Kamala Harris: Welche Taktik hinter ihrer Nominierung steckt
Die Suche nach dem "Running Mate" der Demokraten, der Kandidatin für das Amt der Vizepräsidentin hat ein Ende. Kamala Harris hat nach einer Ankündigung am Dienstagabend das Rennen gemacht, sie wird an der Seite von Joe Biden ins Rennen gehen. Oftmals wird dem Vize-Kandidaten wenig Beachtung geschenkt – diesmal ist das anders. Das liegt einerseits am Alter Joe Bidens, der am Ende seiner möglichen Amtszeit 82 Jahre alt sein wird. Und andererseits daran, dass er als Kandidat als schwach gilt. Insbesondere auch, was Rassismus- und Sexismusvorwürfe betrifft.
Kamala Harris ist eine Frau, sie ist eine nicht-weiße Einwanderertochter und sie gilt als "hart". Ihr Auftreten hat ihr einen gewissen Ruf beschert. Auch Biden hat das bereits zu spüren bekommen. Bei der ersten Debatte der Anwärter auf die demokratische Präsidentschaftskandidatur im vergangenen Sommer attackierte Harris den Parteikollegen aufs Schärfste.
Wie der britische "Guardian" diagnostizierte: "Biden wählte keinen anderen Biden, sondern einen anderen Obama: Eine Person, die die Zukunft eines Landes von Einwanderern repräsentiert und tief verwurzelt ist in der harten Arbeit, das Unrecht in Amerika zu beheben."
Donald Trump reagierte prompt auf Twitter. "Triff die verlogene Kamala Harris", heißt das von ihm geteilte Video, das offenbar für den Fall vorbereitet wurde, dass Harris zum Vize-Kandidatin gewählt werde.
Wahltaktisches Kalkül
Hinter der Suche nach einem Vize-Kandidaten steckt viel Kalkül. Oft werden die Kandidaten auch nach ihrem Herkunftsbundesstaat gewählt, um diesen für die eigene Partei zu gewinnen. In Kamala Harris‘ Fall sollen wohl Wählergruppen erreicht werden, zu denen Biden wenig Zugang hat.
Biden hatte schon im März angekündigt, mit einer Frau an seiner Seite in den Wahlkampf ziehen zu wollen - in der US-Geschichte gab es noch nie eine Vizepräsidentin. Vor dem Hintergrund der Black-Lives-Matter-Proteste wuchs der Druck, sich für eine schwarze Kandidatin zu entscheiden.
Harris, die 2016 als erst zweite schwarze Senatorin in den Kongress einzog, erfüllt diese Bedingungen und soll offenbar Afroamerikaner zu den Wahlurnen bewegen. Die Wählergruppe hatte die Demokraten vor vier Jahren im Stich gelassen, als Hillary Clinton sie nicht genügend mobilisieren konnte. In den umkämpften Bundesstaaten geht es genau um die schwarzen Stimmen - etwa in Michigan, Pennsylvania und Wisconsin, die Trump 2016 knapp für sich gewinnen konnte. Oder in Georgia und Florida, die eigentlich zu den Republikanern neigen, in denen es heuer aber ein Kopf-an-Kopf-Rennen geben könnte.
Harris verfügt zudem über große politische Erfahrung, kann gut debattieren und ist mit 55 Jahren deutlich jünger als der 77-jährige Biden, der bei einem Wahlsieg als ältester Präsident ins Weiße Haus einziehen würde. Viele US-Medien thematisieren den möglichen Fall, dass Kamala Harris als Präsidentin einspringen könnte, sollte Joe Biden aus gesundheitlichen Gründen ausfallen. Manche wähnen sie bereits als demokratische Kandidatin für die Wahl 2024 - Biden wird dann mit großer Wahrscheinlichkeit nicht mehr antreten.
Eine Frau als Running Mate, das hat es zuvor in den USA nur zwei Mal gegeben. 1984 hat der Demokrat Walter Mondale sich für Geraldine Ferraro entschieden – und die Wahl verloren. 2008 schaffte es John McCain mit Sarah Palin nicht gegen Barack Obama und Joe Biden.
"Verlierer" als Vize
John Adams hat einst gesagt, das Amt des Vizepräsidenten sei „das bedeutungsloseste, das jemals von Menschen ersonnen wurde“. Er muss es ja wissen. Schließlich war er der erste Vizepräsident der US-Geschichte.
Zweitplatzierter ist erster Verlierer, hieß es damals noch. Denn bis zu einer Wahlreform im 19. Jahrhundert wurde jener Kandidat Vizepräsident, der bei der Präsidentschaftswahl auf dem zweiten Platz gelandet war.
Und auch die Verfassung sieht nur wenig Aufgaben für den Vize vor. Vielmehr ist der jeweilige Präsident der, der vorgibt, welche Rolle seine Nummer zwei zu spielen hat. Nicht immer ist das so eine unwichtige, wie zu Zeiten Adams‘.
Als einer der mächtigsten Vizepräsidenten der US-Geschichte gilt Dick Cheney, der George W. Bush von 2001 bis 2009 als Stellvertreter diente. Biden, unter Präsident Barack Obama in den folgenden acht Jahren Vize, übernahm eine Reihe wichtiger Aufgaben: Unter anderem fungierte Biden als Obamas wichtiger Verbindungsmann zum Kongress, dem er davor 35 Jahre angehört hatte. Insbesondere während der Umsetzung heikler Gesetzesvorhaben, etwa der großen Gesundheitsreform ("Obama Care"), erwies sich Bidens Erfahrung mit dem Dickicht der Interessenspolitik im Kongress als besonders wertvoll.
Die wohl entscheidendste Rolle ist aber die, dass der Vizepräsident für den Präsidenten einspringt, wenn der verhindert ist, stirbt oder zurücktritt.
Lyndon B. Johnson sprang ein, nachdem John F. Kennedy 1963 ermordet worden war. 1974 löste Gerald Ford den im Zuge der Watergate-Affäre zurückgetretenen Richard Nixon ab. Sieben weitere Male ist bereits der Vizepräsident nach Tod oder Rücktritt an die erste Stelle gerückt. Vier von ihnen wurden später auch zum Präsidenten gewählt: Theodore Roosevelt 1904, Calvin Coolidge 1924, Harry S. Truman 1948 und Lyndon B. Johnson 1964.
Weitere Aufgaben
George Bush senior (1985) und Dick Cheney (2002/2007) sind bereits für einige Stunden als geschäftsführende Präsidenten eingesprungen, als der jeweilige Präsident amtsunfähig war. Anlass war jeweils ein medizinischer Eingriff.
Der Vizepräsident ist kraft seines Amtes auch der Vorsitzende des US-Senats. Ein Stimmrecht hat er aber nur, wenn es in der Kongresskammer mit den 100 gewählten Senatoren zu einer Pattsituation kommt. Dann gibt der Vizepräsident mit seiner Stimme den Ausschlag. Viele Präsidenten nutzten ihren Stellvertreter auch als Verbindungsmann zum Kongress bei Verhandlungen über neue Gesetze.
Kamala Harris (55) ist die erste nicht-weiße Frau im Rennen um die US-Vizepräsidentschaft. Sie wurde 1964 in Oakland, Kalifornien geboren, ihre Eltern stammen aus Jamaika und Indien.
2011 wurde sie als erste Frau und erste Schwarze Generalstaatsanwältin und damit Justizministerin von Kalifornien. Sechs Jahre später zog sie in den Senat in Washington ein, als zweite afroamerikanische Frau der Geschichte.
Schon 2014 wurde sie als mögliche Justizministerin gehandelt, der damalige US-Präsident Obama entschied sich aber gegen sie.
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