Kosovo-Wahl: "Die Menschen wollten nicht sehen, wer Kurti wirklich ist"

Als der ehemalige Studentenführer Albin Kurti 2020 zum ersten Mal Regierungschef wurde, deuteten viele das als Zeitenwende – manche im positiven, andere im negativen Sinne.
Der begabte Rhetoriker, der zu Zeiten des Kriegsherrn und serbischen Präsidenten Slobodan Milošević in Haft saß, ist im Kosovo schon lange bekannt und populär. „Seine Unterstützer sehen in Kurti einen Krieger; den David gegen den Goliath Serbien; jemanden, der niemals seine Prinzipien aufgibt“, erklärt das Polit-Analyst Agon Maliqi aus Pristina.
Bei der letzten Wahl holte Kurti mit seiner linksnationalistischen Partei Vetëvendosje („Selbstbestimmung“) die absolute Mehrheit. Diesmal will er noch mehr: 700.000 Stimmen, das wären 75 Prozent, was sehr unwahrscheinlich ist.
Dass er gewinnen wird, bezweifelt kaum jemand. Sollte er Koalitionspartner brauchen, könnte sich jedoch die jetzige Opposition gegen ihn vereinen und ihn so aus der Regierung ausschließen.
Korruptionsskandale und Medienboykott
Kurtis einst so heldenhaftes Image hat Risse bekommen: durch Korruptionsskandale seiner Minister, etwa – für eine Anti-Korruptionspartei wie die seine ganz besonders schädlich.
Dass er ihm gegenüber kritische Medien boykottiert, angreift und ihnen vorwirft, proserbisch zu sein, sorgte ebenso für Ernüchterung, hat er doch stets mehr Transparenz in der Politik gefordert.
Experte Maliqi nennt Kurti einen „Populisten, der sich als Sozialdemokrat verkauft und immer autoritärer wird“. Die Menschen hätten lange nicht sehen wollen, wer er wirklich sei.
In diesem Wahlkampf hat der Politiker, der sich einst für den Anschluss an Albanien einsetzte, sich auf den alten Konflikt mit Belgrad fokussiert. Serbien erkennt den Kosovo nach wie vor nicht als unabhängig an. Die vergangenen Jahre waren einmal mehr von gewaltsamen Auseinandersetzungen im Norden des Kosovo geprägt, wo mehrheitlich ethnische Serben leben.
Kurti wird immer wieder vorgeworfen, die Kosovo-Serben zu diskriminieren. Verschärft hat sich dieser Eindruck nach den Lokalwahlen im Norden 2023, die von serbischer Seite boykottiert wurden, sodass die Wahlbeteiligung nur 3,5 Prozent betrug. Der Premier installierte daraufhin ethnisch-albanische Bürgermeister, was zu Angriffen auf im Land stationierte NATO-Soldaten führte.
Was im Norden des Kosovo passiert, hat europaweite sicherheitspolitische Auswirkungen. Es ist eine NATO-geführte Mission, die KFOR, die im Kosovo den Frieden erhalten soll, auch das österreichische Bundesheer ist dort im Einsatz.
Die ethnisch serbische Bevölkerung berichtet nun vermehrt von Schikanen durch kosovo-albanische Polizisten. Erst kürzlich ließ Kurti serbische Postämter, Steuerbehörden und Verwaltungszentren schließen.
Beziehung zu Brüssel kompliziert
Mit seinem radikalen Vorgehen sorgt der Premier nicht nur in Teilen der eigenen Bevölkerung, sondern auch im Ausland für Unmut. Er habe in den letzten Jahren selbst die größten Kosovo-Unterstützer in der EU vor den Kopf gestoßen, so Maliqi: „Der Kosovo war für den Westen immer ein vertrauenswürdiger und vorhersehbarer Partner, Serbien der problematische. Das stimmt so nicht mehr.“
Brüssel vermittelt seit 2011 zwischen Pristina und Belgrad. Zuletzt sah es im Februar 2023 nach einem Durchbruch aus, davon ist man heute meilenweit entfernt. Sowohl EU als auch USA haben nach den Geschehnissen um die Lokalwahlen „restriktive Maßnahmen“, ergo Sanktionen, gegen den Kosovo verhängt.
Kurti beschuldigt die EU, auf der Seite Serbiens zu stehen. Das sei aus westlicher Sicht eine Ausrede mit innenpolitischem Kalkül, meint Maliqi. Denn ganz offensichtlich könne Kurti mit dem Dauerkonflikt als Hauptthema sehr erfolgreich Wähler mobilisieren.
EU wolle es sich nicht mit Serbien verscherzen
Da sei schon etwas dran, meint der Experte. Doch auch die EU habe Fehler gemacht: „In einigen EU-Hauptstädten ist man davon überzeugt, dass Serbien einflussreich ist. Man will es sich nicht mit dem serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić verscherzen.“
Indem Brüssel oder einzelne EU-Länder zuletzt diverse Deals mit Vučić geschlossen hätten – etwa ein umstrittenes Rohstoffabkommen –, habe sich in der kosovarischen Bevölkerung der Eindruck von Asymmetrie verschärft.
Kein gutes Standing im Kosovo hatte auch EU-Sonderbeauftragter Miroslav Lajčák, der bis vor kurzem für den EU-geführten Dialog zwischen Belgrad und Pristina zuständig war. Schon allein, dass er aus der Slowakei – eines der fünf EU-Länder, die den Kosovo nicht anerkennen – stammt, sorgte bei vielen für Unverständnis.
Über seinen Nachfolger, den Dänen Peter Sørensen, ist man laut Maliqi erfreuter. Doch solange die Sanktionen gegen Pristina bestünden, sei das Vertrauen in die EU schwer angeknackst.
Regieren die Mitte-Rechts-Oppositionsparteien PDK und LDK, die sich im Wahlkampf auf das Thema Wirtschaft stürzten, wie schon bis 2019 wieder, würde das die Vermittlerrolle der EU wieder einfacher machen, vermutet Maliqi.
Doch womöglich wollen genau das die meisten Menschen im Kosovo nicht: Kurtis Vorgängerregierungen wurde neben Korruption immer wieder vorgeworfen, sich den Forderungen der EU zu sehr zu beugen und in den Verhandlungen mit Serbien zu wenig für die eigene Bevölkerung einzustehen.
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