Karl Nehammers erster EU-Gipfel-Härtetest
An seinem zweiten Tag in Brüssel, da wirkte der Kanzler schon viel gelöster. Zwar kennt Karl Nehammer, seit kaum zwei Wochen der neue österreichische Regierungschef, das Ritual: Im raschen Schritt eilt er über den roten Teppich des EU-Ratsgebäudes, hin zu den Kameras und Mikrofonen.
Und dann ist er weg. Zu stundenlangen Debatten mit den anderen europäischen Regierungschefs bis tief in den Freitagmorgen hinein.
Bisher war Nehammer zu Räten der Innenminister nach Brüssel oder Luxemburg gereist. Jetzt ist der 49-jährige Wiener plötzlich Kanzler – und muss sofort in allen europäischen Krisen sattelfest sein. Noch im Flugzeug nach Brüssel hat sich Nehammer von seinen Beratern auf den letzten Stand aller Krisen bringen lassen.
Debüt für Nehammer beim EU-Gipfel - Pandemie und Ukraine-Krise Themen
Und derer gibt es derzeit viele. Zeit, sich gemütlich einzuarbeiten, hat weder Nehammer noch sein ebenfalls zur Gipfelpremiere angereister deutscher Amtskollege, Olaf Scholz.
"Thema Nummer eins ist natürlich Covid", legt Nehammer gleich los, "und die Frage, wie wir uns in Europa auf die nächste Welle vorbereiten." Aber nach einem Gespräch mit EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen, äußert er sich optimistisch: Schon nächstes Frühjahr könnte es Impfstoffdosen geben, die auch gegen die Omikron-Variante besser schützen sollen.
Dass Italien diesen Weg gewählt hat, bei der Einreise PCR-Tests zu verlangen, ist zulässig
Und eine überaus freundliche Tonlage ist vom Kanzler zu vernehmen. Immer wieder lobt er von der Leyen überschwänglich, sieht in ihre eine "vertrauensvolle Verbündete" – und das nicht nur bei der Impfstoffbeschaffung, sondern auch in der Migrationspolitik. Sie habe, so Nehammer, den Fokus jetzt auf mehr Rückführungen abgewiesener Asylwerber gesetzt. Und dann ist Nehammer schnell bei dem Thema, wo er sich als Ex-Innenminister bestens auskennt: "Allein 35.000 Asylansuchen wurden heuer in Österreich gestellt. Und das Alarmierende dabei ist, dass 20 Prozent der Migranten beim Überschreiten der EU-Außengrenzen nicht registriert wurden." Sein Fazit, das er den anderen Regierungschefs klar machen wollte: Besserer EU-Außengrenzschutz, mehr EU-Geld für Grenzanlagen und mehr Rückführungen.
"Herzlich aufgenommen"
Im Kreis der mächtigsten Politiker Europas sei er "herzlich aufgenommen worden", schildert Nehammer. Das könnte mit seinem verbindlichen Auftreten zu tun haben, während sein Vorvorgänger Sebastian Kurz zuweilen für Verwunderung und Ärger gesorgt hatte. Da hatte Kurz der EU zu Jahresbeginn einen "Impfbasar" vorgeworfen – obwohl sich Österreich das Nachhinken bei der Impfstoffverteilung damals selbst zuzuschreiben hatte.
EU-Gipfel
Vier Mal im Jahr – im März, Juni, Oktober und Dezember – treffen einander die EU-Regierungschefs zu Gipfeln in Brüssel. Liegt eine aktuelle Krise vor, kann EU-Ratspräsident Michel einen Sondergipfel einberufen.
Bei Gipfeln werden die aktuellen Themen/Krisen durchdiskutiert – und die großen Linien der europäischen Politik gezogen.
750Milliarden Euro beträgt das Volumen des EU-Post-Corona-Fonds. Dafür werden gemeinsam Schulden aufgenommen. Bis man bei diesem Sondergipfel 2020 zu einem Ergebnis kam, dauerte es vier Tage und Nächte.
Auch dass Italien nun bei der Einreise auch einen PCR-Test verlangt, beurteilt Nehammer freundlich: "Dass Italien diesen Weg gewählt hat, ist zulässig", versichert der Kanzler. Die Staaten hätten das Recht, selbst zu definieren, welchen nächsten Schritt sie setzen wollen.
Freundlich, aber deutlich macht der Gipfelneuling seinen Regierungskollegen klar, welchen Weg er für Österreich innerhalb der EU sieht: Eine Schuldenunion – also das dauerhafte Aufnehmen gemeinsamer Schulden – lehnt er ebenso ab wie die Möglichkeit, dass Atomkraft in der EU demnächst als "grüne Energie" eingestuft werden könnte. In dieser Frage kann Österreich auf die Unterstützung Luxemburgs zählen. Verhindern, und das weiß allerdings auch Nehammer, wird es sich allerdings "angesichts mächtiger Gegner" kaum lassen.
Nur in einem Punkt war Österreichs Kanzler im Kreise seiner Kollegen isoliert: Er setzte sich wiederholt für die Inbetriebnahme der umstrittenen russischen Ölpipeline Nordstream 2 ein: "Es ist nicht klug, Nordstream 2 als Sanktionswaffe gegen Russland zu verwenden."
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