Maos Persönlicher Sekretär und Opfer der Diktatur
Denn der Mann, der 2019 mit 101 Jahren verstarb, war dabei und zwar ganz nahe bei dem Mann, der diese Epoche prägte, der für all die Millionen von Toten, die sie hinterlassen hauptverantwortlich ist: Mao Zedong. Liu Riu hat seinen Aufstieg begleitet, als junger begeisterter Kommunist, als Kämpfer und dann ab 1958 als persönlicher Sekretär des Diktators. Lis Blick auf diese Epoche, seine persönlichen An- und Einsichten sind auf Tausenden Seiten festgehalten.
Tausende Seiten in Schachteln
In Schachteln gestappelt liegen sie in den für Zeitgeschichte verantwortlichen Archiven der amerikanischen Eliteuniversität Stanford. Dort will man sie aufarbeiten und veröffentlichen. So will es Lis Tochter, Li Naniyang, die die Aufzeichnungen ihres Vaters aufbewahrt und aufgearbeitet hat. Sie lebt seit Jahrzehnten in den USA und hat sie deshalb der Universität übergeben.
Doch da gibt es auch die Witwe des Mao-Sekretärs, die seit einigen Jahren, die Herausgabe der Dokumente fordert und diese nach China zurückschaffen will. Dort und nur dort sollen sie von staatlichen Behörden aufgearbeitet werden - und genau diese staatlichen Behörden stecken, davon sind die Experten in Stanford überzeugt, hinter der 89-Jährigen und ihrer Forderung.
Die Witwe als Handlanger des Regimes in Peking
Schließlich meldete sich nicht die heute über 90-Jährige persönlich, sondern chinesische Rechtsanwälte. Inzwischen sind in den bereits seit Jahren andauernden Rechtsstreit mehrere Millionen Dollar geflossen. Summen also, die Zhang Yuzhen alleine niemals hätte aufbringen können. Jetzt aber steuert dieser Rechtsstreit auf einen Höhepunkt zu. Vor einem Gericht in Kalifornien wird an diesem Montag der Prozess zwischen Stanford und der Witwe aus Peking eröffnet.
Für die Forschung wertvoll, für die Politik brisant
Dass Peking dieses einzigartige Dokument der Zeitgeschichte zurück haben möchte, ist angesichts der Brisanz des Materials wenig überraschend. Schließlich war Li nicht nur Augenzeuge des Tianamen-Massakers, er erlebte auch die Verbrechen des Mao-Regimes aus der Nähe mit:
Von den willkürlich ausgelösten Hungersnöten in den 1950ern bis zur Kulturrevolution in den 1960ern mit ihren massenhaften Zerstörungen historischer Gebäude und den willkürlichen Verhaftungen hunderttausender Menschen.
Schließlich sollte sich Li offen gegen diese Verbrechen und seinen Chef Mao Zedong stellen. Vom engsten Vertrauten wurde er zum politischen Feind und landete für Jahre als politischer Häftling in den Strafanstalten der Diktatur. Erst nach Maos Tod 1976 kehrte er in die Führungsriege von Chinas Kommunisten zurück und wurde dort einer der wichtigsten Verfechter politischer Reformen und einer Öffnung des Landes und des Regimes. Sein Blick auf die Ära Maos, aber auch auf die chaotische Ära des Umbruchs danach ist also nicht nur der eines Insiders, sondern auch eines Kritikers. Das macht diese Schachteln, um die jetzt zwischen China und den USA gestritten wird, für die Forschung so wertvoll - und für die Politik so brisant. Ihr Wert, so formuliert es eine der damit betrauten Wissenschaftler in Stanford, "kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden."
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