Berlin wird schwarz: Wer ist der neue CDU-Bürgermeister?
CDU und SPD dürften gemeinsam regieren wollen. Einer, den anfangs niemand wollte, dürfte jetzt der nächste Bürgermeister Berlins werden. Wer ist Kai Wegner?
"Die Berlinerinnen und Berliner haben einen Wechsel gewählt. Sie haben uns, mir, ihr Vertrauen gegeben. Mein Ziel ist eine stabile, verlässliche Regierung, die die Probleme endlich anpackt und nicht länger liegen lässt."
Aus der Luft gegriffen schien Kai Wegners selbsterklärter Regierungsauftrag am Abend nach der Wahlwiederholung nicht. Schließlich hatte Wegner – krawattenlos und mit einem türkisen Parteianstrich, der zumindest die Österreicher an Sebastian Kurz erinnerte – die CDU mit 28,2 Proztent der Stimmen nach 22 Jahren wieder auf den ersten Platz, vor die SPD, in der, wie es so oft heißt, notorisch linken deutschen Hauptstadt gebracht.
Doch schon am Wahlabend wie auch im Vorfeld der Wahl tönten die deutschen Medien: Wegner sei ein Sieger ohne Freunde. SPD, Grüne und Linke, die gemeinsam genügend Stimmen geholt hatten, würden sehr wahrscheinlich die Koalition weiterführen, Franziska Giffey weiterhin die Bürgermeisterin stellen.
Umso mehr überraschte am Dienstagabend die Meldung, die SPD wolle Koalitionsgespräche mit der CDU vorschlagen. Die CDU zog am Mittwochabend nach: Medien berichteten, die Christdemokraten wollen ebenfalls mit den Sozialdemokraten regieren.
Alle Zeichen stehen also auf Große Koalition. Ein schwarzer Bürgermeister neben einem roten Bundeskanzler in der Hauptstadt – das gab es zuletzt 2001, mit Gerhard Schröder und Eberhard Diepgen.
Kai Wegner also, der nächste Bürgermeister von Berlin? Noch vor wenigen Monaten hatte ihm das ein Großteil seiner Partei nicht zugetraut.
Er sei nie durch sonderlich interessante politische Vorschläge aufgefallen, zitierte der Spiegel Stimmen vor der Wahl. Er habe keine Konzepte, kein Charisma, spreche in Plattitüden. "Keiner hat daran geglaubt, dass ich Spitzenkandidat werde, außer ich selbst", soll Wegner im Wahlkampf gesagt haben. Und es stimmt: Manche CDUler wollten 2021 gar den ehemaligen Bundesgesundheitsminister Jens Spahn für Berlin ins Rennen schicken.
Ein "typischer CDU-Westberliner"
Geboren ist Wegner am westlichen Rand von Berlin, wo er heute noch lebt und die Partei nach wie vor ihren Schwerpunkt hat. Als "typischen Vertreter der alten Westberliner CDU" bezeichnete ihn die NZZ am Wahlabend: 50 Jahre alt, Versicherungskaufmann, dreifacher Familienvater.
1989, im Jahr des Mauerfalls, trat Wegner in die CDU ein. Über 15 Jahre lang saß er für die CDU im Bundestag, war baupolitischer Sprecher der Unionsfraktion, und wollte doch eines Tages zurück in die Berliner Landespolitik: 2019 wurde er Landesvorsitzender, 2021 Spitzenkandidat.
Im Wahlkampf besetzte Wegner nach den Silvester-Krawallen das Thema Integration – mit dem umstrittenen Vorschlag, die Vornamen von Tatverdächtigen mit deutscher Staatsangehörigkeit zu erfragen. Für Schlagzeilen sorgte das allemal.
Mehr Protest als Überzeugung
Den Sieg haben er und die Berliner CDU wohl aber den Versäumnissen der linken Führung der Hauptstadt der letzten 20 Jahre zu verdanken: Die Kritik an den Problemen der Stadt – ewig dauernde Bürokratie, kaum leistbarer Wohnraum und der Streitpunkt Verkehrspolitik – prägte den Wahlkampf.
"Wegner wurde nicht gewählt, weil die Menschen begeistert waren von seinem Programm, sondern frustriert von der linken Regierung. Es war eine Protestwahl", so die Politikwissenschaftlerin Julia Reuschenbach von der Freien Universität Berlin zum KURIER. Entscheidend für Wegner sei jetzt, unter Beweis zu stellen, dass er diesen Protest in konstruktive Politik verwandeln kann. "Sonst ergeht es der CDU in dreieinhalb Jahren wie diesmal der SPD", so Reuschenbach.
Auch deswegen liegt es wohl mehr an den eigenen Interessen als an der Attraktivität der CDU selbst, dass die gefallene Ex-Bundesfamilienministerin Giffey jetzt mit Koalitionsverhandlungen mit der CDU vorgeprescht ist, meint Reuschenbach: Die Rückkehr in das Bürgermeisteramt bei der nächsten Wahl 2026 könnte der einstigen Hoffnungsträgerin der SPD aus der Position der Juniorpartnerin einer "GroKo" besser gelingen als von der Spitze einer abgewählten Koalition mit Grüne und Linke.
"Giffey hat sich dem Wählerwillen gebeugt, ist keine, die an ihrem Amt klebt - so könnte ihre Geschichte dann lauten", so Reuschenbach. Als Juniorpartnerin der CDU hätte sie bei der nächsten Wahl die Chance, potenzielle Fehler der Führung anzuprangern, und sich als neue alte Alternative zu präsentieren. Im Bürgermeisteramt ginge das schwer.
Am Mittwochnachmittag hat Giffey ihre Pläne dem Landesverband vorgelegt. Am Donnerstag soll Wegner mit der Landes-CDU reden.
Fortsetzung von Rot-Grün-Rot damit "gestorben"
Reuschenbach warnt jedoch davor, die Grünen zu schnell abzuschreiben: "Die Gespräche zwischen CDU und Grüne sollen besser gelaufen sein als gedacht." Nur eine Weiterführung der bisherigen rot-grün-roten Koalition scheint jetzt plötzlich, mit einem Schlag, absolut unwahrscheinlich: "Giffeys Koalitionsangebot an die CDU ist ein Affront gegenüber den Grünen. Die Fortsetzung des bisherigen Bündnisses ist damit gestorben."
Und Wegner plötzlich ein Sieger mit ganz vielen Freunden.
Kommentare