Diese Fragen blieben auch in Brüssel bis zuletzt unbeantwortet. Zu heikel sind die komplexen juristischen Streitfragen rund um das Abkommen, zu heftig könnte bei einem Abschluss der Widerstand einzelner Mitgliedsstaaten ausfallen.
Industrie dafür, Bauern dagegen
Die EU ist gespalten. Während Deutschland das Abkommen endlich absegnen will, um seiner Exportwirtschaft neue Märkte zu verschaffen, hat sich vor allem Frankreich bis zuletzt massiv gegen das Abkommen ausgesprochen. Die Massenproteste französischer Bauern, die das Land wiederholt lahm gelegt gelegt hatten, drohen von Neuem anzurollen.
Die betrachten die Öffnung des europäischen Marktes für Agrarprodukte aus Südamerika als Bedrohung ihrer Existenz. Die Steaks aus Brasilien und Argentinien, von Rindern, für deren Aufzucht oft Regenwald gerodet wurde, sind längst zum Symbol für die Bedrohung der europäischen Landwirtschaft durch das Handelsabkommen geworden.
Auch in Ländern wie Polen, den Niederlanden und nicht zuletzt Österreich haben sich die Bauern deshalb dagegen quergelegt und die Regierungen unter Druck gesetzt. In Frankreich haben sich deshalb sowohl die Rechtspopulisten von Marine le Pen, als auch die vereinigte Linke zum Vorkämpfer gegen den Mercosur-Pakt gemacht - und das inmitten einer akuten politischen Krise, die das Land über Monate führungslos machen könnte.
"Frankreich ist das Hauptproblem - und zwar nur die Bauern", macht auch Bernd Lange deutlich: "und da geht es eher um Emotionen als um Fakten." Der Deutsche ist Vorsitzender des Handelsausschusses im EU-Parlament und einer der wichtigsten Verhandler des Abkommens.
Doch ein Abschluss sei dringender denn je, "Trump wird sehr rasch mit Zöllen politischen Druck auf Europa aufbauen. Er will, dass wir Teil einer Koalition gegen China werden." Europa müsse sich den Zugang zu den Märkten Lateinamerikas sichern, sonst hätten dort endgültig die Chinesen das Sagen, die ohnehin seit Jahren ihre Präsenz ausbauen.
Auch in der EU-Kommission in Brüssel ist man sich bewusst, wie sehr die Zeit drängt. Außerdem ist die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft das zentrale Thema der gerade begonnenen zweiten Amtsperiode von Ursula von der Leyen. Doch in seiner ursprünglichen, also vor mehr als 20 Jahren geplanten Form, lässt sich das Abkommen kaum umsetzen.
Was noch nötig ist, damit Mercosur in Kraft tritt
Dafür wäre nämlich nicht nur Einstimmigkeit aller EU-Mitgliedsstaaten nötig, sondern auch eine Ratifizierung in allen nationalen Parlamenten. Darum arbeitet man seit längerem daran, das Abkommen zu teilen - in einen politischen Teil und in ein reines Handelsabkommen, ohnehin der wichtigste Teil.
Um das durchzubringen, würde eine qualifizierte Mehrheit der EU-Staaten genügen, also müssten Staaten, die 65 Prozent der EU-Bevölkerung vertreten, mit "Ja" stimmen. Ob diese Mehrheit gegen den Widerstand Frankreichs und dazu Polens und Österreichs zustande kommt, ist aber auch keineswegs sicher.
Daher könnte die Kommissionschefin sich vorerst auf eine Grundsatzeinigung per Handschlag beschränken. Das Tauziehen um die Mehrheit könnte danach und mit weniger öffentlichem Aufsehen stattfinden. In der EU-Zentrale wurden bis zuletzt noch zahlreiche weitere Varianten erwogen, um das Abkommen irgendwie über die Ziellinie zu bringen.
Warum der Vertrag doch noch ins Wanken geraten könnte
Vor der Presse aber wollte die EU-Kommission nicht ausschließen, dass unerwartete juristische Fallgruben auftauchen könnten. Auch ist nicht klar, wie massiv der politische Widerstand in Frankreich, angetrieben von neuen Bauernprotesten, ausfallen wird.
Für Michael Hager, führender Beamter für Handelsfragen in der EU-Kommission ist das Abkommen aber mehr als eine wirtschaftliche Notwendigkeit. Für ihn geht es um die politische Glaubwürdigkeit der EU, wie er in einer Diskussion zum Thema erläutert:
"Wenn wir jetzt nicht abschließen, verlieren wir jede politische Glaubwürdigkeit als EU. Länder wie Indien werden uns dann nicht mehr ernst nehmen, wenn wir mit ihnen solche Abkommen verhandeln wollen." Über Jahre habe die EU ihre Verhandlungspartner in Lateinamerika hingehalten, jetzt aber müsse man diesen, wenn auch riskanten Schritt wagen: "So eine Chance kriegen wir nicht mehr."
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