„Im Bett ist es so kalt, als würde man draußen schlafen“, erzählt Thelma, 54, die nahe Birmingham lebt, der BBC. Weil ihre Energiekosten von 44 Pfund pro Monat auf 99 Pfund (118 Euro) gestiegen sind, heizt sie nur noch einen Raum und hat begonnen, Essen von einer Lebensmitteltafel zu beziehen. „Ich kann nachts nicht schlafen, weil ich darüber nachdenke, welche Kosten ich streichen kann.“
Mit einer Inflation auf einem 30-Jahr-Hoch, stark steigenden Preisen für Energie und Grundnahrungsmitteln sowie höheren Steuern bedroht viele Briten ein Kosten-Tornado. Dieser führt vor allem in ärmeren Haushalten zu Einbußen, die die Denkfabrik Resolution Foundation auf 1.200 Pfund (rund 1.430 Euro) pro Jahr schätzt und vor einer „Lebenshaltungskosten-Katastrophe“ warnt. Kein Wunder, dass sie 2022 bereits als „year of the squeeze“, also Jahr der Knappheit oder Klemme, für viele Haushalte tituliert.
Wie sehr all das den Alltag vieler bedroht, wurde kürzlich im Frühstücks-Fernsehen deutlich. „Wir beginnen, manche Kunden an Tafeln zu verlieren oder, ohne zu dramatisch zu sein, an Hunger“, gab da der Geschäftsführer der britischen Supermarktkette Iceland zu. Auch die Tatsache, dass sich Millionen ärmerer Briten zwischen „heizen oder essen“ entscheiden müssen, also „heat or eat“, kommt dieser Tage immer wieder in die Schlagzeilen. „Menschen werden an Hunger sterben“, warnte gar die Aktivistin Jack Monroe im Mirror. „Ein älterer Mann hat mir gesagt, dass er einen Teelöffel Zahnpasta gegessen hat, nur um das Gefühl zu haben, etwas im Mund zu haben“.
Energiearmut
Die Regierung schätzt, dass 2019 fast 3.2 Millionen Haushalte im größten Landesteil England unter Energiearmut litten; die Resolution Foundation, die andere Daten verwendet, spricht von mehr als 2 Millionen, warnt aber, es könnten heuer 6,2 Millionen werden. Gleich zeitig bezogen mehr als 2,5 Millionen Menschen im Land schon in den 12 Monaten bis März 2021 Essenspakete von Tafeln der karitativen Organisation Trussell Trust, ein neuer Rekord. Tendenz: steigend.
Dass sich der britische Premier Boris Johnson derzeit auf sein politisches Überleben konzentriert, weil bald ein Untersuchungsbericht zur „Partygate“-Affäre um Lockdown-Feste von Regierungsmitarbeitern erwartet wird, erbost da so manchen. Manche von Johnsons konservativen Tories warnen bereits, dass nach Wochen von Party-Schlagzeilen, die ihm und seiner Partei ein Umfragetief beschert haben, im April eine noch größere Gefahr drohe. Da soll nämlich der Energiepreisdeckel um mehr als 50 Prozent gehoben werden und Sozialversicherungsbeiträge um 1,25 Prozent ansteigen. Manche Tories fordern nun, zumindest diese zweite Belastung aufzugeben. Denn die Lebenskostenkrise sei „das Top-Problem für den Premier“ – weil es noch mehr Wähler kosten könnte, vor allem in Ex-Labour-Hochburgen, wo Johnson 2019 viel Erfolg hatte, warnte kürzlich der Tory-Mandatar Robert Halfon. Auch Thelma sagt, sie kann kaum an anderes denken: „Du sitzt da und machst dir Sorgen darüber, wie du deine Rechnungen bezahlst“.
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