Fehlende Impfstoffe
Ein Hauptgrund für die Unzufriedenheit mit dem Corona-Management ist der fehlende Impfstoff. Der Tenor, wenn man sich in den Westbalkan-Staaten umhört: Man habe den großen Fehler gemacht, sich auf die EU zu verlassen. Im Oktober haben die sechs Staaten der Region über den internationalen Solidaritätsmechanismus „Covax“ insgesamt 5,2 Millionen Dosen bestellt. Bis auf Serbien hat keiner der Staaten daran gedacht, zusätzlich bilaterale Verträge zu schließen.
Ende März kamen immerhin die ersten Dosen an. Die bosnischen Behörden haben nun aber doch beschlossen, direkte Verhandlungen mit den Pharmafirmen aufzunehmen, weil klar wurde, dass sich die Lieferungen aus dem Covax-Programm noch mehr verzögern würden als bisher bekannt.
Doch aufgrund des komplizierten Regierungssystems in Bosnien ist oft gar nicht so klar, wer solche Verhandlungen überhaupt führen kann. Als vor knapp einem Jahr der bosnische Botschafter in Moskau einen relativ günstigen Deal für Sputnik-V-Impfstoff ausgehandelt hatte, ging der entsprechende Brief mit dem Angebot der russischen Regierung im Wirrwarr der bosnischen Politik offenbar einfach unter. Das Angebot lief aus.
Zu viele Gesundheitsminister
In einem Land mit rund 3,5 Millionen Einwohnern wurden bisher nur 130.000 Impfstoffe beschafft, von denen die meisten als Spenden kamen. Knapp 50.000 Biontech- und Astra-Zeneca-Dosen über den Covax-Mechanismus, 30.000 Sinovac-Dosen als Spende aus der Türkei und 50.000 weitere aus China, Slowenien sagte eine Spende von 4.800 Dosen zu, Serbien 10.000. Die Republika Srpska beschaffte 44.000 Dosen Sputnik V.
Auch das ist ein Grund, warum mittlerweile zahlreiche Bosnier und Bosnierinnen beschließen, das auch für internationale Gäste zur Verfügung stehende Impfprogramm des früheren Kriegsgegners Serbien in Anspruch zu nehmen, dessen Regierung übermäßig Impfstoff etwa in China, Russland und Indien gekauft hat. Überschüsse werden von der serbischen Regierung außerdem an Nachbarländer verschenkt. Auch an Bosnien, Nordmazedonien und Montenegro. Der Kanton Sarajevo erhielt vor wenigen Tagen die 10.000 Dosen von Serbien.
Bosnien hat kein Gesundheitsministerium auf staatlicher Ebene. Die Zuständigkeit ist in subnationale Einheiten aufgeteilt, die Republika Srpska sowie die bosniakisch-kroatische Föderation, die wiederum aus zehn Kantonen besteht, mit eigenen Befugnissen.
Dieses komplizierte System geht zurück auf das Dayton-Abkommen, das 1995 den Krieg beendet hat und alle Streitparteien zufrieden stellen sollte. Heute verkompliziert es das Leben, die Wirtschaft und die Politik in Bosnien. Viele der 7.500 Todesopfer wären möglicherweise zu verhindern gewesen, wenn die Zuständigkeiten klarer wären, glauben viele Bosnier.
Gesundheitspersonal im Ausland
Die Krankenhäuser platzen aus allen Nähten. Vor allem, was das Personal betrifft. Seit Jahren wandern junge Bosnier und Bosnierinnen – vor allem in EU-Staaten – aus, wenn sie die Möglichkeit dazu haben. Oft sind es gut geschulte Ärztinnen oder Pflegerinnen. Die fehlen im heimischen Gesundheitssystem. Während der Pandemie sind etliche Gesundheitsbedienstete aus der Pension zurückgekommen, weil es ohne sie noch schlimmer ausgesehen hätte. Auch aus anderen Abteilungen wurde Personal abberufen. Urlaub oder freie Tage gibt es seit einem Jahr so gut wie nicht mehr.
Das Gesundheitssystem des finanzschwachen Staates ist unterfinanziert. Und dann passieren Dinge wie der Beatmungs-Skandal im vergangenen April: Die Regierung kaufte um rund fünf Millionen Euro 100 Beatmungsgeräte. Später stellte sich heraus, dass die Firma, bei der die Anschaffung gemacht wurde, ein Unternehmen für Erdbeerzucht ist. Die – bereits gekauften und überteuerten – Geräte waren für Coronapatienten ungeeignet. Sie können nur in Notfällen – etwa während eines Transportes – für eine Stunde eingesetzt werden. Manche sollen laut Berichten überhaupt nicht funktionieren.
Lockdown unmöglich
Die magere Staatskassa führt Bosnien, wie die anderen Staaten der Region, in einen Teufelskreis. Zuletzt sperrte der Kanton Sarajevo 15 Tage lang alles zu. Einen längeren Lockdown kann man sich aber hier nicht leisten, Wirtschaftshilfen wie im Falle Österreichs sind in Bosnien eine Utopie. Also sind jetzt Geschäfte, die Außenbereiche von Restaurants und Bars wie Hotels und Betreuungseinrichtungen wieder offen. So wie das im ganzen Land fast das gesamte vergangene Jahr auch gehandhabt wurde.
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