Sie treffen immer wieder Vertreter anderer Staaten, um über das ungarische Familienpaket zu sprechen. Haben Sie eine Vorlage geschaffen, um weltweit Geburten anzutreiben?
Nicht nur in Ungarn haben wir schrumpfende Geburtenraten, sondern in ganz Europa. In keinem europäischen Land erreicht die Rate die Zahl 2. Es ist eine gemeinsame Herausforderung, die wir bewältigen müssen. Vielleicht nicht überall mit denselben Instrumenten. In Ungarn haben wir zwei Ziele, für die wir arbeiten: Den mehr als 40 Jahre anhaltenden demografischen Rückgang zu stoppen und das Wohlbefinden von Familien zu verbessern. Die Fertilitätsrate ist in den vergangenen zehn Jahren über 24 Prozent gestiegen, der höchste Wert in Europa.
Was ist für Sie persönlich die Definition von Familie?
Familie bedeutet für mich meine Mutter, mein Vater, mein Mann und unsere drei Kinder. Ich brauche keine persönliche Definition, denn wir finden eine in der Verfassung. Sie besagt, dass Familie auf der Ehe von einem Mann und einer Frau basiert oder auf der Beziehung von Eltern und ihren Kindern.
Wir wissen, dass die ungarische Regierung homosexuelle Paare nicht als Familie sieht. Aber was ist mit einer Mutter mit Kind ohne Mann oder geschiedenen Paaren?
Wie gesagt - in jedem Fall ist eine Familie ein Kind mit zumindest einem Elternteil. Egal, ob es sich um Vater oder Mutter handelt.
Das Familienpaket fokussiert sich besonders auf verheiratete Paare. Es lässt die Unterstützung für Alleinerzieherinnen vermissen.
Ich verstehe, wenn eine österreichische Journalistin nicht alle Details kennt, auch viele Ungarn tun das nicht. Denn wir unterscheiden nur in einem Fall: Nur bei der Unterstützung für noch nicht geborene aber geplante Kinder sprechen wir über verheiratete Paare. Wenn das Kind bereits geboren ist, wird kein Unterschied gemacht. Alle anderen Maßnahmen gelten auch für Alleinerzieher oder Unverheiratete.
(Anm.: Gerade die Maßnahmen für geplante Kinder machen aber einen großen Teil des Pakets aus. Ein großer Teil des Familienpakets bleibt dadurch Kindern ohne verheiratete Eltern verwehrt.)
Sie sprechen vom ungeborenen Kind. Abtreibung ist in Ungarn legal. Andere Länder mit konservativen Regierungen machen sie schwerer bis unmöglich. Wird Abtreibung in Ungarn legal bleiben?
Ja, wir haben keine Pläne, das zu ändern.
Sie haben das Kinderkriegen einmal eine „kulturelle Frage“ genannt. Warum?
Neben der finanziellen Frage, ist es auch eine Frage unserer Kultur, ob wir in einem Familienbund leben, ob es Teil unseres Lebens ist, sich für Kinder zu entscheiden.
Sie haben es also nicht so gemeint wie Ihr Parteikollege, der meinte, Kinder zu haben sei eine „öffentliche Angelegenheit“?
So etwas habe ich nie gesagt. Und ich habe in den vergangenen sieben Jahren (Anm.: seit Novák Familienministerin ist) immer betont, dass es eine freie Entscheidung ist, ob man Kinder haben will oder nicht. Jeder und jede kann selbst entscheiden, ob sie heiraten und Kinder haben wollen und wie viele. Wie und mit wem sie leben ist ihre eigene Entscheidung. Unser Ziel ist es, dass wir junge Menschen, die Kinder wollen, dabei unterstützen, damit sie nicht jahrelang warten müssen, bis sie genügend gespart haben.
Im Kampf gegen die schrumpfende Bevölkerung ist die Geburtenrate nur ein Teil des Bildes. Viele Menschen verlassen Ungarn, Migranten will die Regierung nicht hineinlassen.
Für Ungarn ist Migration keine Lösung für unsere demografischen Herausforderungen. Es ist ein gutes Zeichen, dass in den vergangenen drei Jahren mehr Ungarn ins Land zurückgekommen sind, als das Land verlassen haben. Ein Grund dafür ist unsere Familienpolitik. Sie realisieren, dass es sich lohnt, in Ungarn zu arbeiten, weil hier sie so viele Förderungen erhalten.
Familien leiden besonders unter der Corona-Pandemie und dabei überproportional junge Mütter. Was tun Sie dafür, die Jobsicherheit für Frauen zu verbessern?
Einerseits verbieten es unsere Gesetze strengstens, Schwangere zu kündigen. Andererseits ist die Beschäftigungsquote von Frauen stark gestiegen, eine der am schnellsten steigenden in der EU.
Sie sagen, hier gibt es keinen Handlungsbedarf?
Das würde ich nie sagen. Ich denke in diesem Bereich auch gerne an das österreichische Modell als Vorbild, zum Beispiel, was einen flexibleren Arbeitsmarkt betrifft. Die Erfahrungen aus der schrecklichen Covid-Krise könnten da auch ein Beschleuniger sein.
Sie sind selbst eine erfolgreiche arbeitende Frau und Mutter. Kürzlich sagten Sie in einem Informationsvideo, dass Frauen sich hinsichtlich der Arbeit nicht mit Männern vergleichen sollen und glücklich mit dem Geschenk sein sollen, Kinder gebären zu können. Man fragt sich, ob dieses Frauenbild heute nicht etwas altmodisch ist.
Es gibt überhaupt kein „Bild“, das wir von irgendwem erwarten. Wir arbeiten daran, dass jeder seine freien Entscheidungen treffen kann und ich denke, dass es sowohl von Vorteil sein kann, wenn die Mutter zuhause bleibt, als auch, wenn sie früh wieder arbeiten geht. Das ist deren Entscheidung. In vielen, sagen wir mal, Westeuropäischen oder nordeuropäischen Ländern gibt es diese Wahl nicht. Wenn eine Frau oder ein Mann in Ungarn zuhause beim Kind bleiben will, ist das möglich. Wir überlassen den Familien diese Entscheidung. Was Anderes sagen wir gar nicht.
Aber warum haben Sie dann dieses Video produzieren lassen, in dem Sie für das Bild der zuhause bleibenden Mutter werben?
Dafür habe ich nicht geworben. Das einzige, das ich sagte, ist, dass man keine Frau verurteilen soll, die sich für diesen Weg entscheidet.
In der Pandemie ist auch die häusliche Gewalt angestiegen. Die Istanbul Convention des Europarats soll dieses Problem behandeln. Warum hat Ungarn sie nicht unterzeichnet?
Weil sie Elemente beinhaltet, die wir nicht unterstützen. Etwa die Definition von Gender oder Migrationselemente. Dinge, die mit häuslicher Gewalt nichts zu tun haben. Ich denke auch nicht, dass die Istanbul Convention die wirklichen Probleme der Opfer häuslicher Gewalt lösen wird. Wir haben in den vergangenen zehn Jahren in Ungarn mehr investiert als frühere Regierungen, um unser System zu verbessern. Etwa in Frauenhäuser. Und in der EU gibt es eine neue Initiative für eine gemeinsame Hotline für Opfer häuslicher Gewalt. Ungarn ist dabei. Aber leider nur etwa zehn andere europäische Staaten.
Sie haben in diesem Interview nicht ein einziges Mal die christlichen Werte erwähnt, die Sie sonst oft betonen. Warum?
Es gab keine Frage dazu.
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