Ja, und dabei hat mir tatsächlich geholfen, dass ich schon als Kind, also in der Volksschule, ein guter Kopfrechner war. Schließlich muss auch ein EU-Budgetkommissar gewisse Angaben oder Vorschläge einem Check unterziehen, ob sie überhaupt plausibel sind. Natürlich sind an der Erstellung unserer Unterlagen für die Verhandlungen Dutzende Fachleute beteiligt. Aber meine Mitarbeiter haben immer unter großem Zeitdruck gearbeitet, so dass mir beim Drüberschauen dann meistens doch noch das eine oder andere aufgefallen ist.
Das heißt also, Sie haben ihre Unterlagen zuletzt immer persönlich kontrolliert?
Immer natürlich. Das war, glaube ich einer meiner Stärken. Ich bin gewissermaßen einer der wenigen Profiteure des traditionellen österreichischen Bildungswesens. Ich war in der Lage, all meine Briefings durchzuarbeiten, mir den Inhalt zu merken - wenn auch manchmal nicht allzu lange.
Waren es also Zahlen, über die Sie mit den Mitgliedsländern zu diskutieren hatten?
Ich habe meine Materie gut beherrscht, aber als Kommissar geht es meist weniger um detaillierte Zahlen, sondern um die großen Linien. Da gibt es ja die sogenannten „Frugalen“, also die Sparmeister unter den EU-Staaten, Deutschland oder Österreich etwa. Da ging es dann wirklich um beinharte Diskussionen, wo kann eingespart, in welchen Bereichen dagegen sollte mehr ausgegeben werden. Da geht es dann weniger um Zahlen als um die politischen Schwerpunkte, die man setzen möchte. Letztlich ist ja ein Budget in Zahlen gegossene Politik.
Was hilft, um diese Sparmeister zu überzeugen?
Da ist es im richtigen Moment praktisch, die richtigen Zahlen, oder noch besser Zeitreihen, also Entwicklungen über Jahre parat zu haben. Etwa, dass gerade in den sparfreudigen Staaten die Gehälter der öffentlich Bediensteten stärker gestiegen sind als im EU-Durchschnitt.
Bekommt man in all diesen Jahren eine Verhandlungsroutine – auch für die hartnäckigsten Fragen?
Ich glaube, man kann mich mitten in der Nacht aufwecken und ich kann Ihnen freihändig sagen, wie sich jeder einzelne der 27 EU-Staaten bei der Debatte über eine bestimmte Frage zum EU-Budget verhalten würde. Das Wesentliche an einem Budgetvorschlag der EU-Kommission ist ja, dass alle 27 Kritik daran üben. Das alle 27 applaudieren, kann man vergessen. Ein Problem dagegen wäre, wenn die Hälfte den Vorschlag für gut hält - und die andere Hälfte für schlecht. Der beste Ausgangspunkt für Verhandlungen ist immer: Alle 27 sind unzufrieden. Dann kann man sie alle langsam an einen Kompromiss heranführen.
Woraus besteht das Gefühl des Erfolges für einen EU-Kommissar?
Dass man bemerkt, dass man tatsächlich etwas bewirken kann. Jeder, der in einer Funktion mit diesen Gestaltungsmöglichkeiten behauptet, dass man nichts bewirken kann, dass alles ohnehin schon von anderen vorgekaut worden ist, ist entweder faul, oder er kennt die Materie nicht. Wenn man sich aber wirklich engagiert, dann bringt man auch etwas zustande.
Was hilft noch, wenn man als EU-Kommissar etwas bewirken will?
Es gibt da ein Phänomen: Wenn man als Kommissar einmal persönlich irgendwo hinkommt, dann bewegen sich die Dinge. Da konnten sich einmal Rumänien und Bulgarien beim Bau einer Brücke über die Donau bis zuletzt über eine finanziell heikle Detailfrage nicht einigen. Mein Besuch an der Baustelle war lange angekündigt. Als aber klar war, dass die immer noch auf keinen gemeinsamen Nenner kommen, habe ich angekündigt, dass ich nicht komme, wenn sie sich nicht einigen. Eine Absage des Besuches, das wäre dann doch zu blamabel für beide Seiten gewesen, also haben sie sich wenige Stunden vor meinem Eintreffen dann doch noch geeinigt.
Sie haben jetzt fünf Jahre mit Ursula von der Leyen zusammengearbeitet. Wie beurteilen Sie ihren Führungsstil?
Grundsätzlich: Ich habe drei Präsidenten der EU-Kommission erlebt und mit allen drei sehr professionell zusammengearbeitet. Das sind einfach grundsätzlich Profis am Werk, auch wenn jeder von ihnen seinen eigenen Stil hat. Mit Jean Claude Juncker ist daraus eine persönliche Freundschaft entstanden.
Was Ursula von der Leyen betrifft: Sie ist sicher sehr fleißig, beschäftigt sich intensiv mit der Materie und sie hat einen guten Instinkt dafür, was politisch interessant ist. Gerade, was die jetzige EU-Kommission betrifft, da hat sie den Vorteil, dass sie erfahren ist, dass sie weiß, wie die Dinge auf europäischer Ebene funktionieren, während es der Großteil der Kolleginnen und Kollegen noch nicht ist. Das führt schon dazu, dass das einen Zug aufs Tor bekommt – und dabei ist klar: Sie ist die Mittelstürmerin.
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