Die blutige Spur von Russlands Herrschern
Stalin hatte den berühmten Filmemacher Sergej Eisenstein zu sich in den Kreml zitiert. Er wollte ihm klarmachen, was er sich von dessen Film über Iwan IV., genannt der Schreckliche, erwartete. „Grausam“ müsse der Zar sein, und es müsse deutlich werden, dass er gar nicht anders sein konnte.
Der in Paranoia versinkende sowjetische Diktator hatte sich den ähnlich psychopathischen Zaren aus dem 16. Jahrhundert zum Vorbild genommen. Er wollte das Bild, das seine Landsleute von Iwan hatten, prägen. Und dieses Bild sollte furchteinflößend sein.
Was Stalin da inszenieren ließ, ist ein typisches Bild für die lange Linie der Herrscher im Kreml: Ob es sich nun um eines der russischen Herrscherhäuser handelt, um die Diktatoren der Sowjetunion oder zuletzt um Wladimir Putin. Immer umgibt die Mächtigen eine Aura der Gewalt und der fast religiös geprägten Entrücktheit.
Von einem „mystischen Verhältnis zwischen Volk und autoritärer Herrschaft“ schreibt der russische Autor Nikolai Kononow in der NZZ: Gerade Putin bedient diese russische Idee von Herrschaft wieder ganz bewusst. Man sieht sich als Gegenmodell zum moralisch verwahrlosten Westen, als die einzige echte christliche Nation, die ihren eigenen Weg gehen müsse, auch mit den Mitteln der Gewalt.
Und diese Gewalt, betont der österreichische Historiker Gerald Karner, ist ein Leitmotiv, das die Geschichte der russischen Herrscher begleitet. Furcht sollten sie verbreiten, nicht nur bei ihren Nachbarn in Osteuropa, mit denen sie Kriege führten, sondern auch bei der eigenen Bevölkerung.
Grausamkeiten, Gewaltakte ohne Rücksicht auf Menschenleben prägen diese Biografien. Weil dieses riesige Reich nicht anders zusammenzuhalten war, meinen russische Historiker – und weil ihre Nachfolger, bis hin zu Putin, die Blutspur möglichst deutlich und lang machten. Sie wollen ja selbst gefürchtet werden.
Iwan der Schreckliche: Das Musterbild des russischen Herrschers (1530-1584)
Es ist kein Zufall, das gerade Stalin Autoren, Historiker und Filmemacher wie Sergej Eisenstein dazu anhielt, das Bild Iwans als unbarmherziger Schreckensherrscher zu zeichnen. Nicht nur seine zahlreichen Ehefrauen wurden regelmäßig Opfer seines Jähzorns und seiner Grausamkeit, auch sein Umgang mit unliebsamen Untertanen und politischen Gegnern ist davon geprägt. Die Opritschniki, eine Militäreinheit, die allein dafür da war, seinen politischen Willen durchzusetzen und für Angst und Schrecken zu sorgen, führten regelmäßig Massenexekutionen mit Tausenden Opfern durch. Iwan aber ermordete auch persönlich Gegner und in Ungnade gefallene Vertraute. Zahlreiche Foltermethoden, oder Grausamkeiten gegen Untertanen, soll er sich persönlich ausgedacht haben. Wie viele russische Herrscher prägte Iwan die ständige Angst vor Verrätern und das krankhafte Misstrauen gegen jeden.
„Wirf es in Iwans Korb“
Peter der Große: Für seine Hauptstadt starben Hunderttausende (1672-1725)
Der erste Zar des Russischen Reiches gilt als großer Reformer, der sein Land in Richtung Europa führte. Doch für diese Reformen ging Peter buchstäblich über Leichen. Da er in dem von zahlreichen unterirdischen Tunneln unterhöhlten Moskau ständig in Angst ermordet zu werden, verharrte, ordnete Peter den Bau einer neuen Hauptstadt in der sumpfigen Mündung des Flusses Newa an. Für das gigantische Bauprojekt wurden nicht nur Zehntausende Leibeigene im ganzen Reich zwangsrekrutiert, auch sämtliche anderen Bauvorhaben wurden zurückgestellt. Die Arbeitsbedingungen waren so hart, dass Tausende zu fliehen versuchten. Wurden sie gefasst, ließ man ihnen die Nase abschneiden, um andere abzuschrecken. Dazu kamen Mangelernährung und Seuchen, die dazu führten, dass Hunderttausende Arbeiter bei der Errichtung der Stadt starben, Sie war, wie ein zeitgenössisches Sprichwort sagt, auf Skeletten aufgebaut.
„Es wird in diesem Reich alles einmal ein Ende mit Schrecken nehmen, weil die Seufzer so vieler Millionen wider den Zaren zum Himmel steigen.“
Katharina die Große: An Russlands Realität zerschellt (1729-1796)
Die Deutsche auf dem Zarenthron gilt nicht umsonst als eine der erfolgreichsten Herrscher Russlands. Doch ihr Traum, die Ideen der europäischen Aufklärung in Russland umzusetzen und so aus dem Land, wie sie selbst sagte „eine europäische Nation“ zu machen, scheiterte an der Realität und dem mächtigen Adel. Die Befreiung der Bauern aus Leibeigenschaft und erdrückender Ausbeutung durch ihre Grundherren, war eine Idee, die selbst verwarf, nachdem sie eine Aufstand der Kosaken gegen sie mit äußerster Brutalität niedergeschlagen hatte. Von da an war Katharina davon überzeugt, dass Russland, um erfolgreich regiert zu werden, seinen mächtigen Adel und seine entrechtete Landbevölkerung brauchte. Zwar kümmerte sie sich um Bildung und Sozialwesen, doch die Ideen von Menschenrechte, die sie noch als junge Herrscherin selbst formuliert hatte, tat sie später als „leeres Geschwätz“ ab, die Angst vor einer Revolution wie in Frankreich war größer als ihr Glaube an die Aufklärung. Ihre Eroberungen brachten Russland übrigens die Krim und jene Gebiete im Süden Russlands ein, die Putin heute zurückerobern will.
„Die französische Pest der Auflehnung gegen die Obrigkeit…das sind die Prinzipien, die Frankreich ins Verderben stürzen“
Nikolaus II. Gottesgnadentum bis in den Untergang (1868-1918)
Schon sein überhasteter Amtsantritt – Vater Alexander war unerwartetet verstorben – war von einer Katastrophe überschattet. Auf dem Moskauer Chodynkafeld warteten Hunderttausende auf Essen und Wodka, die anlässlich der Krönung ausgegeben werden sollten. Die Verköstigung war so schlecht organisiert, dass eine Massenpanik ausbrach und mehr als 1000 Menschen umkamen. Doch die gesamte Amtszeit des letzten Zaren war geprägt von der Ahnungslosigkeit über den realen Zustand seines Reiches und seinem sturen Festhalten an dem Prinzip des Gottesgnadentums, das ihm absolute Macht verlieh. So traf er innen- wie außenpolitisch katastrophale Fehlentscheidungen, die die russische Armee in mehreren Kriegen in blutige Niederlagen stürzten, zuletzt im Ersten Weltkrieg. Er unterdrückte Minderheiten brutal und verweigerte überfällige Reformen. Beeinflusst von seiner Frau Alexandra, einer religiösen Fanatikerin und dem Prediger und Wunderheiler Rasputin, verschloss er sich zunehmend vor der Realität – bis zum tragischen Ende.
„Alle sollen wissen, dass ich mit allen meinen Kräften dem Wohl des Volkes dienen werde, aber dass ich deshalb das Prinzip der Autokratie ebenso fest und beständig hochhalten werde wie mein unvergesslicher Vater.“
Lenin: Der Erfinder des Roten Terrors (1870-1924)
Obwohl bis heute unklar ist, wer für das gescheiterte Attentat auf Lenin im August 1918 verantwortlich war, für den Sowjetführer war es der Anlass zum Beginn der Jagd auf Gegner, Kritiker und unliebsame „Klassenfeinde“. „Es ist notwendig und dringend, den Terror im Geheimen vorzubereiten“ meinte Lenin persönlich: Es war das Startsignal für den „Roten Terror“. Die von Lenin gegründete Geheimpolizei Tscheka, exekutierte innerhalb weniger Monate rund 10.000 Menschen. Die Gesamtzahl der Opfer des Roten Terrors, der bis zum Sieg der Bolscheviken 1921 andauerte, wird von Historikern auf mehr als eine Million geschätzt. Auch der Gulag, also die zentrale Verwaltung aller sowjetischen Straf- und Arbeitslager, ist eine Gründung Lenins.
„Wir erklärten, dass sich die Anwendung von Gewalt aus der Aufgabe ergibt, die Ausbeuter, die Gutsbesitzer und Kapitalisten zu unterdrücken; wenn dies getan ist, verzichten wir auf alle außerordentlichen Maßnahmen.“
Stalin: Zwischen Gewaltherrschaft und Völkermord (1878-1953)
Es ist fast unmöglich, alle Verbrechen Stalins aufzulisten. Viele davon, wie etwa die Kollektivierung der Landwirtschaft, die etwa sechs Millionen, vor allem ukrainischen Bauern das Leben kostete, werden von vielen Historikern als Völkermord betrachtet. Auch weitere Hungersnöte, wie jene in Kasachstan um 1930, oder jene nach dem Zweiten Weltkrieg, war auch eine Folge von Stalins Politik, die auf Opfer keine Rücksicht nahm. Unter Stalins Herrschaft wurden 14 Millionen Menschen durch das Gulag-System in Straflager verbracht, mehr als eine Million überlebten nicht. Während Stalins Kampagnen gegen politische Gegner, die in der „großen Säuberung“ zu Beginn der 1930er gipfelten, wurden mehr als eine Million Menschen exekutiert. Die gezielte Deportation ganzer Bevölkerungsteile, entweder, um Arbeitskräfte für die Industrialisierung entlegener Teile des Reiches heranzuschaffen, oder um Minderheiten, die als politisch gefährlich betrachtet wurden, loszuwerden, forderten ebenfalls Hunderttausende Menschenleben. Stalin lebte in ständiger Angst, ermordet zu werden, was seinen Umgang, auch mit engen politischen Vertrauten und Günstlingen prägte.
"Der Staat ist eine Maschine in den Händen der herrschenden Klasse zur Unterdrückung des Widerstands ihrer Klassengegner.“
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