Kolumbianer lassen Friedensvertrag mit FARC platzen

Knappe Mehrheit stimmte beim Referendum über einen Friedenvertrag mit den Rebellen mit "Nein". Kolumbiens Präsident Santos ist nun in Bedrängnis: "Kein Plan B."

Die Kolumbianer haben den historischen Friedensvertrag mit den FARC-Rebellen überraschend abgelehnt. Nach Auszählung von über 99 Prozent der Stimmen votierte eine knappe Mehrheit von 50,23 Prozent bei dem Referendum am Sonntag mit "Nein", 49,76 Prozent stimmten für das Abkommen, wie aus den am Abend (Ortszeit) im Internet veröffentlichten Zahlen der Wahlbehörde hervorgeht.

Damit ist völlig unklar, wie es mit dem kolumbianischen Friedensprozess weitergeht. Für Präsident Juan Manuel Santos stellt das Ergebnis des Referendums eine schwere Niederlage dar. Er hatte gesagt, er habe keinen alternativen Plan, sollten die Wähler gegen das Friedensabkommen stimmen. FARC will weiterhin am Frieden festhalten und ihre Verwandlung in eine politische Bewegung fortsetzen. "Die FARC halten an ihrer Bereitschaft zum Frieden fest und unterstreichen ihren Willen, nur noch Worte als Waffen zum Aufbau der Zukunft zu nutzen", sagte FARC-Kommandant Rodrigo Londoño.

Kolumbianer lassen Friedensvertrag mit FARC platzen
BOGOTA, COLOMBIA - OCTOBER 02: Ballots are sorted in the referendum on a peace accord to end the 52-year-old guerrilla war between the FARC and the state on October 2, 2016 in Bogota, Colombia. The guerrilla war is the longest-running armed conflict in the Americas and has left 220,000 dead. The plan called for a disarmament and re-integration of most of the estimated 7,000 FARC fighters. Colombians have voted to reject the peace deal in a very close vote. Mario Tama/Getty Images/AFP ++ KEINE NUTZUNG IN TAGESZEITUNGS-BEILAGEN! NUR REDAKTIONELLE NUTZUNG IN TAGESZEITUNGEN, TAGESAKTUELLER TV-BERICHTERSTATTUNG (AKTUELLER DIENST) UND DIGITALEN AUSSPIELKANÄLEN (WEBSITES/APPS) IM UMFANG DER NUTZUNGSVEREINBARUNG. SÄMTLICHE ANDERE NUTZUNGEN SIND NICHT GESTATTET.++

Mehrheit für Friedensabkommen vorhergesagt

Am vergangenen Montag hatten die Regierung und die FARC das Abkommen unterzeichnet, das den ältesten bewaffneten Konflikt Lateinamerikas beilegen sollte. Meinungsumfragen hatten eine Mehrheit für das Abkommen vorhergesagt.

Präsident Santos und FARC-Chef Timoleon Jimenez alias Timochenko hatten das Abkommen, das nach vierjährigen Verhandlungen in Havanna vereinbart worden war, am Montag unterzeichnet. Die FARC-Rebellen hatten seit 1964 gegen Großgrundbesitzer und die Regierung des lateinamerikanischen Landes gekämpft.

In dem Konflikt, in den neben der Armee auch andere linke Guerillagruppen, rechte Paramilitärs und die Drogenmafia verwickelt waren, wurden mehr als 220.000 Menschen getötet. Das Abkommen sollte den mehr als ein halbes Jahrhundert währenden Gewaltkonflikt beenden.

Kolumbianer lassen Friedensvertrag mit FARC platzen
A woman stands near a white flag splashed in red as if it were blood after knowing the results of a referendum on whether to ratify a historic peace accord to end a 52-year war between the state and the communist FARC rebels, in Bogota on October 2, 2016. Colombian voters rejected a peace deal with communist FARC rebels Sunday, near-complete referendum results indicated, blasting away what the government hoped would be a historic end to a 52-year conflict. / AFP PHOTO / LUIS ACOSTA

240.000 Sicherheitskräfte im Einsatz

Santos war unter den ersten Bürgern gewesen, die am Sonntag auf dem zentralen Bolivar-Platz in der Hauptstadt Bogota ihre Stimme abgegeben hatten. "Das ist eine historische Wahl, die unser Land verändern kann", sagte der Staatschef dabei. "Ich hoffe, dass alle Kolumbianer wählen gehen, trotz des Regens." Die Ausläufer des Hurrikans "Matthew" in der Karibik sorgten in Kolumbien für heftige Niederschläge. Die Wahlbeteiligung in Kolumbien ist generell recht niedrig.

Kolumbianer lassen Friedensvertrag mit FARC platzen
Supporters of "Si" vote cries after the nation voted "No" in a referendum on a peace deal between the government and Revolutionary Armed Forces of Colombia (FARC) rebels, ain Bogota, Colombia, October 2, 2016. REUTERS/John Vizcaino
Rund 240.000 Polizisten und Soldaten waren im Einsatz, um für die Sicherheit des Referendums zu sorgen. Die Volksabstimmung wurde von 200 internationalen Wahlbeobachtern überwacht - darunter sind die Friedensnobelpreisträger Rigoberta Menchu und Adolfo Perez Esquivel.

Der Friedensvertrag zwischen der kolumbianischen Regierung und der linken FARC-Guerilla sollte einen Schlussstrich unter den längsten Gewaltkonflikt in Lateinamerika setzen. Der Unterzeichnung des Abkommens gingen vierjährige Verhandlungen voraus. Die Vereinbarung umfasst sechs Kapitel:

Waffenruhe und Entwaffnung

Kolumbiens Regierung und die Revolutionären Streitkräften Kolumbiens (FARC) verständigten sich im Juni auf einen definitiven Waffenstillstand und die Entwaffnung der Rebellen. Die rund 7.000 FARC-Kämpfer müssen nun ihre Verstecke verlassen und ihre Waffen in Lagern unter Aufsicht der Vereinten Nationen abgeben. Die UNO überwacht das Waffenstillstandsabkommen.

Gerechtigkeit für die Opfer

Sondergerichte sollen über Verbrechen urteilen, die beide Seiten im Verlauf des Konflikts begangen haben. Sowohl Guerilleros als auch staatliche Sicherheitskräfte sollen zur Rechenschaft gezogen werden. 48 Richter, unter ihnen zehn ausländische Juristen, sollen schwerwiegende Straftaten wie Morde, Entführungen, Vergewaltigungen, Folter und Vertreibungen untersuchen. Den Tätern drohen bis zu 20 Jahre Haft. Für weniger schwere Vergehen soll es eine Amnestie geben.

Drogenhandel

Der Drogenhandel heizte den Konflikt in Kolumbien seit den 80er-Jahren zusätzlich an. Im Mai 2014 erklärten sich die Rebellen bereit, den Anbau von Drogen in den von ihr kontrollierten Gebieten zu stoppen. Die Regierung kündigte an, Bauern zu unterstützen, die auf den illegalen Anbau von Pflanzen wie Koka - den Rohstoff für Kokain - verzichten. Zudem sollen Gesundheitsprogramme für Abhängige ins Leben gerufen werden. Kolumbien zählt zu den größten Drogenproduzenten der Welt.

Politik ohne Waffen

Aus der FARC-Guerilla wird nun eine politische Bewegung, die auch bei Wahlen antreten darf. Vertretern der Rebellen werden vorübergehend einige der 268 Sitze im Kongress garantiert. Die Regierung sagte außerdem zu, Repräsentanten der FARC vor Angriffen zu schützen. Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre waren fast 3.000 Mitglieder der FARC-nahen Union Patriotica von rechten Paramilitärs ermordet worden.

Landreform

Die FARC-Guerilla wurde 1964 im Kampf gegen Großgrundbesitzer und zur Verteidigung armer Bauern gegründet, die auch Opfer von staatlicher Gewalt wurden. Eine Landreform soll der verarmten Landbevölkerung nun zu einem besseren Zugang zu Ackerland und zu Krediten verhelfen. Um diesen Punkt des Abkommens umzusetzen, sind millionenschwere Investitionen nötig.

Referendum

Der Friedensvertrag hätte noch von der kolumbianischen Bevölkerung abgesegnet werden müssen, da das Abkommen nur in Kraft treten hätte können, wenn die Wähler mehrheitlich für diesen votierten. Was nicht geschehen ist (siehe oben).

Nach jahrelangen Verhandlungen haben die kolumbianische Regierung und die linken FARC-Rebellen einen Friedensvertrag erzielt. Diesem Erfolg gingen schwierige Verhandlungen über die Beendigung des jahrzehntelangen Blutvergießens voraus.

27. Mai 1964: Die Armee greift aufständische Bauern in den Anden an. Unter der Führung von Manuel Marulanda, genannt Tirofijo, gründen 38 Überlebende den Bloque Sur. Den Revolutionären Streitkräften Kolumbiens (FARC) gilt dies als ihr Gründungsdatum.

1978: Als Führungsgremium der Guerillagruppe wird ein siebenköpfiges Sekretariat geschaffen. Mehr als tausend FARC-Kämpfer sind an sieben Fronten aktiv.

1984: Die FARC-Guerilla erklärt eine Waffenruhe und nimmt Verhandlungen mit dem kolumbianischen Staatschef Belisario Betancur auf.

1986: Die Patriotische Union (UP) tritt als politischer Arm der Rebellengruppe zur Parlamentswahl an und stellt den Juristen Jaime Pardo für die Präsidentschaftswahl auf.

1987: Rechtsextreme Paramilitärs ermorden Pardo und bringen in der Folge rund 3.000 weitere UP-Mitglieder um.

1991: Regierung und FARC führen in der venezolanischen Hauptstadt Caracas Gespräche bis Juni 1992.

1999: Beginn eines Dialogs mit Präsident Andres Pastrana. Die FARC erhält die Kontrolle über ein 42.000 Quadratkilometer großes Gebiet im Südosten.

2002: Die FARC-Guerilla verschleppt die grüne Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt. Präsident Alvaro Uribe kündigt ein hartes Vorgehen gegen die Guerilleros an.

2008: Das kolumbianische Militär tötet in Ecuador den FARC-Vizechef Raul Reyes. Betancourt und 14 weitere Geiseln werden bei einem Einsatz des kolumbianischen Militärs aus der Hand der Guerilla befreit.

2010: Der ehemalige Verteidigungsminister Juan Manuel Santos wird zum Präsidenten gewählt. Er verspricht die Fortsetzung von Uribes Kampf gegen die FARC-Rebellen.

2011: Die Armee tötet den FARC-Kommandanten Alfonso Cano. Nachfolger wird Timoleon Jimenez alias Timochenko.

2012: Nach mehrmonatiger Vorbereitung werden in Havanna unter Vermittlung Kubas und Norwegens Verhandlungen aufgenommen, die nun zu dem Friedensvertrag geführt haben.

2013: Einigung zur ländlichen Entwicklung, dem ersten der sechs Verhandlungskapitel sowie Einigung zur Beteiligung ehemaliger FARC-Mitglieder am politischen Geschehen.

2014: Einigung zum Kampf gegen illegalen Drogenanbau - die FARC finanziert sich auch mit Drogen. Verhandlungen über eine Waffenruhe und die Entwaffnung der Rebellen.

2015: FARC-Angriffe gegen Soldaten und Luftangriffe der Armee auf die Rebellengruppe weichen im Juli einer neuen einseitigen Feuerpause seitens der Rebellen. Santos setzt daraufhin die Luftangriffe wieder aus. Die FARC verkündet ihre Bereitschaft, sich in eine politische Bewegung umzuwandeln.

23. September 2015: Die Unterhändler einigen sich in Havanna auf den juristischen Rahmen zur Aufarbeitung des Konflikts. Binnen sechs Monaten soll es einen abschließenden Friedensvertrag geben. Santos trifft Timochenko in der kubanischen Hauptstadt.

22. Juni 2016: Regierung und Rebellen verständigen sich auf einen definitiven Waffenstillstand und eine Einstellung der beiderseitigen Feindseligkeiten. Über die noch ausstehenden Kapitel des Friedensdialogs soll anschließend weiter verhandelt werden.

24. August 2016: Nach Einigung in allen strittigen Fragen unterzeichnen die Unterhändler in Havanna ein "abschließendes, umfassendes und endgültiges Friedensabkommen", das den Konflikt beenden soll. In Kraft treten kann es nur, wenn es am 2. Oktober in einer Volksabstimmung gebilligt wird.

Die "Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens" (FARC) sind die größte und älteste Guerilla-Gruppe des südamerikanischen Landes. Bereits seit 1964 bekämpft die linksgerichtete FARC die Staatsmacht. Nach Einschätzung von Kritikern ist der Kampf aber kaum noch politisch motiviert, sondern eng mit Drogenhandel, Mord, Geiselnahme und Lösegelderpressung verbunden. Gemeinsam mit anderen Rebellen kontrollierte die Truppe einst große Teile des Anden-Staates.

Seit 2002 wurden die FARC vom Militär weitgehend in zumeist unzugängliche Dschungelgebiete zurückgedrängt. In den vergangenen Jahren wurde sie für Bombenanschläge in mehreren kolumbianischen Städten verantwortlich gemacht. Hunderttausende Kolumbianer flohen vor Kämpfen sowie Übergriffen linker Rebellen und rechter Paramilitärs in sicherere Landesteile. Nirgends auf der Welt werden zudem so viele Menschen entführt wie in Kolumbien. Lösegelder für die oft jahrelang festgehaltenen Geiseln sowie der Drogenschmuggel der "Narcoguerilla" FARC wurden zur Haupteinnahmequelle der Rebellen.

Die Regierung sieht die Demobilisierung mit der Entwaffnung von mehr als 50.000 Angehörigen illegaler Gewaltgruppen - darunter etwa 36.000 Paramilitärs - seit 2006 als abgeschlossen an. Die FARC stellen mit ihren noch bis zu 7.000 Kämpfern weiterhin einen Machtfaktor dar. Sie wurde allerdings 2008 durch den Tod ihres langjährigen Führers Manuel Marulanda wesentlich geschwächt. Militäraktionen mit der Tötung zahlreicher Führungsmitglieder - darunter 2011 des neuen FARC-Chefs Alfonso Cano - wurden als weitere Schwächung gewertet. Seit 1984 stimmten die Rebellen mehreren Waffenruhen zu, die aber alle gebrochen wurden.

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