Joe Biden auf Partnersuche: "Es geht um die erste Präsidentin"
Sollte es am Ende Karen Bass werden, dann nicht nur, weil sie sich den Ruf einer empathischen und erfolgreichen Verhandlerin erarbeitet hat, die auch in widrigen Zeiten mit Top-Republikanern ein exzellentes Verhältnis pflegt. Die 66-jährige schwarze Kongress-Abgeordnete aus Los Angeles, die binnen weniger Wochen zur Geheim-Favoritin für den Posten der Vizepräsidentschafts-Kandidatin des Demokraten Joe Biden geworden ist, verbindet etwas Tragisches mit dem Herausforderer von Donald Trump.
Leidensfähigkeit
Biden verlor 1972 seine erste Frau und seine kleine Tochter bei einem Autounfall. Bass durchlebte 2006 ein ähnliches Schicksal. Ihre Tochter und der Schwiegersohn kamen auf gleichem Weg ums Leben.
Karen Bass (67)
Die Abgeordnete aus Kalifornien vertritt linke Ansichten, gilt aber als versöhnlich und lösungsorientiert
Biden und Bass wissen, was Leidensfähigkeit ist. Und wie man in Würde aus tiefsten Tälern wieder herauskommt. Das könnte zusammenschweißen, sollte es im November für einen Sieg gegen den Amtsinhaber reichen und Bass den Zuschlag erhalten. Biden muss von Tag eins an sicher sein können, dass an seine Vize delegierte Aufgaben erfolgreich erledigt werden.
Kamala Harris (55) Die Senatorin aus Kalifornien ist die aussichtsreichste, aber auch riskanteste Kandidatin. Sie hat Biden oft kritisiert
Die Wucht der durch die Coronavirus-Katastrophen entstandenen Altlasten, die er von seinem Vorgänger erben würde, übersteigt die Problemlage von 2009 bei weitem.
Wieder Verzögerung
Damals kam Biden im Schlepptau von Barack Obama in der Weltfinanzkrise als Vize in Verantwortung. Nächste Woche, entschieden ist nichts, will Joe Biden die Personalie bekannt geben.
Die Senatorinnen Kamala Harris, Elisabeth Warren, Tammy Duckworth und die frühere Nationale Sicherheitsberaterin Susan Rice werden von US-Medien und Insidern ebenfalls zu den Aussichtsreichen gezählt.
Elizabeth Warren (71)
Die politische Veteranin steht zwar weiter links als Biden, gilt aber als dessen langjährige politische Vertraute
Ganz gleich auf wen die Wahl fällt: Es kommt wohl einem vorgezogenen Vorstellungsgespräch mit dem amerikanischen Volk gleich. Biden (77) wäre im Falle eines in Umfragen hartnäckig für möglich gehaltenen Sieges am Ende der ersten Amtszeit 82 Jahre alt. Weil er sich als „Übergangskandidat“ bezeichnet, dürfte er keine zweite Wahlperiode anpeilen, sagen Parteistrategen.
Tammy Duckworth (52)
Die Senatorin hat im Einsatz im Irak 2004 beide Beine verloren. Sie gilt als kämpferisch und sozial engagiert
Nach Washingtons Macht-Logik wäre Bidens „running mate“ erste Anwärterin für die Anschluss-Kandidatur der Demokraten 2024. Um es im Klartext von Claire McCaskill zu sagen, einst demokratische Senatorin aus Missouri: „Es geht um die erste Präsidentin Amerikas.“ Weil unter den mehr als ein Dutzend auf Herz und Nieren geprüften Kandidatinnen sechs Afro-Amerikanerinnen sind, könnten die USA nach dem Kapitel Obama die erste schwarze Präsidentin bekommen.
Hoher Erwartungsdruck
Die gesellschaftlichen Eruptionen nach dem Polizei-Mord an George Floyd und die danach neu entbrannte Rassismus-Debatte haben den Erwartungsdruck auf Biden enorm erhöht, eine schwarze Kandidatin als Beifahrerin zu nehmen.
Susan Rice (55)
Die Afroamerikanerin prägte Obamas Außenpolitik, gilt daher eher als hochrangige Diplomatin als als Politikerin
Entsprechend unbarmherzig werden die Attacken aus dem auch vor rassistischen Lockrufen nicht zurückschreckenden Trump-Lager ausfallen. Dort wird bereits an der Legende gestrickt, dass Frau X Statthalterin einer links-radikalen, semi-sozialistischen Politik sein wird, die aus Amerika Venezuela machen werde.
Mit der Nominierung seiner „Sozia“ kurz vor dem weitgehend ins Virtuelle verlegten Krönungsparteitag in Milwaukee (17.-20. 8.) endet für Biden eine fast betuliche Phase des bisher erfolgreichsten und ungewöhnlichsten Wahlkampfes aller Zeiten in Amerika.
Seit seiner politischen „Wiederauferstehung“ durch einen Sieg bei den Vorwahlen im Frühjahr in South Carolina hat der langjährige Senator konsequent aus der Deckung agiert. Weil das öffentliche Leben im Gefolge von Corona fast vollständig zum Erliegen kam und konventioneller Wahlkampf unmöglich wurde, verließ er nur selten sein im Keller zum TV-Studio umgebautes Haus in Delaware.
Ökologische Reformen
Hier wartet Biden seither geduldig auf Stockfehler und Ungeheuerlichkeiten seines Gegners, die mit steigender Schlagzahl kommen, kommentiert staatsmännisch in Internet-Konferenzen und Bürgergesprächen das Tagesgeschehen, stellt Konzepte für einen behutsam ökologisch angehauchten Umbau der Wirtschaft vor, sammelt zweistellige Millionensummen von Spendern ein und dient sich als personifiziertes Stoppschild für die immer mehr einer lebensgefährlichen Achterbahnfahrt (über 150.000 Corona-Tote) ähnelnden Politik Trumps.
Bidens Wahlkampf mit der angezogenen Handbremse hat dem 1987 und 2008 beim Anlauf auf das Weiße Haus Gescheiterten flächendeckend Umfragen-Vorsprünge bis zu neun Prozent eingebracht.
Selbst in Trumps bisheriger Domäne – Wirtschaft, Jobs – kann der Widersacher punkten. Viele Wähler halten ihn offenbar für tauglicher, das Staatsschiff durch absehbare Turbulenzen zu steuern. Was die Trumpianer besonders verzweifeln lässt: Alle Bemühungen zur „character assassination“ des Polit-Dinosauriers sind bisher gescheitert. Joe Biden hat den Versuch Trumps überstanden, ihn und seinen Sohn Hunter in der Ukraine-Affäre als geldgierig und korrupt erscheinen zu lassen.
Auch der politische Rufmord, Biden als China-hörig darzustellen, will nicht verfangen. „Alle internen Umfragen zeigen, dass niemand in Amerika Biden so sehr hasst wie 2016 Hillary Clinton“, sagte ein republikanischer Stratege dem KURIER, „und das ist für uns das größte Problem.“
.
Kommentare