Warum Italiens Migrantenlager in Albanien noch geschlossen sind
von Florian Mühleder
Es sollte das Vorzeigeprojekt der italienischen Premierministerin Giorgia Meloni werden: Zwei Lager für vor der Küste Italiens gestrandete Bootsflüchtlinge an der albanischen Adriaküste. Nun wurde die Eröffnung der Lager, die bereits für Mai angesetzt war, erneut verschoben. Man rechnet mit wochenlangen Verzögerungen.
Die Flüchtlingslager befinden sich in der nordalbanischen Hafenstadt Shëngjin und in einer ehemaligen Militärbasis in der Nähe der Stadt Gjadër. Es sind die ersten Aufnahmezentren Europas für Migranten in einem Drittstaat.
Eröffnungsdatum erneut nicht eingehalten
Laut Recherchen des Spiegel konnten die Lager am ursprünglich geplanten Stichtag, dem 20. Mai, aufgrund von technischen Problemen nicht eröffnet werden. Außerdem bereitete der brüchige Boden im Lager in Gjadër Schwierigkeiten.
Nun sorgt, so der italienische Staatssekretär Alfredo Mantovano, das heiße Wetter für Probleme beim Bau des größeren der beiden Lager. Die Arbeiter benötigen Arbeitspausen, was eine Eröffnung am 1. August nicht möglich machte. Die kleinere Einrichtung in Shëngjin sei inzwischen fertiggestellt.
Italien trägt die vollen Kosten für Bau und Personal der Lager. Italienische Behörden rechnen mit 65 Millionen Euro an Errichtungskosten und 120 Millionen Euro an jährlichen Führungskosten.
Im Zentrum in Shëngjin soll zuerst eine erste medizinische Untersuchung und eine Prüfung der Chancen der Geflüchteten auf Asyl erfolgen, daraufhin sollen diese ins Lager in Gjadër gebracht werden. Dort sollen pro Jahr 36.000 Menschen untergebracht werden.
Dabei soll es sich laut Migrationsforscher Gerald Knaus im profil-Interview vor allem um Geflüchtete aus Nordafrika, Bangladesch oder Pakistan handeln. Etwa 80 Prozent dürften keine Chance auf Schutz in Italien haben, so Knaus.
Meloni inszeniert Deal als "Instrument der Abschreckung"
Das Abkommen zur Umsetzung des Flüchtlingslagers wurde bereits im November 2023 zwischen Albaniens Regierungschef Edi Rama und der italienischen Premierministerin Meloni besiegelt. Die Regierungschefin der postfaschistischen Partei Fratelli d’Italia sieht darin "ein außerordentliches Instrument zur Abschreckung derjenigen, die Europa irregulär erreichen wollen" sowie ein Mittel zur Bekämpfung von Schleppern.
Albanien wiederum hegt durch das Projekt die Hoffnung, dass das Nachbarland Italien seine Unterstützung für einen albanischen EU-Beitritt erklärt. Meloni kann den Deal in Italien als innenpolitischen Coup verkaufen, Edi Rama als außenpolitischen Erfolg. Die EU war nicht in die Planungen der Lager involviert. Trotzdem sieht EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die bilaterale Vereinbarung als "wichtige Initiative".
Im bisherigen Jahr 2024 hat sich die Zahl der Migrantenankünfte in Italien mehr als halbiert. Dies geht aus den jüngsten Angaben des Innenministeriums in Rom hervor. Seit Anfang 2024 sind demnach 33.896 Migranten an den italienischen Küsten angekommen sind, verglichen mit 89.401 Personen im Vergleichszeitraum 2023. Im Vergleichszeitraum 2022 waren es 42.198 gewesen.
Die meisten stammen aus Bangladesch (7.126), Syrien (5.149) und Tunesien (4.201). Im heurigen Jahr trafen bisher 4.188 unbegleitete Minderjährige in Italien ein; im Vergleichszeitraum 2023 und 2022 waren es 18.820 bzw. 14.044 gewesen.
Kein Modell für Österreich: Karner will Änderung des EU-Rechts
Österreichs Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) würde für Geflüchtete hierzulande ein ähnliches Modell wie Melonis in Asylfragen vorschweben. Italien nutzt hier jedoch ein juristisches Schlupfloch: Denn laut EU-Recht muss eine Verbindung zwischen dem Asylwerber und dem Drittland bestehen, in das er gebracht wird. Solange die Migranten auf hoher See abgefangen werden, gelten die Asylrichtlinien der EU allerdings nicht.
Wenn Österreich Migranten in einen Drittstaat überführen würde, würde ein EU-Regelwerks-Verstoß begangen werden. Karner plädiert daher für eine Regeländerung des EU-Rechts: "So, wie das Regelwerk derzeit ist, funktioniert es nicht."
Widerstand in Italien und Albanien
Die italienische Opposition kritisiert, dass sich die Zahl der Geflüchteten trotz des Lagers nur wenig reduzieren würde und das Projekt zu teuer sei. Ende Mai besuchten vier sozialdemokratische Abgeordnete die Baustelle und berichteten von 70.000 Quadratmeter großer Fläche, die zum Großteil noch immer Brachland sei.
Außer ein paar Baracken, einem Bagger und 15 unbeschäftigten Arbeitern, zum Teil Albaner, zum Teil Italiener, habe man nichts gesehen. Mit einer Fertigstellung dieses zweiten Lagers sei frühestens ab Ende Oktober zu rechnen. Der albanische Oppositionspolitiker Arlin Qori spricht von den Lagern als "Guantanamo für Flüchtlinge". Er geht davon aus, dass es Ausbruchsversuche von Geflüchteten geben wird und dass Schlepper dann die Flucht auf dem Landweg Richtung Nordeuropa arrangieren könnten.
Die Zentren sind explizit nur für jene Flüchtlinge, die von den italienischen Behörden in internationalen Gewässern an Bord genommen werden, nicht allerdings für Migranten, die per Boot oder durch private Hilfsorganisationen an die italienischen Küsten gelangen.
Amnesty spricht von "Schandfleck"
Amnesty International nannte die Lager einen "Schandfleck für die italienische Regierung". Der Sprecher der NGO in Italien, Riccardo Noury, zeigte sich gegenüber euronews besorgt über die Umsetzung der Migrationspolitik Melonis und befürchtet automatische Inhaftierungen von Flüchtlingen, was eine Verletzung des Völkerrechts bedeuten würde: "Dieses Abkommen ist grausam und hat das Ziel, Migranten durch die Verletzung der Menschenrechte abzuschrecken." Human Rights Watch bezeichnet den italienisch-albanischen Migrationsdeal als "teure, grausame Farce".
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