Libanon: Die Faust gegen den Frust
Langsam senkt sich die geballte Faust am Beiruter Märtyrerplatz. „Zündet ihr unsere Wahrzeichen an, stellen wir zwei neue auf“, sagt Mahmud kämpferisch. Der libanesische Arzt gibt einigen jungen Männern Anweisungen, während der Kran das gut zwölf Meter lange Symbol hinablässt. Die Männer beginnen, sie an einem Masten zu befestigen. Am Boden wirbelt der Wind die Asche jener Faust auf, die am Mittwochabend von Gegnern des Protests niedergebrannt wurde. Nun erheben sich zwei.
Die Faust ist das Symbol der libanesischen Protestbewegung, die vor einem Jahr auf die Straßen gegangen ist, um die Regierung des damaligen Premierministers Saad Hariri aus dem Amt zu jagen.
Jener Hariri, der am Donnerstag damit beauftragt wurde, eine neue Regierung zu bilden – und abermals sein altes Amt zu bekleiden. „Das ist ein Schlag ins Gesicht eines jeden Libanesen“, ist Mahmud außer sich. Er war dabei, als sich das Land vor einem Jahr erhob.
Korruption und Krise
Zu groß war die Unzufriedenheit der Menschen, zu offensichtlich grassierten Korruption und Vetternwirtschaft, zu sehr war das Land in einer tiefen Krise. Letztendlich beugte sich Hariri dem Druck der Straße, trat zurück. Doch es sollte schlimmer kommen: weitere gescheiterte Versuche, eine neue, vom religiösen Proporzsystem unabhängige Regierung zu bilden; die Corona-Krise, eine massive Entwertung der Landeswährung, die verheerende Explosion im Hafen von Beirut, haben die Bevölkerung in einen Zustand der Apathie versetzt.
„Viele meiner Freunde wandern aus, weil sie in diesem Land keine Zukunft mehr sehen. Und ich muss sagen, ich verstehe sie“, sagt Mahmud. Er selbst will bleiben und setzt seine Hoffnung darauf, dass sich am politischen System des Libanon etwas ändert.
Tatsächlich aber nützt die Krise den etablierten Parteien, die vor allem die religiösen Gruppierungen des Landes repräsentieren. Und wenn Lebensmittel im Supermarkt für die durchschnittliche Bevölkerung kaum noch leistbar sind, kümmert sich eben die Partei um ihr Klientel, gibt Essensrationen aus, verschafft Jobs im öffentlichen Dienst. Die Protestbewegung trifft das hart: Von der glaubensübergreifenden Front, die die Bewegung noch vor einem Jahr war, ist nicht mehr viel zu sehen. Schon früh hatten sich die Schiiten ab- und wieder ihren Parteien – Hisbollah und Amal – zugewandt. Das Feuer am Mittwochabend dürften Anhänger der sunnitischen „Zukunftsbewegung“, Hariris Partei, gelegt haben.
Nur wenige Gehminuten vom Märtyrerplatz entfernt bietet der Hafen nach wie vor ein Bild der Zerstörung: Der dunkle Silo, in dem das Ammoniumnitrat gelagert war, das am 4. August explodierte, ragt wie ein Mahnmal in den Himmel. Rundherum liegen noch immer die Trümmer der heftigen Explosion.
Dahinter beginnt das ehemalige Ausgehviertel Gemmayzeh, das besonders stark von der Explosion getroffen wurde. Noch immer säumen Häuser mit zerborstenen Fenstern die Gouraud-Straße, hängen von der Wucht der Detonation eingerissene Türrahmen in Hauseingängen. Doch es liegt auch der Geruch von Farbe und Lack in der Luft, Geräusche von Bohrmaschinen und Hämmern dringen aus den Häusern.
Einige kleine Läden verkaufen Zigaretten, Obst und Gemüse. Die Menschen arbeiten daran, ihre zerstörten Lokale und Häuser wieder auf Vordermann zu bringen. Die Zeit drängt. Denn bald beginnen im Libanon die Regenmonate, und so manches Dach wird bis dahin nicht dicht genug sein.
Wenige Lokale hatten Glück, wie etwa das Café Standard, das in Richtung Hafen von einer dicken Wand geschützt ist. „Wir hatten nur für 34 Tage geschlossen“, sagt der Kellner, als er beim Eintreten Fieber misst.
Die Corona-Maßnahmen werden hier strikt eingehalten. Aus den Boxen dudelt kubanische Musik, vielfach unterhalten sich die Menschen auf Englisch, wie etwa Nuura aus Beirut und Zoe aus London. Die beiden arbeiten an einem Projekt für syrische Flüchtlingskinder.
Am Protestieren hat Nuura das Interesse verloren. „Lieber konzentriere ich mich auf Dinge, bei denen ich wirklich etwas bewirken kann“, sagt sie. Nach wie vor befinden sich rund zwei Millionen Syrer im Libanon, doch immer mehr häufen sich Berichte von Booten, die in Richtung Zypern aufbrechen. Zu prekär ist die Lage vor Ort geworden.
Schon wieder Hariri
Diese Lage soll jetzt ausgerechnet Saad Hariri verbessern, der vielen als Symbol des korrupten Staates gilt. Doch es bleibt abzuwarten, ob es ihm überhaupt gelingt, eine Regierung zu bilden.
Die Hisbollah wird darauf bestehen, den Finanzminister zu stellen. Das widerspräche dem Wunsch des Westens – angeführt von Frankreichs Emmanuel Macron –, eine unabhängige Expertenregierung an die Macht zu bringen.
Gleichzeitig will der Westen den Libanon nicht im Stich lassen. Es werden weitere Hilfsgelder fließen, von denen nur ein Bruchteil der breiten Bevölkerung zugutekommen dürfte. So war das immer. „Dagegen wollen wir ein Zeichen setzen“, sagt Mahmud am Märtyrerplatz. „Auch wenn wir gegen Windmühlen kämpfen.“
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