Billigfleisch in Österreich: "Was in die Wurst kommt, ist wurst"
Aus Sicht vieler Österreicher drängt sich beim Corona-Skandal in einem Schlachthof des deutschen Branchenriesen Tönnies vor allem eine Frage auf: Ist Fleisch von diesem Konzern auch auf österreichischen Tellern gelandet?
"Mit Sicherheit", sagt Johann Schlederer, Chef der österreichischen Schweinebörse. "Ich schätze, dass Österreich aufs Jahr gerechnet zwischen 300.000 und 500.000 Schweinefleisch-Äquivalente von den Tönnies-Schlachtbetrieben importiert hat."
Teilweise lande es als Frischfleisch bei einem Diskonter. Der größte Teil der Importware wird aber an die heimische Fleischindustrie geliefert. "Was in der Wurst ist, ist letztlich Wurst", sagt Schlederer. Zumindest wenn die Wurst kein AMA-Gütesiegel trägt. "Dann gilt, dass der Rohstoff gut und billig sein muss." Und hier kommt schnell die Ware aus dem Ausland ins Spiel, die oft zu Kampfpreisen in den Markt gepresst wird. Mit den dazugehörigen Strukturen im Hintergrund. Schlederer: "Also den prekären Arbeitsverhältnissen und den Mega-Betrieben entlang der Wertschöpfungskette."
Zur Größenordnung
In deutschen Ställen stehen im Durchschnitt zehn Mal mehr Tiere als auf heimischen Höfen. Der größte deutsche Fleischverarbeiter produziert an nur einem seiner Standorte so viel wie alle österreichischen Betriebe zusammengenommen. Freilich heißt größer nicht automatisch schlechter.
Doch was die Tierschutzbedingungen angeht, läuft Österreich ziemlich außer Konkurrenz. "Bei der Putenmast sind wir das einzige Land in der EU, das die Besatzdichte gesetzlich regelt", sagt Karl Feichtinger vom Geflügelverarbeiter Wech. Die Tiere haben damit bis zu 75 Prozent mehr Platz als Artgenossen im Ausland. Klingt gut, ist aber nur die halbe Wahrheit. "Der Gesetzgeber definiert zwar strenge Tierschutzbestimmungen, doch im Einkauf interessiert er sich nicht mehr für diese", so Feichtinger. Bei Bestellungen von Lebensmitteln für Kantinen gilt dann plötzlich das Billigstbieterprinzip. So wie auch bei vielen Wirten. In Summe geht es um keine kleinen Mengen. Immerhin konsumieren die Österreicher etwa die Hälfte des Fleischs außerhalb ihrer eigenen vier Wände. "Und da reden wir fast ausschließlich von Importware. Bei Pute hat heimische Ware sicher einen Anteil von weniger als fünf Prozent", sagt Feichtinger, zu dessen Firma der letzte verbliebene Putenschlachthof in Österreich gehört.
In den vergangenen 15 Jahren habe sich die Zahl der Schlachthöfe österreichweit halbiert, die Industrie konnte mit dem Preisdruck aus dem Ausland nicht mithalten. "Große Produzentenländer wie Ungarn, Italien oder Deutschland, haben ihre Überproduktionen schon immer gerne exportiert, um das Preisgefüge auf ihrem eigenen Heimmarkt nicht zu beschädigen", sagt Feichtinger. Oft landete die überschüssige Ware in Österreich.
Der größte Fleischverarbeiter im Land ist das Familienunternehmen Marcher mit drei Schlachthöfen in Österreich. Firmenchef Norbert Marcher rechnet vor, dass er deutlich höhere Lohnkosten hat als seine Mitbewerber: "In Deutschland gilt für Hilfs- und Facharbeiter im Schlachthof ein Mindestlohn von 9,35 Euro die Stunde, in Österreich liegt der Kollektivvertragslohn für Hilfsarbeiter bei zehn, bei Facharbeitern bei 12,70 Euro. Dazu kommt das 13. und 14. Gehalt." Wenn ab Anfang 2021 die jetzt unter Kritik geratenen Werkvertragslösungen auf deutschen Schlachthöfen untersagt werden, wird der Preisunterschied weiterhin aufrecht bleiben, betont Marcher. "Das heißt ja nur, dass die Firmen ihre Mitarbeiter direkt anstellen müssen und keine Gesellschaften mehr zwischenschalten dürfen. Am Mindestlohn ändert sich deswegen gar nichts."
Appetit nimmt ab
Laut den Marktforschern der RollAMA essen die Österreicher immer weniger Fleisch. Der Konsum ist seit 2000 von 68,4 auf 64,1 Kilo gesunken
Schwein
Am liebsten essen die Österreicher Schweinefleisch. 2,5 Millionen Schweineäquivalente werden jährlich in Form von Wurst- und Fleischwaren importiert
50 Prozent
des konsumierten Fleisches wird Außer-Haus, etwa in der Gastronomie, gegessen. Meist handelt es sich um Importware
Mangelberuf
In einem Punkt gibt es wenig Unterschied zu Deutschland: Die heimische Fleischwirtschaft findet so gut wie keine Fachkräfte im eigenen Land, obwohl der Bedarf bei rund 9.000 Arbeitskräften liegt. Fleischerfacharbeiter ist ein Mangelberuf, die meisten Beschäftigten kommen hierzulande aus Tschechien, Slowenien oder Ungarn und sind Wochen- oder Tagespendler. Marcher betont: "Wanderarbeiter gibt es bei uns keine."
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