Masseninfektion in Deutschlands größter Fleischfabrik: "Null Vertrauen"

Demonstration gegen „Sauerei“ beim Schlachtbetrieb Tönnies - dort laufen Corona-Tests und Ermittlungen auf Hochtouren
Mehr als 1.000 Mitarbeiter im Kreis Gütersloh sind inzwischen positiv getestet.

Alarm in Nordrhein-Westfalen: Ein einziger Großbetrieb droht zur deutschen Virenschleuder schlechthin zu werden. Beim größten Schlachtbetrieb Deutschlands, Tönnies, sind mindestens 1.029 der 7.000 Mitarbeiter mit dem Coronavirus infiziert. Die Zahl dürfte weiter steigen, da erst 3.127 Testergebnisse am Samstag vorlagen. Die Corona-Reihenuntersuchung auf dem Gelände liefen auf Hochtouren.

Reporter berichteten von Kleinbussen mit ausländischen Kennzeichen, die am Samstag vor allem Männer, nicht immer mit Schutzmasken. zum Werk brachten. Neben den Gesundheitsbehörden waren Polizei und Bundeswehr-Soldaten im Einsatz. Sie helfen bei Tests und der Ausforschung von Kontaktpersonen.

Ministerpräsident Armin Laschet schloss einen flächendeckenden Lockdown in der Region nicht aus. Er sprach vom „größten, bisher nie dagewesenen Infektionsgeschehen in Nordrhein-Westfalen“. Die Kindergärten und Volksschulen im Kreis Gütersloh sind seit Mitte der Woche geschlossen. Die vier Spitäler bereiten sich für den Ernstfall vor, derzeit behandeln sie 19 Covid-Patienten.

Der Schlachtbetrieb ist seit Freitag behördlich geschlossen. Alle Mitarbeiter des Standorts inklusive ihrer Familien sind in Quarantäne, aber in der Region geht die Angst um. Was, wenn sich nicht alle an die Ausgangsregeln halten? Was, wenn man von den vielen Leiharbeitern, die Tönnies über Dutzende Subunternehmer beschäftigt, gar nicht alle Daten hat?

Und was, wenn sich Leiharbeiter, von denen viele aus Bulgarien und Rumänien stammen, in die Heimat absetzen? Das alles treibt die Menschen um. Zudem beginnen am Freitag beginnen im bevölkerungsreichsten deutschen Bundesland die Ferien.

„Null Vertrauen“

Die Sorge scheint berechtigt: Tönnies hat nach Angaben der Gesundheitsbehörden mangelhafte Listen geliefert. Von 30 Prozent der Beschäftigten fehlten die Adressen. „Das Vertrauen, das wir in die Firma Tönnies setzen, ist gleich Null. Das muss ich so deutlich sagen“, sagte der Leiter des Krisenstabes, Thomas Kuhlbusch. In der Nacht zum Samstag verschaffte sich der Kreis Gütersloh und der Arbeitsschutz Zugriff auf die Personalakten. Jetzt liegen allein für den Kreis Gütersloh 1.300 Adressen von Wohnungen vor. Diese gilt es jetzt alle zu kontrollieren beziehungsweise die Einhaltung der Quarantäne zu überprüfen.

„Werden alles tun“

Sichtlich angeschlagen stellte sich Geschäftsführer Clemens Tönnies (64) wenig später den Medien. „Ich stehe in Verantwortung“, sagte er und versprach „alles zu tun, damit wir wieder normal auf Schiene kommen“. Es gehe jetzt um den Menschen und den Kreis, sagte Tönnies und entschuldigte sich bei den Angehörigen und Familien. Dass er nicht gleich alle Personalakten vorgelegt hat, erklärte er mit Datenschutzregeln. Und er versprach: „Wir, nicht nur Tönnies, werden diese Branche verändern.“

Dutzende Menschen demonstrierten derweil gegen „die Schweinerei“ und „das System Tönnies“. Der Konzern verstoße gegen Arbeitsrecht, das Wohl der Menschen und das Tierwohl.

Gerade in Schlachtbetrieben ist das Infektionsrisiko sehr hoch. Experten führen Kälte, geringen Abstand und den Lärm, der eine Kommunikation nur durch Schreien ermögliche, als Gründe an.

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