Überall ist das Brummen der Drohnen zu hören, immer wieder dröhnt Artilleriefeuer durch die Hügel im Norden Israels. Wenige Tage zuvor haben die Terroristen der Hamas das blutige Massaker vom 7. Oktober angerichtet, vor dem Gazastreifen stehen die ersten Verbände der Israelischen Verteidigungskräfte bereit.
Angst um sein Kind
Und hier, im 3.000-Einwohner-Ort Gisch, etwa vier Kilometer südlich der Grenze zum Libanon, ist die Situation unklar: Wird die schiitische Terrororganisation Hisbollah mit ihren Zehntausenden Raketen und kampferprobten Kriegern Israel angreifen? Shadi Khaloul ist sich sicher: „Sollten sie es versuchen, werden wir sie vernichten“.
➤ Bedrohung aus dem Norden: Hisbollah, der Erzfeind Israels
Seinen Sohn hat der ehemalige Fallschirmjäger allerdings ins Ausland geschickt – zu tief sitzt der Schock des 7. Oktober: „Hätte die Hisbollah und nicht die Hamas dieses Verbrechen begangen, hätte es auch uns erwischen können“, sagt er. „Und ständiger Sirenenalarm und Beschuss ist vor allem für Kinder eine Katastrophe.“
Wie zur Untermalung donnert die Artillerie erneut, Khaloul führt durch einen Hain am Kamm eines Hügels und deutet nach Norden, wo die Waffenstillstandslinie zwischen Israel und dem Libanon verläuft. Ginge es nach ihm, würde Israel auch die Hisbollah im Libanon angreifen: „Denn ihr Ziel wird immer dasselbe sein: Israel auszulöschen.“
Lage angespannt
Drei Monate später erreicht der KURIER Khaloul telefonisch: „Der Beschuss hört nicht auf, immer wieder treffen Hisbollah-Granaten Ortschaften und Bildungseinrichtungen“, berichtet er.
Mehr als 2.500 Raketen und Granaten soll die Hisbollah seit Beginn des Krieges bisher auf Israel abgefeuert haben.
Auch wenn von Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah stets geharnischte Worte in Richtung Israel fallen, scheint die Schiitenmiliz bisher vor einem Bodenangriff zurückzuschrecken. Allerdings mehren sich die Berichte, wonach die Hisbollah bald modernere Flugabwehr vom Iran erhalten soll. Dass die Hisbollah maßgeblich von Teheran mit Waffen versorgt und finanziert wird, ist kein Geheimnis. In den vergangenen Monaten hat jedoch auch die Qualität der Waffen zugenommen.
Das ist einer der Gründe, warum die Israelis Ende vergangenen Jahres den iranischen Revolutionsgarden-General Seyyed Razi Mousavi in Syrien getötet haben – er war unter anderem für die Durchführung der Waffentransporte verantwortlich. Wenig später hochrangige Hisbollah-Mitglieder sowie Hamas-General Saleh al-Arouri. Letzteren mit einem Drohnenangriff in der libanesischen Hauptstadt Beirut. Sowohl Hisbollah als auch der Iran haben Rache geschworen.
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Sorge wächst
Eine Rache, die womöglich die Zerstörung des Libanon nach sich ziehen könnte. Und der Großteil der Bevölkerung teilt die Hisbollah-Propaganda, sie sei der Schutzschild des Libanon, nicht: „Je stärker die Hisbollah in den Konflikt zwischen Israel und der Hamas verwickelt wird, desto mehr wächst die Sorge um die Sicherheit der libanesischen Bevölkerung“, sagt etwa Antoni Barakat, ein libanesischer Christ, zum KURIER. Etwa ein Drittel der Libanesen ist christlichen Glaubens. „Viele fühlen sich in einer prekären Situation gefangen, da sie sowohl Israel als auch die Hisbollah als Bedrohung für die Stabilität des Landes empfinden.“
Hoffnung auf Diplomatie
Dennoch ist sich Barakat sicher, dass die Hisbollah es nicht wagen würde, weiter an der Eskalationsschraube zu drehen: „Trotz der ständigen Luftangriffe von beiden Seiten ist es offensichtlich, dass keine Fraktion im Libanon, einschließlich der Hisbollah, aktiv einen Krieg anstrebt, da sie sich der schwerwiegenden Folgen bewusst ist, die ein solcher Krieg mit sich bringen würde“, sagt er. Er hofft, dass die Bemühungen der USA, einen Waffenstillstand zu vermitteln, Früchte tragen werden.
Am Donnerstag traf mit dem US-Gesandten Amos Hochstein ein Vermittler in Beirut ein. Khaloul, der es sich unter anderem zur Aufgabe gemacht hat, israelische Christen für die Armee anzuwerben, sieht das anders: „Die Hisbollah hat ja schließlich schon begonnen, uns anzugreifen. Und so lange sie besteht, wird sie auch den Libanon in Geiselhaft halten.“
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