Charkiw leistet erbitterten Widerstand - KURIER berichtet vor Ort
"Wir kämpfen für unser Land. In der Nacht haben wir einige Russen getötet", sagt der junge Soldat mit heiserer Stimme und zieht an seiner Zigarette. Er sitzt an der Kante eines ukrainischen Schützenpanzers, seine Kameraden nicken.
Allen ist die vergangene Nacht sichtlich anzumerken: Augenringe, ausgemergelte Gesichter. "Wer soll die Ukraine verteidigen, wenn nicht wir?", setzt der Soldat nach.
Der Panzer steht mit drei weiteren an einem Straßenrand an der östlichen Front Charkiws, der zweitgrößten Stadt der Ukraine, die seit Donnerstag hart umkämpft ist. Kamen die russischen Streitkräfte am Donnerstag hauptsächlich von Norden, versuchen sie anscheinend, die Stadt auch von Osten aus anzugreifen.
Starker Widerstand
Der Widerstand der ukrainischen Armee scheint unerwartet stark zu sein, Videos von zusammengeschossenen russischen Panzern im Norden der Stadt kursieren. Videos, die ukrainische Soldaten gerne herumreichen. Ein Blick in ihre Gesichter zeigt: Diese Videos geben der materiell unterlegenen Armee Hoffnung.
Ein Zischen geht über den Wald hinweg, der die Straße umschließt. Ob Kampfjet oder Rakete, lässt sich im dichten Schneetreiben nicht beurteilen.
Etwas weiter die Straße entlang liegt das Dorf Korobochkyne. Panzer haben ihre tiefen Spuren im Lehm links und rechts der holprigen Straße hinterlassen. Bis auf einige Soldaten ist der Ort leer, die Häuser sind verlassen. Nur hin und wieder fährt ein ziviles Fahrzeug die 40 Kilometer in Richtung Charkiw, das am Freitag weitere Male mit Mehrfachraketenwerfern bombardiert wurde.
Raketenangriff
Zentrum, Freitagmittag: Dröhnender Donner erfüllt die Luft, viele Menschen auf der Straße beginnen zu laufen, suchen Schutz in den U-Bahnstationen. Fahrzeuge beschleunigen, um irgendwie der drohenden Gefahr aus der Luft zu entkommen, die sie nicht sehen können. Plötzlich bebt die Erde. Einschläge. Dann Stille. Krankenwagen rauschen mit Blaulicht durch die Straßen, langsam kommen Menschen aus Häusern und Unterschlüpfen, gehen weiter – zu Bankomaten, Apotheken oder Lebensmittelläden. Lokale sind geschlossen.
Menschen verbringen die Nacht in der U-Bahnstation Heroiv Pratsi im Osten Charkiws
Eine der Raketen schlug mitten in einem Wohnviertel ein – und blieb stecken. Ein Blindgänger. Während die Rakete geborgen wird, stehen die Anrainer mit steinerner Miene um den Berge-Lkw der Armee herum. Unter einem Balkon im Hochparterre blickt eine Gruppe Kinder mit großen Augen auf den Kran, der das Geschoß in den Lkw hebt. Immer wieder dringt das Donnern der Artillerie durch Mark und Bein der Charkiwer Bevölkerung. Militäranalysten sagen, dass der harte Widerstand der ukrainischen Armee die russischen Streitkräfte zu härteren Waffen greifen lässt.
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