"Wir wissen nicht einmal, ob Maria Kalesnikova noch lebt"

Frau unter Gittern formt ein Herz mit ihren Händen
Sie ist die Symbolfigur des Widerstandes gegen Europas letzten Diktator. Weggesperrt und ausgehungert schwebt die Musikerin in Lebensgefahr. Ein Gespräch in Wien mit Kalesnikovas früherer Mitstreiterin.

„Manche sagen, Strafkolonie sei besser als Gefängnis, weil man im Straflager arbeitet und nicht den ganzen Tag in der Zelle sitzt. Aber ich weiß das nicht“, sagt Olga Shparaga, „ich habe nur das Gefängnis erlebt.“ Die Philosophin aus Minsk lächelt zurückhaltend, rührt gedankenverloren in ihrer Tasse, hier, in einem Wiener Kaffeehaus.

15 bedrückende Tage lang saß die Weißrussin im Spätsommer 2020 in Haft. Ihr Vergehen: Sie hatte an den Protesten gegen die gefälschten Präsidentenwahlen teilgenommen. Schlimmer noch: Die zierliche, politische Aktivistin gilt als eine der Vordenkerinnen für die Massendemonstrationen gegen den "letzten Diktator Europas", den belarussischen Staatschef Alexander Lukaschenko

Als sich die Hinweise mehrten, dass Olga Shparaga erneut verhaftet und dann wohl für viele Jahre hinter Gitter gebracht werden würde, packten die 50-Jährige und ihr Mann ihre Koffer. Exil: Litauen, Deutschland, Österreich.

Seit eineinhalb Jahren kein Lebenszeichen von inhaftierter Freundin Kalesnikova

Für Olgas Freundin Maria Kalesnikova aber kam Exil nie in Frage. Mit raspelkurzen, weißblond gefärbten Haaren und knallrotem Lippenstift kennt man die Musikerin. Die Frau, die anstatt des Kandidaten Viktor Babariko, der vor vier Jahren nicht antreten durfte, in die Wahl zog – zusammen mit Swetlana Tichanowskaja (deren Mann zu diesem Zeitpunkt schon verhaftet war) und Veronika Zepalko. Deren Mann war die Kandidatur ebenfalls verweigert worden.

"Wir wissen nicht einmal, ob Maria Kalesnikova noch lebt"

Veronika Zepalko (l.), Swetlana Tichanowskaja und Maria Kalesnikova (r.)

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