So ist etwa die Mehrheit der Bevölkerung, vor allem der jüngere Teil, klar westlich ausgerichtet und stolz darauf, ein Teil Europas zu sein. Das zeigt sich besonders dramatisch am sogenannten „brain drain“, also der Abwanderung gut ausgebildeter, junger Bulgaren in den Westen.
Die meisten älteren Bulgaren haben sich dagegen bis heute eine Russland-Freundlichkeit behalten, bedingt durch ein nostalgisches Verhältnis zur Sowjetunion. Die bulgarische Journalistin Wessela Wladkowa nennt das im Gespräch mit österreichischen Kollegen eine „Ostalgie“.
Präsident ist größter Russland-Freund
Der Angriff auf die Ukraine hat nun allerdings die Haltung vieler „ostalgischer“ Bulgaren verändert. Auf Teile der erst im November geformten Regierung um Premierminister (und Harvard-Absolvent) Kiril Petkow trifft das nicht zu.
In der Vier-Parteien-Koalition setzen sich Petkows pro-westliche Partei „Wir setzen den Wandel fort“ gemeinsam mit der liberalen DB für eine Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine ein, die Sozialisten blockieren dagegen ebenso wie die Protestpartei „Es gibt so ein Volk“.
Als Schlüsselfigur des prorussischen Lagers gilt ausgerechnet der beliebteste Politiker Bulgariens: Staatspräsident Rumen Radew. Der ehemalige Luftwaffengeneral kritisiert die Regierung seit Kriegsbeginn regelmäßig und plädiert dafür, sich nicht in den Konflikt einzumischen. Sein Einfluss ist groß, vor allem auf die Sozialisten.
Hilfe aus Griechenland
Am Montag reiste Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg in die bulgarische Hauptstadt. Auch, um der bulgarischen Regierung angesichts der russischen „Erpressungsversuche“ Solidarität zuzusichern.
Die Sorge unter Politikern und Experten ist groß, auf Privathaushalte wirkt sich der Gas-Stopp aber noch kaum aus. Einerseits, weil die Reserven noch gefüllt sind und die meisten Bulgaren ohnehin mit Strom heizen. Andererseits, weil seit Dezember eine Obergrenze beim Strompreis für Privathaushalte gilt.
Eng würde es im Zweifel für die Industrie, sollte die geplante Pipeline, die Bulgarien mit dem neuen Flüssiggas-Terminal im griechischen Alexandroupolis verbinden soll, nicht wie geplant in den nächsten Monaten fertiggestellt werden.
Der Sommer hat gerade erst damit begonnen, sich über Sofia niederzulassen. Bis zum Herbst haben Politik und Experten also noch Zeit, eine Lösung für die drohende Energiekrise zu finden. Wenn das Heizen im bulgarischen Winter bei zweistelligen Minusgraden unleistbar wird, „werden die Menschen auf die Straße gehen“, meint Wladkowa. Und dann nicht aus „ostalgischen“ Gründen.
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