Keine Kohle, keine Arbeit: Diese Stadt stirbt aus
Draußen verdichten Kohlepartikel den eisig-frischen Nachtnebel. Drinnen beheizt ein Kaminherd ein winziges Zimmer mit einem Bett für drei Bewohner. Das andere Zimmer und das WC sind unbeheizt, der Witterung ausgesetzt, bei Minusgraden. Feuchtigkeit zersetzt die Hauswände. Elena Balan lässt das Haus nicht zum Spaß verfallen. Ihr fehlt einfach das Geld.
Ein Zimmer, eine Mutter, zwei Kinder: Im Kreis Hunedoara, Rumäniens einstiger Hochburg für Kohleabbau, müssen viele Familien unter solchen Verhältnissen überwintern. "Meine Söhne lieben mich sehr, sie wollen für immer hier mit mir bleiben, in Petroșani", sagt Elena. Doch auch sie ahnt, dass die Kinder nicht ewig mit ihr ein Bett teilen können: "In vier Jahren denken sie vielleicht anders darüber."
Der achtjährige Vladut möchte einmal Fußballprofi werden, der zehnjährige Stephan Polizist. Vielleicht schaffen sie das, aber eher nicht in Petroșani. Die Arbeitslosigkeit hier soll laut Schätzungen bei 60 Prozent liegen.
Kinder ohne Perspektive
Unter dem kommunistischen Regime von Diktator Nicolae Ceaușescu boomte die Gegend noch. Plattenbauten wurden aus dem Boden gestampft. Hunderttausende lebten beizeiten in und rund um Petroșani, heute sind es in der Stadt knapp 35.000: Exodus und Katerstimmung statt Goldrausch.
Damals waren es die Minen, die für Vollbeschäftigung sorgten. Allen voran die legendäre Mine von Petrila, das tiefste Bergwerk Osteuropas mit Stollen, die einen Kilometer unter dem Meeresspiegel verlaufen. Cenusa Catalin verbrachte 27 Jahre in diesen Stollen. Zuerst als Kohleschürfer, später als Retter. Er war auch bei der verheerenden Explosion 2008 im Einsatz. 13 Kollegen starben. Sprechen will er darüber nicht.
Heute führt er Besucher durch das seit 2015 stillgelegte Ungetüm. "Wir mussten in sechs Stunden acht Tonnen Kohle schürfen", berichtet er von seinem ehemaligen Tagewerk. Bei 40 bis 60 Grad Celsius arbeitete er mit Sprengstoff, Spitzhacke und einer Schaufel – liebevoll "Stalin-Herz" genannt. Ein Pferd war dafür zuständig, über Schienen Anhänger mit insgesamt sieben Tonnen Brennstoff aus der Mine zu zerren.
Mine von Petrila
Das "Stalin-Herz" auf der letzten Tonne Kohle, die in Petrila gefördert wurde
Diese Masken trugen die Kumpels
Der Helm von Cenusa Catalin
Modell des Tunnelsystems
Ort der Hoffnung
Durchaus positiv: Die Kohle-Kumpels mit den chronisch rußgeschwärzten Gesichtern verdienten im rumänischen Kommunismus zünftig Zaster. Sie bekamen etwa das Zehnfache einer Lehrerin, waren gesellschaftlich angesehen, durften mietfrei wohnen. Mit dem Sturz Ceaușescus verschwanden Privilegien und Status, zigtausende Arbeitsplätze wurden abgebaut, der Exodus begann.
"Nach der Wende war die Entwicklung verheerend. Wir fanden viele Straßenkinder, die in der Kanalisation schliefen", erzählt Andras Marton, Direktor der Caritas Alba Iulia. Etwa zwei Jahre nach der Rumänischen Revolution – ab 1991 – investierte die Caritas Zeit und Ressourcen in Petroșani. Die Kindertagesstätte Maria Stein zählt zu den Vorzeigeprojekten. Sie wird von Einheimischen geführt.
Alexandru Kelemen, in der Region verantwortlich für Caritas-Projekte, erklärt das Konzept: "In der Kindertagesstätte Maria Stein betreuen wir derzeit 39 Kinder. Sie bekommen hier eine warme Mahlzeit und das, was sie in ihrem Zuhause nicht haben." Das wären dann etwa geheizte Räume, in denen die Kinder spielen und ihre Hausübung machen können, wo sie psychologisch betreut werden.
Deutsche Verhältnisse
Auch Elenas Familie kam einst wegen der Kohle nach Petroșani. Zwar schwang niemand von ihnen im Bergwerk das Stalin-Herz, doch Arbeit gab es auch so genügend. Heute ist die gelernte Schneiderin arbeitslos. Sie lebt von staatlichen Subventionen, Kinderbeihilfe und Gelegenheitsjobs – etwa als Putzfrau. Mit 250 Euro pro Monat muss ihre Familie über die Runden kommen. Ihre Söhne würden Hunger leiden, könnte Elena sie nicht in die Kindertagesstätte schicken.
Die Tagesstätte hat wiederum Probleme, ausgebildetes Personal zu finden und dieses adäquat zu bezahlen, erklärt Kelemen. Arbeitsfähige Menschen mit guter Ausbildung verlassen Petroșani und andere strukturschwache Gegenden. Alleine in den vergangenen beiden Jahren haben 620.000 Rumänen das Land verlassen, um im EU-Ausland zu arbeiten.
Zuhause bleiben Kinder und ältere Menschen – in vielen Fällen ohne Betreuung. Der Bürgermeister von Petroșani hat bereits einen Hilferuf in die Hauptstadt Bukarest gesandt, weil dringend Altenpfleger benötigt werden. Trotz aller Bemühungen: Aktuell fehlt der Gegend auf sämtlichen Ebenen die Perspektive. Nur noch zwei von zehn Minen werden betrieben.
Das ist kein rein-rumänisches Phänomen. Die Anzahl der Beschäftigten im Bergbau sinkt europaweit. Beispiel Deutschland: Waren 1980 noch über 150.000 Menschen in diesem Sektor tätig, waren es 2018 nicht einmal mehr 21.000. Was die Sache für Arbeiter nicht besser macht: Mit dem "Green Deal" ist der EU-weite Ausstieg aus der Kohleindustrie so gut wie beschlossen. Für Petroșani dürfte das bedeuten: Die Abwanderung geht weiter, die Stadt stirbt aus. Alternative, große Investitionsprogramme für die Region existieren derzeit nicht.
Was bleibt: Depression, Aussichtslosigkeit und soziale Probleme. Auf ihren Ehemann kann Elena etwa nicht mehr zählen. "Er ist Alkoholiker. Er hat mich vor den Kindern geschlagen." Die Kinder schlug er ebenso, der Mann wurde arbeitslos, die Lage eskalierte: "Er sagte zu meinem älteren Sohn, dass er ihm in die Schule folgen und ihn töten wird."
Elena zeigte den Gatten an, der Fall ging vor Gericht und das zog einen Schlussstrich. Der Mann darf sich ihr nicht mehr nähern. Sie hat ihn seit vier Jahren nicht gesehen, obwohl er sich immer noch in Petroșani aufhalten soll. "Aber ich habe keine Angst mehr vor ihm", sagt sie und blickt trotz allem positiv in die Zukunft.
Hinweis: Dieser Beitrag entstand im Rahmen einer teilfinanzierten Pressereise der Caritas Österreich.
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