Mariupol unter Beschuss, Sturm auf Stahlwerk hat angeblich begonnen

Pro-russische Rebellen feuern auf das Stahlwerk in Mariupol
Ein Vertreter des ukrainischen Asow-Regiments berichtete, die russische Armee habe das Areal von Asowstal erneut bombardiert und stürme es jetzt.

Tag 68 nach dem russischen Angriff auf die Ukraine: 

In der ukrainischen Hafenstadt Mariupol haben russische Truppen Medienberichten zufolge mit der Erstürmung des belagerten Stahlwerks Asowstal begonnen. „Die ganze Nacht haben sie uns aus der Luft bombardiert (...) und jetzt wird Azovstal gestürmt“, zitierte die Zeitung Ukrajinska Prawda den Vizekommandeur des ukrainischen Asow-Regiments, Swjatoslaw Palamar. Bei den Angriffen seien auch zwei Zivilisten getötet worden, sagte Palamar demnach. Deren Fotos wurden veröffentlicht.

Von russischer Seite gab es zunächst keine offizielle Bestätigung. Die staatliche Nachrichtenagentur Ria Nowosti meldete jedoch unter Berufung auf das Verteidigungsministerium, auf dem Werksgelände verschanzte Asow-Kämpfer hätten eine Feuerpause genutzt, um an ihre Schießpositionen zurückzukehren. Diese würden nun mit Artillerie und aus der Luft attackiert.

Auf dem Werksgelände sollen neben ukrainischen Kämpfern auch noch rund 200 Zivilisten festsitzen. Am Wochenende waren mit internationaler Hilfe mehr als 120 Menschen gerettet worden. Am Montag kamen weitere 100 Menschen in der Stadt Saporischschja an.

Mariupol war kurz nach Beginn des russischen Angriffskrieg am 24. Februar belagert und in den vergangenen Tagen weitgehend von russischen Truppen eingenommen worden.

Was macht Putin?

In der Ukraine wächst die Sorge vor einer deutlichen Ausweitung russischer Angriffe in den kommenden Wochen. Mehrere Medien griffen am Dienstag einen Bericht des US-Senders CNN zu Spekulationen auf, dass Kremlchef Wladimir Putin bereits in wenigen Tagen in Russland den Kriegszustand verhängen und eine Generalmobilmachung anordnen könnte. 

Auch der Chef der ukrainischen Militäraufklärung, Kyrylo Budanow, sprach von russischen Vorbereitungen auf eine offene Mobilisierung von Soldaten und Reservisten. Belege dafür gibt es nicht, auch keinen russischen Kommentar zu den Gerüchten.

Militärparade in Mariupol?

Nun blicken viele Menschen mit Spannung auf Putins Rede zur traditionellen Militärparade am 9. Mai in Moskau, mit der Russland jedes Jahr an den Sieg über Hitler-Deutschland 1945 erinnert. Russland soll nach Angaben Kiews am Jahrestag des Sieges über Nazi-Deutschland am 9. Mai eine Militärparade im weitgehend eroberten Mariupol planen. Der stellvertretende Leiter der Moskauer Präsidialverwaltung, Sergej Kirijenko, sei in Mariupol eingetroffen, um die Feierlichkeiten vorzubereiten, teilte der ukrainische Militärgeheimdienst am Mittwoch mit. Mariupol solle nach den Plänen Moskaus ein Zentrum der "Feierlichkeiten" am 9. Mai werden. Die zentralen Straßen der Stadt würden derzeit "von Trümmern, Leichen und nicht explodierten Sprengkörpern gesäubert".

"Eine groß angelegte Propagandakampagne ist im Gange", erklärte der ukrainische Militärgeheimdienst weiter. "Den Russen sollen Geschichten über die 'Freude' der Einheimischen über das Zusammentreffen mit den Besatzern gezeigt werden." 

Putin: Westen soll keine Waffen mehr liefern

Am Dienstag forderte Putin die westlichen Staaten auf, ihre Waffenlieferungen an die Ukraine einzustellen. In einem Telefonat mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron warf er Kreml-Angaben zufolge der Ukraine Kriegsverbrechen vor und sagte, „der Westen könnte dazu beitragen, diese Gräueltaten zu beenden“. Und zwar, indem er Druck auf Kiew ausübe „sowie die Waffenlieferungen an die Ukraine stoppt“. 

"Totale Katastrophe"

Mariupol ist ein wichtiges Ziel für Russland, das versucht, die Ukraine vom Schwarzen Meer abzuschneiden. Zudem will es den gesamten Donbass im Osten der Ukraine erobern, wo prorussische Separatisten seit 2014 einige Gebiete kontrollieren. 

Die humanitäre Lage in der Stadt ist nach Einschätzung von Ärzte ohne Grenzen "die totale Katastrophe". Das sagte die Notfallkoordinatorin der Organisation für die Ukraine, Anja Wolz, am Dienstag.

Das tatsächliche Ausmaß an Leid in Mariupol werde erst in Zukunft vollständig sichtbar werden. "Butscha, Irpin und Hostomel sind nur die Spitze des Eisbergs", so Wolz. In den genannten Städten nahe Kiew sowie in Borodjanka waren nach dem Abzug russischer Truppen Hunderte Leichen gefunden worden waren.

Smoke rises above a plant of Azovstal Iron and Steel Works in Mariupol

Das belagerte Stahlwerk in Mariupol

Laut Wolz gibt es im Moment kaum Wege, um die Menschen in Mariupol medizinisch zu versorgen. Zwar gebe es ehrenamtliche Helfer, die Medikamente in die Stadt schmuggelten, allerdings handle es sich dabei nur um sehr kleine Mengen an Arzneimitteln.

Zudem fehle medizinisches Personal, um die Bevölkerung in Mariupol ärztlich zu vorsorgen; Operationen seien nicht möglich. Dies gelte auch für die anderen Kampfgebiete des Landes.

Ukraine: Für Moskau gibt es nur die Kapitulation

Angesichts des teils erfolgreichen Widerstands der ukrainischen Armee gegen russische Truppen verbreitet der nationale Sicherheitsrat in Kiew Siegesgewissheit. Der Krieg werde nicht mit einem Friedensabkommen, sondern mit einer Kapitulation des Angreifers enden, sagte der Sekretär des Rates, Olexij Danilow.

Einem US-Insider zufolge erzielte Russland in den vergangenen Tagen "bestenfalls minimale" Fortschritte bei seiner Offensive im Osten des Landes. Medienberichte, wonach der russische Generalstabschef in der vergangenen Woche bei Kämpfen im Donbass verletzt worden sei, bestätigten die Vereinigten Staaten nicht.

Dass Waleri Gerassimow die Region besucht habe, sei dagegen wahr, so ein hochrangiger US-Militärvertreter.

Odessa im Visier

Auch in Odessa, das zuletzt immer wieder Ziel von Attacken war, gab es neue Angriffe. Erst am Samstag war nach ukrainischen Angaben beim Beschuss des Flughafens der Hafenstadt die Landebahn zerstört worden.

Der russische Generalmajor Rustam Minnekajew hatte im vergangenen Monat angekündigt, Ziel der nun eingetretenen "zweiten Phase" des Militäreinsatzes in der Ukraine sei die Eroberung des Donbass und des Südens des Landes.

Neben einer Landverbindung zur annektierten Krim-Halbinsel würde so auch eine bessere Unterstützung für prorussische Separatisten in Transnistrien in der Republik Moldau ermöglicht, erklärte er.

Diese von russischen Nachrichtenagenturen verbreiteten Äußerungen deuten darauf hin, dass Moskau neben der kompletten Einnahme Mariupols auch die Eroberung von Odessa anstrebt. Odessa mit seinen rund einer Million Einwohner ist wegen seiner langen Geschichte sowohl für Ukrainer als auch für Russen symbolisch wichtig.

Zudem liegt in der vorwiegend russischsprachigen Metropole der größte Hafen der Ukraine, diese ist somit lebenswichtig für die Wirtschaft des gesamten Landes.

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