Sind Sie auch für eine Flüchtlingsobergrenze, Herr Spahn?
Als Gesundheitsminister gehörte er zum liberalen Flügel der CDU, jetzt verteidigt er Markus Söders umstrittene Forderung: Löse "die Mitte" das Migrationsproblem nicht, stärke das nur die AfD.
Über 204.000 Asylanträge zählte Deutschland bis Ende August – 77 Prozent mehr als Vorjahreszeitraum. Kommunen sind überfordert: In einzelnen Städten müssen Geflüchtete – wie schon 2015 – in Turnhallen untergebracht werden. Die Debatte fällt in den bayrischen Wahlkampf, Ministerpräsident Markus Söder (CSU) machte mit der alten Forderung einer Flüchtlingsobergrenze Schlagzeilen. Jens Spahn, stv. Vorsitzender der Unionsbundestagsfraktion, fordert Verantwortung von Kanzler Olaf Scholz – sonst stärke man nur die radikalen Kräfte.
KURIER:Herr Spahn, Markus Söder fordert eine Obergrenze für Flüchtlinge, CDU-Chef Friedrich Merz unterstützt den Vorschlag. Sie auch?
Jens Spahn: Wir hatten in der letzten Großen Koalition eine Obergrenze vereinbart, 180.000 bis 220.000 Menschen pro Jahr, und die haben wir zwischen 2017 und 2021 auch fünf Jahre in Folge eingehalten.
Das war ein Richtwert, keine Grenze.
Das war ein Zielwert, der mit politischen Maßnahmen untersetzt war.
Jetzt wird aber von einer Grenze gesprochen. Ist das nicht reiner Populismus? Nicht umsetzbar, und verstößt noch dazu gegen geltendes EU-Recht.
Entscheidend ist die Feststellung, dass es eine Grenze dessen gibt, was geht. Die eigentliche Debatte ist, welche Maßnahmen ergriffen werden sollten, um Überlastung zu verhindern: Sichere Herkunftsstaaten definieren, Sach- statt Geldleistungen, schnellere Rückführungen, Grenzkontrollen, ...
... SP-Innenministerin Nancy Faeser hat angekündigt, den Grenzschutz zu Polen und Tschechien zu verstärken.
Nachdem sie wochenlang erzählt hat, das würde nichts bringen. Wenn sie jetzt tatsächlich handelt, wäre das ein richtiger Schritt. Frau Faeser hat auch die Reform des EU-Asylsystems als historischen Erfolg gefeiert, passiert ist allerdings nichts – vor allem, weil die Grünen auf europäischer Ebene blockieren.
Dabei braucht Deutschland diese Lösung wie kein anderes Land. Mittelfristig muss unser Ziel sein, dass niemand mehr irregulär über die EU-Außengrenze kommt. Dafür wird man auch EU-Recht und internationales Recht diskutieren müssen. Das sind anstrengende, aber notwendige Debatten. Was mich irritiert ist, dass dieselben, die beim Klimaschutz sagen, wir können die Welt verändern, beim Thema Migration meinen, wir könnten nichts machen.
Sollte etwa Afghanistan ein sicheres Herkunftsland werden?
Das wird man sich anschauen müssen. Wir werden akzeptieren müssen, dass wir die Missstände der Welt nicht durch Migration nach Europa lösen können. Wir werden uns auf andere Weise politisch um Afghanistan und die Missstände vor Ort kümmern müssen.
Die Union kann sich vorstellen, beim Thema Migration mit der Regierung zusammenzuarbeiten. Das sorgt für positive Schlagzeilen.
Darum geht es nicht. Anfang der 90er-Jahre hat die Regierung mit der oppositionellen SPD einen Asyl-Kompromiss geschlossen, der einen echten Unterschied gemacht hat. Wir sind heute wieder zu solch einem Schritt bereit. Wir müssen das Thema Migration in der demokratischen Mitte lösen. Wenn wir das nicht schaffen, stärkt es die radikalen Kräfte. Es liegt jetzt in der Verantwortung des Kanzlers, dass da was geschieht. Wenn die Grünen das nicht verstehen, muss man das Problem ohne sie lösen.
Die Zahl der Asylsuchenden, die in Deutschland ankommen, steigt im Vergleich zu den Vorjahren stark. Die Union fordert eine härtere Asylpolitik. CSU-Chef Markus Söder brachte in Anlehnung an die umstrittene Idee seines Vorgängers Horst Seehofer eine Obergrenze für Geflüchtete ins Spiel. Innerhalb der Regierung stellten sich bisher die Grünen gegen härtere Maßnahmen. Die Union bot SPD und FDP Zusammenarbeit an.
Jens Spahn (43) zog vor 21 Jahren als jüngster Abgeordneter der Union in den Bundestag ein. Von 2018 bis 2021 war er unter Alt-Kanzlerin Angela Merkel Bundesminister für Gesundheit. 2018 bewarb er sich neben Annegret Kramp-Karrenbauer und Friedrich Merz um das Amt des Parteivorsitzenden. Aktuell ist er stv. Vorsitzender der Union im Bundestag und in der CDU-Grundsatzkommission.
Sie schlagen verbal ziemlich häufig auf die Grünen ein. Auch für Markus Söder sind sie die größte Gefahr. Droht die nicht viel mehr von rechts?
Die AfD und die Grünen sind die zwei Parteien, die am meisten polarisieren. Die eine ist eine radikale Partei, die andere eine demokratische, mit der wir auf Länderebene auch zusammen regieren. Demokratische Parteien müssen Probleme zusammen lösen, aber auch unterscheidbar bleiben, und gegebenenfalls auch mal öffentlich miteinander ringen. Trotzdem koalieren wir miteinander. Mit der AfD werden wir nie koalieren.
Die CDU in Thüringen aber stützt sich gern mal auf deren Stimmen im Landtag: Zuletzt wurde mithilfe der AfD ein Gesetz zur Senkung der Grunderwerbsteuer beschlossen.
Das "gern" weise ich zurück. In Thüringen haben wir die Besonderheit, dass die Regierung keine Mehrheit hat. Die CDU darf sich weder vom linken noch vom rechten Rand davon abhalten lassen, die Dinge, die sie für richtig hält, in die parlamentarische Debatte einzubringen. Etwas Richtiges wird nicht deswegen falsch, weil es die Falschen auch richtig finden.
Merz wird vorgeworfen, mit seiner Wortwahl den rechten Rand zu stärken. Wie sehen Sie das?
Was diese Höcke-Partei wirklich stärkt, ist ständig über sie zu debattieren. Als CDU nehmen wir eigenständig unsere Positionen ein, die wir übrigens oft schon hatten, bevor es die AfD überhaupt gab.
Dann reden wir über Merz: Sind Sie zufrieden mit der Arbeit des Parteivorsitzenden?
Auch hier: klares Ja. Wir kritisieren, was zu kritisieren ist und bringen unsere Ideen ein. Mit dem Ziel, bald wieder in der Regierung zu sitzen
Macht Regieren mehr Spaß?
Opposition ist gut, wenn sie kurz ist.
Sollte die CDU 2025 wieder Teil einer Regierung werden, wären Sie Teil davon?
Entscheidend ist, dass wir 2025 wieder regieren. Dem ist alles andere unterzuordnen.
Dann würde die Union aber mit mindestens einer der Parteien regieren müssen, die sie jetzt die ganze Zeit anpatzt.
So ist das im demokratischen Geschäft. Wir werden dann sehr genau schauen, mit wem wir die nötigen Maßnahmen umsetzen können. Schwarz-grün auf Bundesebene ist zumindest kein Automatismus.
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