Kein Gas mehr aus Russland: In Bulgarien droht ein kalter Herbst

BULGARIA-RUSSIA-HISTORY-WWII
Das Land ist in seiner Haltung zu Russland gespalten. Noch hat man Zeit, die drohende Energiekrise abzuwenden.

Es ist der 9. Mai, der „Tag des Sieges“, an dem jährlich der Sieg der Roten Armee über Nazi-Deutschland gefeiert wird. Auch heute, 77 Jahre nach der Eroberung Berlins, wird das russische Militär von Hunderten bejubelt, die vor dem Denkmal zu Ehren der Sowjetarmee die russische Flagge hissen. Doch nicht etwa in Moskau oder einer anderen russischen Großstadt, sondern auf EU-Territorium, in der bulgarischen Hauptstadt Sofia.

Es sind Szenen, die nicht nur angesichts der blutigen Invasion in der Ukraine irritierend wirken, sondern vor allem, weil Russland erst vor zehn Tagen beschloss, kein Gas mehr nach Bulgarien  zu  liefern. Und doch war die prorussische Demonstration in Sofia erwartet worden.

Hier, wo die vielen, grünen Parks dank der warmen, frühsommerlichen  Temperaturen gut gefüllt sind, die Stadt aber von dem noch immer schneebedeckten Gipfel des Witoscha überragt wird, ist auch der politische Diskurs von Gegensätzen geprägt.

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Putin-Unterstützer versammelten sich am "Tag des Sieges" auch in der bulgarischen Hauptstadt Sofia.

So ist etwa die Mehrheit der Bevölkerung, vor allem der jüngere Teil,  klar westlich ausgerichtet und stolz darauf, ein Teil Europas zu sein. Das zeigt sich besonders dramatisch am sogenannten „brain drain“, also der Abwanderung gut ausgebildeter, junger Bulgaren in den Westen.

Die meisten älteren Bulgaren haben sich dagegen bis heute eine Russland-Freundlichkeit behalten, bedingt durch ein nostalgisches Verhältnis zur Sowjetunion. Die bulgarische Journalistin Wessela Wladkowa nennt das im Gespräch mit österreichischen Kollegen eine „Ostalgie“.

Präsident ist größter Russland-Freund

Der Angriff auf die  Ukraine hat nun allerdings die Haltung vieler „ostalgischer“ Bulgaren  verändert. Auf Teile der erst im November geformten Regierung um Premierminister (und Harvard-Absolvent) Kiril Petkow trifft das nicht zu.

In der Vier-Parteien-Koalition setzen sich Petkows pro-westliche Partei „Wir setzen den Wandel fort“ gemeinsam mit der liberalen DB für eine Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine ein, die Sozialisten blockieren dagegen ebenso wie die Protestpartei „Es gibt so ein Volk“.

Als Schlüsselfigur des prorussischen Lagers gilt ausgerechnet der beliebteste Politiker Bulgariens: Staatspräsident Rumen Radew. Der ehemalige Luftwaffengeneral kritisiert die Regierung seit Kriegsbeginn regelmäßig und plädiert dafür, sich nicht in den Konflikt einzumischen. Sein Einfluss ist groß, vor allem auf die Sozialisten.

Hilfe aus Griechenland

Am Montag reiste Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg in die bulgarische Hauptstadt. Auch, um der bulgarischen Regierung angesichts der russischen „Erpressungsversuche“ Solidarität zuzusichern.

++ HANDOUT ++ AM SCHALLENBERG IN BULGARIEN: SCHALLENBERG/RADEV

Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg (l.) traf am Montag auch auf den bulgarischen Präsidenten Rumen Radew.

Die Sorge unter Politikern und Experten ist groß, auf Privathaushalte wirkt sich der Gas-Stopp  aber noch kaum aus. Einerseits, weil die Reserven noch gefüllt sind und die meisten Bulgaren ohnehin mit Strom heizen. Andererseits, weil seit Dezember eine Obergrenze beim Strompreis für Privathaushalte gilt.

Eng würde es im Zweifel für die Industrie, sollte die geplante Pipeline, die Bulgarien mit dem neuen Flüssiggas-Terminal im griechischen Alexandroupolis verbinden soll, nicht wie geplant in den nächsten Monaten fertiggestellt werden. 

Der Sommer hat gerade erst damit begonnen, sich über Sofia niederzulassen. Bis zum Herbst haben Politik und Experten also noch Zeit, eine Lösung für die drohende Energiekrise zu finden. Wenn das Heizen im bulgarischen Winter bei zweistelligen Minusgraden unleistbar wird, „werden die Menschen auf die Straße gehen“, meint Wladkowa. Und dann nicht aus „ostalgischen“ Gründen.

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