nicht bewusst sei.
Die zu Beginn der Pandemie 2020 vom Bundestag beschlossene "epidemische Lage von nationaler Tragweite" erlaubte es der Regierung bisher, über die Kompetenzen der Bundesländer hinweg Verordnungen zu erlassen. Da diese Regelung am Donnerstag ausläuft, müssten die Bundesländer bis spätestens Mittwoch eigene Maßnahmen beschließen, mahnte Merkel zur Eile.
"Akute Überlastung"
Mit 30.643 Neuinfektionen am Montag und einer Sieben-Tage-Inzidenz von 387 ist die Corona-Lage in Deutschland zwar noch entspannter als in Österreich (13.806 Neuinfektionen; Sieben-Tage-Inzidenz: 1110). Der Präsident der Intensivmediziner-Vereinigung Divi, Gernot Marx, appellierte dennoch für zusätzliche Maßnahmen, falls die jetzigen nicht bald Wirkung zeigten.
"Die Lage ist momentan nicht unter Kontrolle", sagte er. Mehr als 3.670 Covid-19-Patienten würden bereits auf Intensivstationen behandelt, regional gebe es "akute Überlastungssituationen". Patienten müssten verlegt und planbare Operationen verschoben werden.
Angesichts der wie in Österreich verbesserungswürdigen Impfquote wird in Deutschland ebenfalls über eine Impfpflicht diskutiert. Zuletzt sprachen sich unter anderem der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) dafür aus. Laut Justizministerium ist eine Impfpflicht vorstellbar.
"Weitere Wellen verhindern"
68 Prozent der Einwohner sind derzeit voll gegen das Coronavirus immunisiert (Österreich: 64 Prozent). Impfen helfe nicht, "jetzt die Entwicklung" zu stoppen, räumte Merkel ein. Es sei aber nötig, um weitere Wellen zu verhindern. Eine Entscheidung über eine Impfpflicht werde von der aktuellen Regierung allerdings nicht mehr getroffen, richtete Merkels Sprecher Steffen Seibert aus. Die Bildung einer neuen Regierung aus SPD, Grünen und FDP wird bis spätestens übernächste Woche erwartet.
Kommentare