"Demografischer Abgrund"
Katalin Novák ist die personifizierte ungarische Familienpolitik. Ungarns Bevölkerung schrumpfte seit den 1980er Jahren – in der Zeit der zweiten Orbán-Regierung 2012 begannen die Geburten pro Frau wieder mehr zu werden. Eines der offiziellen Hauptanliegen Viktor Orbáns ist es, die ungarische Bevölkerung vor dem „demokrafischen Abgrund“ zu retten, wie er es gern darstellt. Dazu hat er seit seiner Rückkehr an die Macht 2010 immer wieder neue Maßnahmen gesetzt.
Im Rahmen des 2019 beschlossenen Familienpakets erhalten Ehepaare 5.000 Forint (14 €) monatlich für das erste Ehejahr, Eltern einen höheren Steuerfreibetrag. Ehepaare, die versprechen, mehrere Kinder zu bekommen, erhalten einen Wohnbauzuschuss von umgerechnet 170–30.000 Euro. Für die Geburt eines Kindes erhält man eine Einmalzahlung von umgerechnet 180 Euro, künstliche Befruchtung zahlt die Krankenkassa.
"Öffentliche Sache"
Während vor allem in den Städten und in Akademikerkreisen Kritik an dem Familienpaket laut wurde – wonach die Orbán-Familienpolitik die Frauen „zurück an den Herd“ beordere und die Gleichberechtigung untergrabe (Ungarinnen verdienen rund 16 % weniger als Ungarn) – will die Regierung damit zumindest ein stückweit ihr Ziel erreicht haben. Immerhin liegt die Geburtenrate mittlerweile wieder bei 1,53 (2011: 1,23). Um die Bevölkerungszahl stabil zu halten bräuchte das Land aber eine Rate von 2,1.
Parlamentspräsident László Kövér beschrieb das vor einem Jahr so: „Kinder zu haben ist eine öffentliche Sache.“ Und sprach damit aus, was die Regierung wirklich meint: Ungarns System braucht mehr Kinder.
Katalin Novák wirbt unterdessen eisern weiter: „Denkt nicht, als Frau könne man die Erfüllung nicht als Mutter finden, die ’nur’ für ihre Familie lebt.“ Vielmehr solle man es „wagen“, „ja zu Kindern zu sagen – und dort zu sein, wo uns niemand ersetzen kann“, sagt die dreifache Mutter, die in ihrem Lebenslauf für die Jahre 2004 bis 2010 „zuhause bei den Kindern“ angegeben hat.
"Lasst uns glücklich sein, als Frau geboren zu sein", empfiehlt sie. "Freuen wir uns, dass wir Leben schenken können, freuen wir uns, dass wir das Geschenk der Liebe erhalten haben und dass wir für andere sorgen können. Seid froh, dass es jemanden gibt, für den ihr Verantwortung übernehmen könnt!"
Unterdurchschnittlich
In Sachen Gleichberechtigung steht Ungarn im europäischen Vergleich an 27. Stelle. 67 Prozent der Ungarinnen arbeiten (76% der Österreicherinnen). Wissenschaftlich untersucht sollen diese Unterschiede offenbar nicht werden. Im Oktober 2018 strich die Orbán-Regierung die Zulassung für den Studiengang "Gender Studies", ein interdisziplinäres Fachgebiet, das Geschlechterverhältnisse untersucht und unter anderem Genderkompetenz schaffen will.
Niemand soll das Familienbild hinterfragen, das die ungarische Regierung so eindringlich propagiert – und womit sie bei ihrem konservativen Wählerpotenzial in ländlichen Gebieten punktet: Mann, Frau, Kinder.
Das ist seit Dienstag nicht nur Idee, sondern sogar Gesetz: Das Parlament billigte die mittlerweile neunte Verfassungsänderung unter Premier Orbán, die unter anderem die Passage enthält, dass ein Kind "eine Mutter und einen Vater" haben müsse. Singles und homosexuelle Paare können in Ungarn also nicht mehr Eltern werden.
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