Zapfenstreich für Angela Merkel: Solche wie sie sind auf der Weltbühne rar

Anerkennung auch von politischen Konkurrenten
Heute wird Angela Merkel mit einem Großen Zapfenstreich als deutsche Kanzlerin verabschiedet. Und man kann nur vermuten, was ihre Gedanken bei der Auswahl der drei Musikstücke waren, die sich ein Regierungschef zu seinem Abgang wünschen darf.
„Großer Gott, wir loben dich“ ist wohl der Dank der Pastorentochter, dass sie höheren Beistand hatte in auch schwierigen Zeiten; der DDR-Hit „Du hast den Farbfilm vergessen“ mag eine Reverenz an ihre Herkunft, an die Systemkritik und unbeschwerte Zeiten an der Ostsee sein; und Hildegard Knefs wunderbares „Für mich soll’s rote Rosen regnen“ ist eine Ode an die Neugier, den Willen, die Liebe und das Sich-nicht-fügen-Wollen – und vielleicht ein bisschen eine Ode an sich selbst bzw. wie Angela Merkel sich sieht.
Rosen werden ihr dieser Tage rundum gestreut, von politischen Gegnern ebenso wie von Freunden. Nur jene Kommentatoren, denen die CDU-Chefin zu wenig konservativ war, zu wenig kaltschnäuzig, zu wenig rechts, arbeiten sich an Angela Merkel auch jetzt gerne ab.
Fehler
Ja, sie hat in ihrer langen Amtszeit auch Fehler gemacht. Das berühmte, auch emotionale „Wir schaffen das“ im Jahr 2015 vielleicht zu allererst. Nur: Die Migrationswelle nach Europa wäre auch ohne die Notreaktion auf tote Flüchtlinge im Lastwagen und einen Treck Richtung Österreich gekommen. Aber das passt nicht ins eindimensionale Bild der Merkel-Basher.
Auch den deutschen Atomausstieg nach dem Tsunami in Fukushima mag man, wenn man nicht der Bullerbü-Windrad-Illusion anhängt, als Fehler sehen bzw. er könnte sich noch als solcher erweisen. Frankreich, Großbritannien und viele andere in Europa waren da deutlich klüger.
Die verheerend vernachlässigte Infrastruktur in Deutschland wird ihr im Alltag daheim wohl am meisten angekreidet – zu Recht. Auch wenn es die Kanzlerin innenpolitisch in vielen Belangen mit einer besonderen Ausprägung des alles hemmenden Föderalismus zu tun hatte.
Aber Angela Merkel hat die deutsche Bundesrepublik und als eine Leitwölfin auch Europa mehr als eineinhalb Jahrzehnte sicher durch die Weltgeschichte gelenkt – und die war über weite Strecken alles andere als gnädig: Weltfinanzkrise, Terror, erratische Politikzersetzer à la Donald Trump, die Muskelspiele Putins und der Weltaufstieg Chinas, die Pandemie – großer Gott, wir loben dich!
Verlässlicher Kompass
Merkel stand für die Verlässlichkeit einer der führenden Nationen auf dem Kontinent in einer Zeit, in der in der Politik Egoismen und Taschenspielertricks über das Gemeinwohl gestellt werden, im Kleinen wie im Großen. Ihre Zuhörbereitschaft und ihre Kompromissfähigkeit, gepaart mit ihrer Entschlossenheit und einem hohen Moralkompass – solche politischen Führer werden auf der Weltbühne immer rarer.
Jetzt ist sie angekommen nach einem langen Abschiednehmen (auch das verlief alles andere als fehlerfrei, ihre CDU kaut jetzt noch daran). Nur der Rekord, längstdienende Kanzlerin der deutschen Geschichte gewesen zu sein, bleibt ihr versagt: Erst am 17. Dezember hätte Merkel Helmut Kohl überholt (die drei SPD-Kanzler bisher kamen nicht annähernd in die Nähe). Das hätte sie, die scheinbar über alle Eitelkeiten Erhabene, am Ende ihrer politischen Vita vielleicht doch auch noch gerne auf Farbfilm gebannt.

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