Luft raus aus der Ballon-Affäre? US-Insider stützen teilweise Chinas Erklärung
Die Affäre um einen mutmaßlichen chinesischen Überwachungsballon, der nach einer siebentägigen Reise über Nordamerika am 4. Februar von der US-Luftwaffe vor der Küste South Carolinas abgeschossen wurde, entwickelt sich in den USA immer mehr zur Staatsaffäre. Sowohl republikanische als auch demokratische Senatoren forderten zuletzt mehr Klarheit von US-Präsident Joe Biden, nachdem am Wochenende auch noch drei unbekannte Flugobjekte (Ufos) über den Bundesstaaten Alaska und Michigan sowie dem kanadischen Yukon-Gebiet vom Himmel geholt worden waren.
Biden äußerte sich zu den aufsehenerregenden Abschüssen vom Wochenende bisher nicht. Stattdessen trug John Kirby, Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates, am Dienstagabend neue Erkenntnisse in die Öffentlichkeit - und erhöhte damit den Druck auf seinen Vorgesetzten.
Kirby gestand einerseits ein, dass die unbekannten Flugobjekte - anders als der chinesische Ballon - wohl nicht zur Spionage eingesetzt wurden. Sie seien wohl zivile oder wissenschaftliche Geräte gewesen, jedenfalls dienten sie "gutartigen" Zwecken. Er gab auch zu, dass US-Kampfjets das dritte Ufo über dem Huron-See in Michigan erst beim zweiten Abschussversuch trafen. Die erste Sidewinder-Rakete verfehlte demnach das Ziel und stürzte in den bis zu 230 Meter tiefen See. Ein Fehlschuss, der das US-Militär mindestens 400.000 Dollar kostete.
Zudem musste Kirby eingestehen, dass es bei der Bergung der abgeschossenen Flugobjekte wegen der extremen Wetterverhältnisse im hohen Norden noch keine Fortschritte gebe. "Wir haben sie noch nicht gefunden", so der Sprecher.
Pentagon-Insider: Ballon wurde vom Wind verweht
Deutlich mehr Erkenntnisse lieferten Pentagon-Insider dagegen am Mittwoch zu dem mutmaßlichen chinesischen Überwachungsballon. Wie die Washington Post unter Berufung auf anonyme Quellen aus dem Inneren des US-Verteidigungsministeriums berichtet, verfolgten amerikanische Geheimdienste den Ballon bereits, seit er am 20. Jänner von der chinesischen Insel Heinan aus aufgestiegen war.
Er soll demnach zwar mithilfe von Propellern sowie einem mechanischen Ruder autonom steuerbar gewesen sein, der Antrieb sei aber wohl schwächer als bisher vermutet gewesen. Der Ballon dürfte sich also durchaus an Windströmungen orientiert haben, um auf Kurs zu bleiben.
Eine tiefergehende Analyse der Flugroute und Wetterverhältnisse soll darauf hindeuten, dass der Ballon wohl tatsächlich nicht planmäßig über das US-Festland hätte fliegen sollen, sondern über US-Stützpunkte im Pazifik, unter anderem auf den Außengebieten Guam und Hawaii. "Starke Winde" hätten den Spionage-Ballon allerdings mit großer Geschwindigkeit nach Norden getrieben, bis er am 28. Jänner erstmals über Alaska in den US-Luftraum eindrang.
Der Zeitraum der Kursveränderung fällt exakt auf jene Tage Ende Jänner, als eine enorme Kaltfront für eisige Temperaturen in Ostasien sorgte, vor allem in Japan, Südkorea und dem Norden Chinas. Von Alaska aus sei es erneut der Wind gewesen, der den Ballon über Kanada gen Süden in das Kernland der Vereinigten Staaten getrieben habe - nur zwei Tage, bevor US-Außenminister Anthony Blinken zu seinem von beiden Seiten heiß ersehnten Besuch nach China aufgebrochen wäre. Der Ballon-Konflikt verhinderte die Reise schließlich.
Was die neuen Erkenntnisse erklären könnten
Der Bericht rückt gleich zwei Entwicklungen in der Affäre in neues Licht. Einerseits bestätigt er die weithin verbreitete These, im US-Verteidigungsministerium hätte man schon vorab von der bevorstehenden Ankunft des Ballons gewusst und den Fall wegen der anstehenden China-Reise Blinkens ursprünglich klein halten wollen.
Erst, als etliche US-Bürger im Bundesstaat Montana ein rätselhaftes, rundes Objekt im Himmel gemeldet und Videos von dem Ballon in den sozialen Medien geteilt hatten, machte das Weiße Haus die Affäre publik.
Zudem könnte der Bericht die zunächst verhaltene Reaktion der chinesischen Führung erklären: Das sonst rhetorisch meist mit schweren Geschützen agierende Außenministerium in Peking erklärte nach Bekanntwerden des Ballons zunächst, den "Zwischenfall" zu "bedauern".
Wang Yi, bis 1. Jänner zehn Jahre lang Außenminister und seither oberster außenpolitischer Ideologe Chinas, lieferte anschließend erstmals die Erklärung, es handle sich lediglich um einen "zivilen Wetterballon", der "aufgrund höherer Mächte" von seinem Kurs abgekommen war. Zumindest der zweite Teil des Statements dürfte nahe an der Wahrheit liegen.
Ist die Luft damit raus aus dem Konflikt?
Auch, wenn die Enthüllungen die schlimmsten Vermutungen im Pentagon nicht bestätigen, dürfte sich dadurch am extrem angespannten Verhältnis beider Großmächte nichts ändern. Zu augenscheinlich führte die Affäre der Öffentlichkeit die chinesischen Spionage-Aktitiväten vor Augen.
China habe ursprünglich zwar eine andere Flugroute für den Ballon eingeplant, wollte damit aber trotzdem US-Militärbasen im Pazifik ausspionieren. Dass der fliegende Besucher später im US-Bundesstaat Montana stundenlang in unmittelbarer Nähe des US-Luftwaffenstützpunkts Maelstrom in der Luft hängen blieb, sei zudem "kein Zufall" gewesen, heißt es aus dem Pentagon.
Soll heißen: China habe versucht, das Beste aus der Situation zu machen und so viel Informationen aus dem US-Luftraum zu schöpfen versucht, wie nur möglich. Diese Erkenntnis sei im Weißen Haus letztlich ausschlaggebend dafür gewesen, die Blinken-Reise nach China abzusagen und den Ballon später in sicherem Gebiet abzuschießen.
Der Ton der Chinesen wurde erst nach dem Abschuss des Ballons am 4. Februar zunehmend rauer. Kurz nach dem Manöver soll US-Verteidigungsminister Lloyd Austin versucht haben, Kontakt zu seinem chinesischen Gegenüber Wei Fenghe aufzunehmen, doch der lehnte ab. Der "fehlgeleitete Ansatz" der USA habe "keine angemessene Atmosphäre für Dialog" geboten.
Anschließend warf Chinas Außenministerium den USA eine "unprovozierte Überreaktion" und einen "Verstoß gegen internationales Recht" vor. Am Montag setzte Ministeriumssprecher Wang Wenbin noch eins drauf und erklärte, die Vereinigten Staaten, "das Spionage-Imperium der Welt", würden "ständig" Überwachungsballons über die Territorien fremder Staaten schicken.
Mögliche Aussprache am Wochenende in München
Alleine 2022 sollen zehn solche US-Ballons den chinesischen Luftraum verletzt haben - ein Vorwurf, den Kirby am Mittwoch auf Nachfrage von sich wies: "Wir fliegen keine Überwachungs-Ballons über China. Mir ist nicht bekannt, dass wir überhaupt Flugobjekte in den chinesischen Luftraum entsandt hätten."
Wie die New York Times am Mittwoch berichteten, stützt sich das US-Militär bei der Luftraumüberwachung vor allem auf die Bilder seiner fortschrittlichen Satellitenflotte. Klassische Flugobjekte entsende man vor allem deshalb nicht in Staaten mit fortschrittlichen Luftabwehrkapazitäten wie China, weil sie abgefangen werden und heikle Erkenntnisse preisgeben könnten. Genau so, wie das US-Militär es jetzt umgekehrt mit dem chinesischen Ballon getan hat.
Eine erste Möglichkeit zur Aussprache seit dem Ballon-Abschuss scheinen beide Seiten am kommenden Wochenende anzupeilen. Dann werden bei der Münchner Sicherheitskonferenz unter anderem Chinas oberster Außenpolitiker Wang Yi, sowie US-Außenminister Anthony Blinken erwartet. Wie es aus Washington heißt, streben beide Chefdiplomaten im Rahmen der Konferenz ein klärendes Gespräch an.
Kommentare