Der kosovarische Regierungschef Albin Kurti wirft Serbien vor, „terroristische Attacken“ im Kosovo unterstützt zu haben. Serbiens Präsident Aleksandar Vučić streitet alles ab – und behauptet, Kurti sei selbst schuld.
Nach den jüngsten Zusammenstößen im überwiegend serbisch bewohnten Norden des Kosovo am Wochenende herrscht ein Hin und Her an gegenseitigen Schuldzuweisungen, wie man es von Pristina und Belgrad schon lange gewohnt ist.
Alter Streit
Das ewige Streitthema: Serbien will seine einstige Provinz, den Kosovo, nicht als eigenständig anerkennen. Straßenblockaden, Wahl-Boykotte, Schlägereien – immer wieder kommt es zu gefährlichen Zwischenfällen. Doch am Sonntag war die Gewalt heftiger, als sonst: Eine militärisch ausgerüstete Kampftruppe mit mutmaßlichen Verbindungen nach Belgrad attackierte eine kosovarische Polizei-Patrouille, ein Beamter starb. Rund 30 Angreifer – drei wurden laut kosovarischer Polizei getötet – verschanzten sich später in einem Kloster nahe der Stadt Mitrovica.
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Der Südosteuropa-Experte Florian Bieber von der Universität Graz ordnet diese Geschehnisse gegenüber dem KURIER als eine „erstaunliche Eskalation“ ein, wie man sie im Norden des Kosovo „fast seit Kriegsende“ nicht mehr gesehen habe.
Natürlich müsse man abwarten und herausfinden, wer genau dahinter stecke, aber: „Es ist schwer vorstellbar, dass so etwas in dem Ausmaß und der Organisationsstufe so nahe an der serbischen Grenze passiert und Serbien nichts davon weiß.“
Diesmal kein Anlass
Neben der Heftigkeit ist bei diesem Vorfall noch etwas auffällig. In der Vergangenheit gab es für Gewaltausbrüche im Kosovo meist einen konkreten Anlass – als es Ende Mai zu Zusammenstößen zwischen Kosovo-Serben und Friedenssoldaten der NATO kam, waren es etwa die Lokalwahlen, die für Unmut gesorgt hatten.
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Doch diesmal gab es laut Bieber kein solches offensichtliches Ereignis, das zu der Gewalt geführt haben könnte. Auch hier gelte es, abzuklären, was genau passiert ist: „War es Absicht, diese Eskalation herbeizuführen, oder hat eine Verkettung von Umständen dazu geführt?“ Es gebe aber Hinweise – Barrikaden etwa – darauf, dass es sich von Seiten der bewaffneten Gruppe um Absicht gehandelt hat.
Wie wirksam ist EU-Vermittlung?
Je nach Ergebnis einer notwendigen Untersuchung – am besten wäre eine mit Unterstützung der NATO-Soldaten im Kosovo, weil sie dann auch jenseits des Kosovo Glaubwürdigkeit hätte – könne diese Eskalation auch die Wirksamkeit der EU-Vermittlung zwischen dem Kosovo und Serbien in Frage stellen, sagt Bieber: „Die EU muss hier ganz grundsätzlich überlegen, ob es eine neue Ausrichtung braucht und ob das noch so weitergehen kann“, so Bieber.
Aktuell gebe es ein „tiefgehendes Misstrauen gegenüber der EU, weil sie in den letzten Monaten stark pro-Vučić gehandelt zu haben schien – im Juni verhängte Brüssel etwa nach Krawallen Sanktionen gegen Pristina, nicht aber gegen Belgrad. Auch Miroslav Lajčák als EU-Vermittler zwischen den beiden Parteien müsse man überdenken.
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Noch größer ist nach den Geschehnissen vom Wochenende aber das Misstrauen zwischen dem Kosovo und Serbien. „Das wird sich schwer wiederherstellen lassen“, sagt Bieber. Dass die bereits seit Monaten stockenden Verhandlungen demnächst weitergehen, hält der Experte für unwahrscheinlich.
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