Wie Serbien in der Corona-Krise Ost und West gegeneinander ausspielt
In der Belgrader Messehalle wird immunisiert. Gesundheitspersonal in Schutzanzügen bittet die Wartenden in die provisorischen Kabinen. Einen nach dem anderen. Alte, aber auch jüngere Serben werden hier gegen Covid-19 geimpft. Ebenso an rund 200 anderen Stationen im ganzen Land.
720.000 Serben und Serbinnen haben bereits eine Impfung erhalten. Rund zehn von 100 Einwohnern, mehr als in allen EU-Staaten. In Österreich liegt die Quote bei 4,5. (Vollständig geimpft sind aber auch in Serbien erst rund 50.000. In Österreich fast doppelt so viele laut Our World in Data.)
Wer einen Impftermin vereinbart, kann derzeit zwischen dem Mittel von Biontech/Pfizer, dem russischen Vakzin Sputnik V und dem Impfstoff des chinesischen Herstellers Sinopharm wählen.
Neben den eine Million Impfdosen aus China hat Serbien 40.000 Dosen Sputnik V und 30.000 Dosen des deutschen Unternehmens Biontech erhalten. Vucic kündigte kürzlich an, vor März bekomme Serbien eine Million weitere Impfdosen von "Freunden".
"Ob sie aus China, den USA oder der EU kommen ist uns egal", sagte Premierministerin Ana Brnabic der BBC: "So lange sie sicher sind und wir sie so schnell wie möglich kriegen."
Die Impfstoffe für die Impfkampagne (neben Pfizer/Biontech) hat Präsident Aleksandar Vučić bei seinen Freunden in China und Russland bestellen lassen. Und er wird nicht müde, das auch zu betonen und sich damit vom Rest Europas abzuheben. Während die Union sich mit Lieferschwierigkeiten herumschlagen und seine Impfpläne immer wieder anpassen muss, impft Serbien munter weiter. Mittlerweile fragen sogar Serben und Nicht-Serben aus anderen Ländern an, ob und wie sie in Serbien zu einer Impfung kommen können. Bessere PR kann Vučić nicht bekommen.
Geopolitik
Das erklärte Ziel des Präsidenten ist es, mehr Impfdosen nach Serbien zu bringen, als für die sieben Millionen Einwohner nötig wären. Außerdem plant er, den russischen Sputnik-V-Impfstoff in Serbien produzieren zu lassen. „Er kann die Immunisierung für geopolitische Zwecke benutzen“, sagt Faruk Ajeti vom Österreichischen Institut für internationale Politik (oiip) in Wien. „Wenn die serbische Bevölkerung geimpft ist, wird er sich in der Region als Retter positionieren“ und sich etwa an die serbischen Minderheiten in Kosovo und Bosnien wenden.
In einem Interview mit euronews hat Vučić jüngst davon gesprochen, den Nachbarn - angefangen bei Nordmazedonien - Impfstoffe "spenden" zu wollen: "Wir brauchen unsere Nachbarn genauso geschützt wie wir es sind."
Für Millionen Bürger der anderen Staaten am Westbalkan heißt es derzeit noch "bitte warten". Die Impfkampagnen gingen bis jetzt nur schleppend voran. In Bosnien kam bis vorige Woche kein einziger Impfstoff an. Heute wurden die ersten Ärzte und Krankenpfleger geimpft - in der Republika Srpska mit Sputnik V.
Liebesgrüße aus China
Nirgendwo in Europa, außer in Serbien, findet man bis dato chinesischen Impfstoff. Serbien hat eine Million Dosen von Sinopharm bei seinem „Bruder“ Peking bestellt. Vučić erinnert in den gleichgeschalteten Medien auch immer wieder gerne daran. Im März küsste er vor Kameras die chinesische Flagge, als Schutzkleidung aus China eingeflogen wurden, im Jänner ließ er sich am frühen Morgen am Flughafen mit der chinesischen Botschafterin filmen, als man gemeinsam auf die Impfstoff-Lieferung wartete.
Schein und Realität
Der serbische Präsident hat in den vergangenen Jahren geschickt die EU und die großen Player im Osten gegeneinander auszuspielen gewusst. Stockte die EU-Annäherung, drohte man freundlich, sich mehr den Russen zuzuwenden. Als die EU nicht schnell genug Corona-Hilfen sandte, ließ man die Medien aufmarschieren, als aus China Pakete kamen. Xi Jinping sei „Bruder Serbiens“, sagte Vučić theatralisch, „nur China kann uns helfen!“ „Danke, Bruder Xi“, stand damals auf riesigen Plakaten mit der chinesischen Flagge, auf den Hauptverkehrsadern von Belgrad.
Viele Serben glauben mittlerweile, dass China mit Abstand die meiste Hilfe geliefert hat. Dass das nicht den Fakten entspricht, scheint nicht so wichtig zu sein. „2020 kam die meiste Hilfe mit Abstand aus der EU“, sagt Politologe und Westbalkan-Experte Vedran Džihić zum KURIER.
Dennoch entfernt sich die serbische Regierung – zumindest medial – immer weiter von der EU. Eine Abkehr von der EU sei aber „weder politisch noch wirtschaftlich klug“, analysiert Džihić. Immerhin ist die EU Handelspartner Nummer Eins. Dem sei sich auch Belgrad bewusst. Doch Vučić bemühe weiterhin das „altbewährte geopolitische Doppel- und Dreifachspiel Serbiens zwischen der EU, Russland und China“ – für einen kurzfristigen Imagegewinn.
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