Beschuss zwischen Israel und Hisbollah: "Das ist Krieg und wir werden allein gelassen"
Urplötzlich kam die Explosion. Mitten auf dem Fußballplatz im nordisraelischen Grenzdorf Churfeysch. Keine Alarmsirene warnte die Menschen dort vor der anfliegenden Drohne. Sofort rannten Dorfbewohner zur Hilfe hinzu. Nach wenigen Minuten trafen auch die ersten Krankenwagen ein. Zusammen mit einer zweiten Drohne, die über den Rettungskräften explodierte.
An einem Tag in Israels Norden, wo offiziell immer noch der Begriff "Kampftätigkeiten" dem Wort "Krieg" vorgezogen wird. Trotz der fast 8.000 Raketen, die die pro-iranische Schiitenmiliz Hisbollah aus dem Libanon in den letzten acht Monaten auf Israels Grenzorte abfeuerte. Anwar Ammar, der Bürgermeister von Churfeysh hat es wie alle Bürgermeister der Region satt: "So kann es nicht weiter gehen. Das ist Krieg und wir werden allein gelassen."
120.000 Bewohner wurden aus Israels Norden evakuiert. Aus den Dörfern, die fünf Kilometer von der Grenze entfernt liegen. Churfeysch liegt etwa sechs Kilometer vor der Grenze und wurde nicht evakuiert. Dabei beschießt die Hisbollah auch diese Ortschaften, Tag für Tag. Und Israel schießt zurück, Nacht für Nacht.
Auch aus dem Südlibanon flüchteten die Menschen fast ohne Hilfe innerhalb eines Staates, der politisch wie wirtschaftlich am Ende ist. Für den Libanon wäre ein Krieg das völlige Ende. Im Norden Israel besteht zumindest bei einigen noch die Hoffnung, dass ein umfassender Krieg, auch die Schiitenmiliz nach Norden verjagt.
Samir Dschadscha, Chef der christlichen Partei (und vormals Miliz) Libanesische Kräfte warnte diese Woche: "Der Libanon wird von der Hisbollah als Geisel gehalten. Die Weltgemeinschaft muss alles tun, einen Krieg zu verhindern. Würde er uns doch die völlige Zerstörung bringen." Auch die letzten Investoren haben den Staat längst verlassen, der einmal als die "Schweiz des Nahen Ostens" galt.
Armee mit Schlagkraft
Die Menschen vergleichen die drohende Gewalt mit der in früheren Kriegen. Auf die würde jedoch der Begriff "Kampftätigkeiten" besser zutreffen im Vergleich mit allem was droht: Die Hisbollah hat sich mittlerweile von einer Miliz zu einer Armee entwickelt, die im arabischen Raum eine Spitzenstellung einnimmt. 150.000 Granatwerfer stehen bereit, zum großen Teil mit Präzisionszielgeräten; 65.000 Raketen mit 80-Kilometer-Reichweite, zwar nicht besonders zielgenau oder schlagkräftig – doch die Masse macht's. Hinzu kommen 5.000 Raketen mit 300-Kilometer-Reichweite, die praktisch ganz Israel bedrohen; nicht zu vergessen 2.500 iranische Burkam-Raketen mit extremer Sprengkraft.
In Churfeysch wurde getestet, wie diese Waffen am wirksamsten zum Einsatz kommen. Dort mit einer zeitlichen Versetzung, die in zweiter Stufe auch die Rettungshelfer bedroht. Im tagtäglichen Einsatz hat sich auch die enorme Gefährlichkeit der Granatwerfer erwiesen. Sie bedrohen alle Ziele auf Sichtweite. Menschen, Panzer, Autos, Radfahrer – sie alle waren in den letzten Monaten bereits das Ziel der Granatwerfer. Zusammen mit anderen Waffensystemen entsteht eine tödliche Mischung.
Netanjahu fehlt Strategie
Wie im Gazastreifen hat Israels Regierung bislang auch im Norden keine Strategie. Premier Benjamin Netanjahu vermeidet derzeit Treffen mit Bürgermeistern, auch die seiner eigenen Partei.
Israels Armee ist geteilter Meinung. Armeechef Herzi Halevi sagt: "Wir nähern uns dem Punkt, wo eine Entscheidung fällig sein wird. Und wir stehen zum Angriff bereit." Im Generalstab sehen einige einen voll ausgeweiteten Krieg gegen die Hisbollah auch als Gelegenheit, das angeschlagene Image auszubessern. Die Mehrheit der Generäle aber zieht eine Regelung im Gazastreifen mit einem Geiselaustausch-Deal vor. Erst danach seien Kräfte für einen Krieg im Norden frei. Besser noch: Ein Kriegsende im Süden könnte auch die Hisbollah zum Einlenken bringen.
Ein unbeschränkter Krieg zwischen Hisbollah und Israel wäre katastrophal für den Libanon. Doch auch für Israel wäre er eine beispiellose Kraftanstrengung, die in einen Dreifrontenkrieg münden würde: im Süden, im Norden und wohl auch im besetzten Westjordanland. Nutznießer wäre allein die Mullah-Regierung im Iran. Wobei es keine Garantie gibt, dass nicht auch die Drahtzieher in Teheran zur vierten Front werden. Ein Krieg, den eigentlich keiner wirklich will. Den jeder den Nachbarn wünscht, aber nicht sich selbst.
Kommentare