Und dann gibt’s noch 35 weitere Plätze im Bus nach Norwegen, samt Schlafplatz am Ziel, Sicherheit und Aussicht auf eine Zukunft. Noch tut sich die junge Norwegerin schwer, den übermüdeten Menschen, die sich um die Informations-Zelte vor dem Bahnhof drängen, ihr Angebot klar zu machen. Die meisten der Tausenden Flüchtlinge, die hier täglich stranden, haben Polen als Ziel im Kopf. Dort gebe es eine Tante hier, einen alten Freund da, Anlaufstellen, an denen man sich festhalten kann, wenn man alles hinter sich gelassen und sein Leben in einen kleinen Koffer gepackt hat.
Wer nicht sofort weiterkommt, bewegt sich in Richtung Zentrum. Dort bestimmen Flüchtlinge inzwischen das Straßenbild der Stadt, die Wien so seltsam ähnlich sieht. Autos mit Kennzeichen von Kiew bis Dnjepropetrowsk parken kreuz und quer in den engen Gassen der Altstadt. Das Rattern der Reisekoffer über das Kopfsteinpflaster bestimmt die Geräuschkulisse in der sonst so still gewordenen Touristenmetropole.
Viele Geschäfte, vor allem die schicken Boutiquen mit der Luxus-Markenware, sind geschlossen. Abends um zehn ist Ausgangssperre. In den Aufzügen der Nobelhotels hängt statt des täglichen Ausflugs-Angebots der Wegweiser zum nächsten Luftschutzkeller im Falle eines Angriffs.
Alkohol ist in der Stadt verboten. Wäre wohl zu gefährlich, meint ein Pensionist im örtlichen Stadtpark. Inzwischen gebe es viel zu viele Bewaffnete hier: „Die haben sich alle ein Gewehr geschnappt und wollen jetzt kämpfen gehen.“
Angst vor einem russischen Angriff hier haben die Wenigsten. Die Front ist rund 500 Kilometer weit weg. Der Krieg kommt hierher, in die Stadt, die so geprägt ist von den Prunkbauten der k.u.k-Monarchie, nur als Begleiter der übermüdeten Flüchtlinge aus dem Rest des Landes.
Kaum jemand hier, der nicht Verwandte aus den umkämpften Gebieten bei sich aufgenommen hat. In den Stiegenhäusern der alten Zinshäuser aus der Gründerzeit herrscht ein Kommen und Gehen. Die Wohnungen sind oft so überfüllt, dass manche der Gäste zwischendurch am Gang sitzen, um ein bisschen Ruhe zu haben.
Noch muss sich das alles erst zusammenfügen, die Menschen, die hier stranden, und jene, die aus ganz Europa kommen, um ihnen zu helfen. So wie David etwa, der ist mit seiner rollenden Imbissbude, einem Extra-Lkw mit Essen und Gas, und einer Handvoll guter Freunde hierher in die Westukraine gereist, um Pizza für Flüchtlinge zu machen. Mit Verpflegung für Tausende hat der Event Manager reichlich Erfahrung und ein paar Zelte, in denen man sich aufwärmen kann, hat er auch noch mitgebracht: „Jetzt muss ich nur noch schauen, wo ich die aufstellen kann.“
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