Ich würde zuerst die Politik in Verantwortung ziehen: Sie setzt die Themen, die Schwerpunkte. Wir haben 20 Jahre lang über die Rechte der Frauen in Afghanistan gesprochen, heute interessieren sie uns nicht mehr.
Zu den Medien würde ich sagen: Wir müssen aufhören, den Journalisten das Leben schwer zu machen. Indem man sie dazu treibt, immer die Ersten sein zu müssen, wir ihnen keine Zeit und Mittel mehr für Recherchen geben. Gleichzeitig müssen sich Journalisten aber auch trauen, neue Aspekte zu beleuchten und nicht den sozialen Medien hinterher zu jagen. Aber für alle gemeinsam gilt: Die Augen zu verschließen, hat noch nie eine Krise gelöst. Wir müssen uns auch mit unbequemen Themen beschäftigen.
Blicken wir nach Afghanistan: Wie geht es den Menschen dort?
Ich bin mit einigen afghanischen Frauen in Kontakt. Es ist beeindruckend: Es gibt viele, die immer noch sehr hoffungsvoll und optimistisch gestimmt sind. Sie lassen sich nicht unterkriegen, organisieren sich selbst und unterrichten zum Beispiel in Untergrundschulen. Afghanistan ist immer noch ein extrem armes Land. Die Mittelschicht ist sehr schwach, die meisten Frauen leben am Land, haben keinen Zugang zu Bildung.
Sie berichteten 40 Jahre lang aus Afghanistan. Was unterscheidet die Taliban von heute im Vergleich zu jenen, die bis 2001 regierten?
Sie unterscheiden sich kaum. Die Schwäche der Taliban ist ihre radikale Ideologie, damit kann man keinen Staat führen. Es braucht zumindest ein Minimum an Menschenrechten, die Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung, den Bau von Infrastruktur. Die Taliban sind dazu wie alle Extremisten nicht fähig.
Wie muss der Westen künftig mit den Taliban umgehen?
Wir müssen mit den Taliban reden. Man muss die Radikalen isolieren und mit den Gemäßigten in Kontakt kommen. Die großartige US-Richterin Ruth Ginsburg hat einmal gesagt, man kann gute Ideen haben, aber muss andere davon überzeugen, dass sie gut sind. Der Westen kann die gute Idee einer Demokratie haben, muss die Afghanen davon aber auch überzeugen. Dafür braucht er Alliierte.
Afghanistan ist viel zu wichtig, um es zu ignorieren. Es ist für uns ein Pufferstaat mit mächtigen Nachbarn wie Russland, China und Indien. Und man sieht ja gerade in der Ukraine, es braucht stabile Pufferstaaten zwischen den Großmächten. Afghanistan wird wieder in den Schlagzeilen landen. Spätestens wenn dort wieder jemand einmarschiert und wir uns Sorgen machen müssen, welche Folgen das für uns hat.
Sie haben sich dafür eingesetzt, dass Ihr Fahrer und Übersetzer und dessen Familien aus Afghanistan nach Deutschland kommen, und eine Initiative zur Unterstützung für Frauen in Afghanistan gegründet. Tauschen Sie jetzt den Journalismus gegen Aktivismus?
Ich bin keine Aktivistin. Ich habe das getan, was jeder tun sollte. Es war klar, dass jene Menschen, die mit westlichen Journalisten zusammengearbeitet hatten, von den Taliban verfolgt würden. Deswegen lag es in meiner Verantwortung, diese Menschen bei ihrer Flucht zu unterstützen.
Ganz allgemein aber denke ich, dass Journalismus und Aktivismus nicht zusammen funktionieren. Ein Journalist kann nur glaubwürdig sein, wenn er das ablegt, er muss offen und neugierig sein, in alle Richtungen hinaus und ohne Ideologie. Privat ist man ein Mensch, aber Journalist sein ist ein Job.
Denken Sie, dass die Ukraine das nächste Afghanistan wird? Dass der Krieg auch bald aus den Schlagzeilen verschwinden wird?
Jeder Krieg nützt sich nach einer gewissen Zeit ab. Nicht nur, weil die Leute genug haben, sondern weil sich Geschehnisse wiederholen, und Bilder den Eindruck vermitteln, das hat man alles schon mal gesehen. Und dieser Zeitpunkt ist jetzt langsam auch bei der Ukraine erreicht.
Sie haben im April noch aus der Ukraine berichtet, am Donnerstag dann verkündet, dies sei das letzte Mal gewesen. Ist das Ihr Karriere-Aus?
Ich habe 40 Jahre lang meinen Kopf hingehalten und das ist immer gut gegangen. Man soll sein Schicksal nicht überstrapazieren. Ich muss nicht mehr in der ersten Reihe stehen. Das sollen die Jungen machen. Und ich unterstütze gerne mit meiner Erfahrung.
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