Geht es nach ÖVP-Generalsekretärin Laura Sachslehner „leidet“ Österreich unter Asylanträgen. Nun äußert sich die zuständige Ministerin.
KURIER: Frau Ministerin, ganz ehrlich: Haben wir gerade wirklich ein Thema mit Migration oder ist die ÖVP einfach auf Stimmenfang?
Susanne Raab: Wir müssen uns schon ehrlich die Fakten ansehen. 2021 war Österreich bei den Anträgen im Vergleich zur Bevölkerungsgröße auf Platz zwei in der EU. Wir haben heuer von Jänner bis April bereits 16.000 Asylanträge gehabt. Wenn man das hochrechnet auf das gesamte Jahr, sind es 50.000 Asylanträge. Dazu kommen aktuell 75.000 ukrainische Registrierte.
Aber Asylanträge sind ja nicht gleichzusetzen mit Menschen, die hierbleiben.
Wer bei uns einen Asylantrag stellt, ist während des Asylverfahrens in Österreich, bekommt Versorgung und die Kinder kommen in unser Bildungssystem. Und Fakt ist, dass viele bleiben. Das heißt, wir müssen uns in der Integration auf große Herausforderungen einstellen.
Bevor wir ins Detail gehen: Ist nicht jetzt, während eines Krieges in Europa, genau der falsche Zeitpunkt, diese emotionalisierende Debatte wieder zu beginnen?
Experten und Expertinnen sagen uns, dass es durch die Fluchtbewegung aus der Ukraine auch wieder Migrationsbewegungen in anderen Teilen der Welt und auch Richtung Europa geben wird. Das hat nichts mit einer politischen Debatte zu tun. Meine Aufgabe als Integrationsministerin ist es, darauf hinzuweisen, dass uns das vor Herausforderungen stellen wird und wir deshalb weiterhin eine restriktive Migrationspolitik und konsequente Asylpolitik verfolgen müssen.
Asyl ist ein Menschenrecht – wenn die vielen Anträge unser System überfordern, wird es dann nicht Zeit, das System zu reformieren?
Es geht nicht nur um die Verwaltung, sondern um unterschiedliche gesellschaftliche Systeme. Wir haben seit 2015 einer Anzahl an Menschen Schutz gewährt, die so groß ist, wie die Stadt Innsbruck. Das bedeutet Herausforderungen für den Arbeitsmarkt, das Bildungssystem, aber auch das Sozialsystem.
Aber unsere Systeme brauchen auch dringend Zuwanderer – denken wir an den Pflegekräftemangel oder das Pensionsloch.
Es ist nicht gesagt, dass Zuwanderung aus dem Asylwesen automatisch diesen Fachkräftebedarf erfüllt. Es ist oft auch nach Jahren noch schwierig, Menschen, die 2015/2016 gekommen sind, in den Arbeitsmarkt zu integrieren.
Unterstützen Sie den Vorschlag des Innenministers, Asylwerber für die Dauer des Verfahrens in Drittstaaten zurückzuschieben?
Der Innenminister hat sehr genau im Auge, welche Möglichkeiten hier vernünftig wären. Ich bin selbstverständlich seiner Meinung, wenn er das für die richtige Herangehensweise hält.
Der Vorschlag wurde jetzt aber schon wirklich oft debattiert und immer wieder fallengelassen.
Weil das ein Thema ist, das man auch auf EU-Ebene besprechen muss.
Kommen wir zur Ukraine: Die Geflüchteten warten auf eine Entscheidung bei Familienbeihilfe und Zuverdienstgrenze.
Die Erhöhung der Zuverdienstgrenze wird derzeit noch vom Land Kärnten blockiert. Ich hoffe, dass es hier und bei der Familienbeihilfe zeitnah eine Lösung geben wird. Auch ich möchte, dass Ukrainerinnen, die hier sind, Familienbeihilfe beziehen können. Im Hinblick auf die steigenden Asylzahlen ist mir aber wichtig, dass wir nicht insgesamt die Sozialleistungen für alle subsidiär Schutzberechtigten erhöhen. Das wäre sonst ein weiterer Pull-Faktor.
Ist das rechtlich möglich? In der Ukraine ist Krieg und in Syrien ist Krieg. Wieso die eine Gruppe mehr unterstützen als die andere?
Für die Familienbeihilfe für Menschen aus der Ukraine gibt es eine Gesetzeslücke. Ich habe bereits einen Gesetzesvorschlag eingebracht, über den es in der Koalition aber noch Abstimmungsbedarf gibt. Für die ukrainischen Geflüchteten gibt es ein anderes Regelwerk, nämlich eine Vertriebenenrichtlinie. Die gesamte EU hat sich auf diese Richtlinie verständigt. Das ist ein eigenes Rechtssystem und zu unterscheiden von jenem für Flüchtlinge aus anderen Drittstaaten. Diese Unterscheidung ist legitim, weil beide Gruppen einfach unterschiedlichen Regelsystemen unterliegen.
Die Grundfrage ist: Ist es fair, unterschiedliche Rechtssysteme anzuwenden?
Aus meiner Sicht, ja. Das Flüchtlingswesen folgt dem Gedanken, dass Menschen dort Schutz bekommen, wo sie erstmalig in Sicherheit sind. Wir haben in der Ukraine jetzt Krieg auf dem eigenen Kontinent. Europa hat sich wegen der unmittelbaren Nähe entschieden, den ukrainischen Vertriebenen im Sinne der Nachbarschaftshilfe zu helfen. Das ist der Unterschied zur Situation in Syrien oder Afghanistan, wo andere Länder Nachbarn sind und aus unserer Sicht in der Verantwortung der Nachbarschaftshilfe sind. Darum wurde europaweit ein eigenes System für ukrainische Vertriebene geschaffen. Diese haben auch einen anderen Bildungshintergrund, die Arbeitsmarktsysteme sind sich ähnlicher, aus der Ukraine kommen derzeit vor allem Frauen und Kinder. Das ist ein Unterschied in der Herangehensweise, was die Integrationsmaßnahmen betrifft.
Und zwar? Wie kann man den geflüchteten Frauen am besten helfen?
Wir müssen uns stark auf Maßnahmen fokussieren, die Frauen den Arbeitsmarkteintritt ermöglichen. Beispielsweise bieten wir sehr viel Deutschkurse mit Kinderbetreuung an. Auch Online-Kurse sind sehr begehrt. Man muss aber auch sehen, dass hier Menschen zu uns kommen, die großes Leid erfahren haben und die sich große Sorgen machen um ihre Söhne, Väter und Brüder. Das ist eine enorme psychische Belastung. Wir als Staat können die Rahmenbedingungen zur Verfügung stellen. Es ist aber auch wichtig und gut zu sehen, dass die Österreicherinnen und Österreicher hier auch ehrenamtlich oder bei der Aufnahme von Flüchtlingen so Großartiges leisten und auf die Menschen zugehen und sie so auch emotional auffangen und unterstützen.
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